Lebewohl, Kaderschmiede ENA?

Macron schafft Elite-Hochschule ab

Eingangsbereich der Ecole Nationale d'Administration in Paris. Foto: epa/Yoan Valat
Eingangsbereich der Ecole Nationale d'Administration in Paris. Foto: epa/Yoan Valat

PARIS: Staatssekretär, Minister oder auch Präsident: Wer in Frankreich was werden will, muss in der Regel eine besondere Schule besucht haben: die ENA. Auch Macron machte dort seinen Abschluss - nun will er die als elitär geltende Institution endgültig abschaffen. Warum?

Emmanuel Macron findet, es sei an der Zeit. «Wie im Jahr 1945 erleben wir einen historischen Moment», erklärt der französische Präsident. Und deshalb soll es der umstrittenen Kaderschmiede ENA an den Kragen gehen - nun aber wirklich. Die Elitehochschule bringt hohe Persönlichkeiten hervor, sie ist der Fahrstuhl nach oben in Frankreich.

Macron ist wie etliche andere Präsidenten selbst Absolvent. Für viele ist die Schule der Inbegriff für eine abgehobene Politikerklasse, losgelöst von den Menschen im Land. Nun soll die ENA also abgeschafft werden und durch eine breiter aufgestellte Einrichtung ersetzt werden. Doch ist das wirklich mehr als einfach nur ein neuer Anstrich, als alter Wein in neuen Schläuchen?

Die prestigeträchtige École Nationale d'Administration, so heißt die ENA mit vollem Namen, wurde 1945 direkt nach dem Zweiten Weltkrieg unter General Charles de Gaulle ins Leben gerufen. Das Ziel war durchaus ehrbar, die Rekrutierung von Spitzenfunktionären für den Staat sollte demokratisiert werden. Leistung und nicht Herkunft sollten Türöffner für Spitzenpositionen im Staatsdienst sein.

Davon ist heute wenig übrig. Nur wer einen extrem anspruchsvollen Auswahltest besteht, bekommt Zugang zu der exklusiven Schule. Dafür machen Anwärter meist sehr aufwendige Vorbereitungskurse, der Druck ist enorm. Die ENA ist das Symbol für eine kleine feine Elite, die sich selbst rekrutiert. Ihre Absolventen werden Enarchen genannt - für sie ist die Schule mit Hauptsitz in Straßburg das ultimative Karrieresprungbrett.

Die Kritik an dieser Institution ist keineswegs neu. Spätestens mit den Protesten der «Gelbwesten» wurde die ENA wieder zum Thema. Die Bewegung ging gegen eine abgehobene Elite auf die Straße, gegen einen hierarchischen Zentralstaat. Bereits vor ziemlich genau zwei Jahren, bei einer mehrstündigen Pressekonferenz im Élysée-Palast, verkündete Macron neben Steuersenkungen und Milliarden-Versprechen bereits die Abschaffung der ENA als Antwort auf die Proteste.

Dann passierte erstmal ... nichts. Nun hat Macron am Donnerstag in einer Videokonferenz vor rund 600 hochrangigen Beamten seine Pläne vorgestellt. Es ginge nun nicht darum, Schande über die ENA zu bringen, so Macron. «Ich habe nicht vergessen, wo ich war und was ich dieser Ausbildung verdanke», sagte er. Aber das Land erlebe eine historische Pandemie und stehe vor großen Umwälzungen. Darauf müsse man mit dem gleichen Sinn für Geschichte antworten wie 1945.

Aus der ENA soll das «Institut du Service Public» werden - weiterhin mit Sitz in Straßburg. In dem Institut sollen gut ein Dutzend weitere Elitehochschulen aufgehen. Das ISP soll internationaler und wissenschaftlicher werden. Dort werden nicht mehr nur ein paar leitende Beamte ausgebildet, sondern ein breiter Verwaltungsstab. Junge Absolventen sollen nicht direkt zu Führungskräften aufsteigen, sondern erst einmal in ihrem Feld arbeiten. Und vor allem: Das Auswahlverfahren soll offener werden.

«Heute müssen wir die Art und Weise, wie wir unsere leitenden Beamten rekrutieren, ausbilden, auswählen und ihre Karrieren aufbauen, radikal ändern», sagte Macron. Doch warum kommt der als Reformer angetretene 43-Jährige jetzt damit? Politische Gegner wie Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon vermuten ein «Ablenkungsmanöver».

Besonders während der Corona-Pandemie war die französische Regierung immer wieder in die Kritik geraten. Impfchaos, keine Masken oder seitenlange, unverständliche Passierscheine - nicht selten wurde in Frankreich darüber gespottet, ob es nun das ist, was die Führungsriege auf der ENA gelernt habe.

Die Politikwissenschaftlerin Chloé Morin geht davon aus, dass Macron bereits auf die Präsidentschaftswahlen in einem Jahr schielt. «Er will das Signal senden, dass er die Eliten weiter beiseite stoßen will und dass er die Lehren der «Gelbwesten» nicht vergessen hat», sagte sie dem Sender Franceinfo. Echte Reform oder doch nur PR - das ist für sie noch unklar. Andere sind jetzt schon überzeugt: Auch das neue Institut wird sich nicht für die Arbeiterklasse öffnen.

Arnaud Teyssier, hoher Beamter und selbst ENA-Absolvent, verteidigt hingegen die Hochschule. Und er richtet auch eine Warnung an die Politik: «Die ENA ist schuld», sei gerade in der Pandemie aber auch zuvor ein bequemer Vorwurf gewesen, sagte er der Zeitung «Le Point». Aber die Mächtigen sollten sich die Abschaffung der ENA zweimal überlegen. Denn mit ihrer Auflösung verschwinde auch das Alibi für das Scheitern ihrer Politik.

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