Lebenslange Haft gegen russischen Soldaten

Erster Kriegsverbrecherprozess

Foto: epa/Oleg Petrasyuk
Foto: epa/Oleg Petrasyuk

KIEW/DAVOS/GENF: Ein russischer Panzersoldat soll wegen Mordes an einem ukrainischen Zivilisten lebenslang in Haft. Doch auch ein Gefangenenaustausch gilt als möglich. Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert unterdessen beim Weltwirtschaftsforum «maximal wirksame Sanktionen» gegen Moskau.

Im ersten Kriegsverbrecherprozess seit Beginn der russischen Invasion ist ein 21 Jahre alter Russe in Kiew zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der Panzersoldat hatte zuvor gestanden, am 28. Februar einen 62 Jahre alten ukrainischen Zivilisten erschossen zu haben. Der Verurteilte hat nun 30 Tage Zeit, um Berufung gegen das am Montag gesprochene Urteil einzulegen. Noch ist es nicht rechtskräftig.

Das Gericht folgte mit seiner Entscheidung dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert, weil der Soldat einen Befehl ausgeführt habe. Es ist der erste Fall eines Kriegsverbrechens, der in der Ukraine seit Beginn der russischen Invasion vor Gericht verhandelt wurde.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte zum Auftakt der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums (WEF) unterdessen «maximal wirksame Sanktionen» gegen Moskau, wie etwa ein Embargo für russische Energieträger. Drei Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs bedankte sich der 44-Jährige in seiner per Video im schweizerischen Davos gezeigten Ansprache auch für die internationale Unterstützung. «Die Welt glaubt an die Ukraine», sagte er. Nach der Rede erhoben sich viele Zuhörer und applaudierten.

Möglicher Gefangenenaustausch für Kriegsverbrecher

Russland sucht eigenen Angaben zufolge nach Möglichkeiten, dem in der Ukraine verurteilten russischen Panzersoldaten zu helfen. «Natürlich besorgt uns das Schicksal unseres Mitbürgers», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Für möglich gehalten wird, dass der Mann gegen ukrainische Gefangene in Russland ausgetauscht wird. Wie die Ukraine hat auch Russland viele Soldaten in Gefangenschaft genommen.

Der aus Sibirien stammende Panzersoldat hatte sich während des Prozesses in der vergangenen Woche für die Tat entschuldigt. «Ich bedauere es. Ich bereue es sehr. Ich habe mich nicht geweigert, und ich bin bereit, alle Maßnahmen zu akzeptieren, die verhängt werden», hatte er in seinem Schlusswort bei dem von großer internationaler Aufmerksamkeit begleiteten Prozess gesagt.

Russland ist am 24. Februar in das Nachbarland Ukraine einmarschiert. Die Vereinten Nationen haben seitdem mehr als 3800 getötete Zivilisten registriert. Die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher sein.

Drohende Hungerkrise: Selenskyj fordert Ende von Seeblockade

Mit Blick auf drohende Hungerkrisen in der Welt forderte Selenskyj in seiner Davos-Rede Verhandlungen über den Zugang zu blockierten ukrainischen Seehäfen, um von dort dringend benötigte Lebensmittel mit Schiffen ausfahren zu können. Die Ukraine war bis zu Beginn des Krieges weltweit einer der wichtigsten Exporteure von Grundnahrungsmitteln wie Weizen und Sonnenblumenöl.

Selenskyj lud zudem ausländische Unternehmen ein, sich nach dem Ende des Krieges am Wiederaufbau der zerstörten ukrainischen Städte zu beteiligen. Zur Finanzierung solle auch eingefrorener russischer Besitz verwendet werden, schlug er vor.

Bei dem Treffen in den Schweizer Alpen diskutieren in diesem Jahr fast 2500 Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vier Tage lang über Lösungen für internationale Probleme. Im Fokus stehen neben Russlands Krieg gegen die Ukraine auch die Corona-Pandemie und der Klimawandel.

Klitschko: Welt muss Handel mit Russland einstellen

Der ukrainische Ex-Boxweltmeister Wladimir Klitschko forderte eine vollständige Isolation Russlands. «Der Krieg wird so lange dauern, wie die Welt Handel mit Russland treibt», sagte der 46-Jährige in einer Gesprächsrunde beim WEF in Davos.

Er forderte zudem einen Ausschluss russischer Athleten von Olympischen Spielen. «Das hat nichts mit der Nationalität oder den Athleten zu tun, aber sie repräsentieren das aggressive Regime Russlands», sagte er. Zugleich betonte der Ex-Boxer, die Ukraine werde ihren Widerstand nicht aufgeben: «Wir werden so lange kämpfen, wie wir leben.»

Sein ebenfalls anwesender Bruder Vitali, Bürgermeister von Kiew, sagte zum erbitterten Widerstand gegen die russischen Angreifer: «Wir Ukrainer verteidigen unsere Kinder, Familien und die Zukunft unserer Kinder - und die russischen Soldaten kämpfen für Geld.» Russland habe das Land vor drei Monaten überfallen, weil es die Ukraine als Teil des russischen Imperiums sehe. «Glaubt den Russen nicht, sie betrügen immer», sagte Vitali Klitschko.

Über 6,5 Millionen ukrainische Flüchtlinge im Ausland

Mehr als 6,5 Millionen Menschen sind bereits vor dem Krieg in der Ukraine ins Ausland geflüchtet. Das geht aus den jüngsten Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR hervor. Unter den Nachbarländern hat Polen mit 3,5 Millionen weitaus die meisten der ukrainischen Geflüchteten aufgenommen.

Seit Beginn der russischen Invasion sind auch fast zwei Millionen Menschen wieder in die Ukraine eingereist. Wie viele davon dauerhaft in ihre Heimat zurückgekehrt sind, und wie viele ein- und auspendeln, ist laut UNHCR noch unklar. Das Land hatte vor dem Krieg etwa 44 Millionen Einwohner.

Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM), die Daten zu Binnenvertriebenen erhebt, sind weitere 8 Millionen Menschen innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Der Krieg in dem Land habe die weltweite Zahl der Vertriebenen erstmals auf mehr als 100 Millionen ansteigen lassen, berichtete UNHCR weiter.

London: Russlands Verluste wie die der Sowjets in Afghanistan

Nach Einschätzung britischer Geheimdienst-Experten musste die russische Armee bereits jetzt schon ähnlich hohe Verluste hinnehmen wie die Rote Armee in den neun Jahren des sowjetischen Afghanistan-Kriegs. Die könnte sich auch bald in der öffentlichen Wahrnehmung des Krieges in Russland niederschlagen, hieß es in einer Mitteilung des Außenministeriums in London. Mit der wachsenden Zahl von Toten könnten auch die Unzufriedenheit bei den Russinnen und Russen und die Bereitschaft, dies zu äußern, steigen.

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