Lapid bildet historische Koalition - Netanjahu vor dem Aus

Yair Lapid gibt eine Erklärung in der Knesset in Jerusalem ab. Foto: epa/Debbie Hill / Pool
Yair Lapid gibt eine Erklärung in der Knesset in Jerusalem ab. Foto: epa/Debbie Hill / Pool

TEL AVIV: Gegnern des Langzeit-Regierungschefs Netanjahu ist die Bildung einer beispiellosen Koalition gelungen. Ein Bündnis unter Einbindung von Ultrarechten und Islamisten soll in Israel die Macht übernehmen. Doch bis zur Vereidigung kann noch viel passieren.

Erstmals seit zwölf Jahren ist in Israel eine Regierung ohne den rechtskonservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gebildet worden. Der bisherige Oppositionsführer Jair Lapid teilte Präsident Reuven Rivlin am Mittwochabend kurz vor Ablauf einer Frist mit, er habe ein Bündnis von acht Parteien aus allen politischen Lagern geschmiedet. Darunter ist die ultrarechte Jamina-Partei des Ex-Verteidigungsministers Naftali Bennett, der laut einer Rotationsvereinbarung zunächst Regierungschef werden und zwei Jahre später von Lapid abgelöst werden soll. Erstmals soll auch eine arabische Partei Teil der israelischen Regierung werden.

Lapid schrieb am Mittwochabend auf Twitter: «Ich verpflichte mich, dass diese Regierung allen Bürgern Israels dienen wird.» Dies gelte für «jene, die für sie gestimmt haben, und jene, die dies nicht getan haben», schrieb der 57-Jährige Vorsitzende der Zukunftspartei, die in der politischen Mitte angesiedelt ist. Die neue Regierung werde «ihre Gegner respektieren und alles dafür tun, alle Teile der israelischen Gesellschaft zu einen und zu verbinden».

Mit Vereidigung der neuen Regierung im Parlament wäre die Ära Netanjahu vorerst beendet. Als voraussichtlicher Vereidigungstermin galt bislang der 14. Juni, Lapid teilte jedoch mit, er strebe den frühestmöglichen Termin an. Damit die ungewöhnliche Koalition ihre Regierungsarbeit aufnehmen kann, muss eine einfache Mehrheit der 120 Abgeordneten für sie stimmen. Es wird damit gerechnet, dass Netanjahus Anhänger bis zur Vereidigung mit aller Macht versuchen werden, das wacklige Bündnis von Lapid und Bennett zum Scheitern zu bringen. Bis zuletzt gab es Berichte über mögliche Abtrünnige in den Reihen der Jamina-Partei.

Der Jamina-Vorsitzende Bennett galt nach der Wahl am 23. März - der vierten binnen zwei Jahren - als Zünglein an der Waage. Lapid will dem 49-Jährigen bei der Rotation den Vortritt lassen, um die Regierungsbildung überhaupt erst zu ermöglichen, obwohl Bennetts Partei deutlich kleiner ist. Erst am 27. August 2023 soll Lapid laut der Vereinbarung Bennett im Amt des Ministerpräsidenten ablösen.

Bis zur letzten Minute hatte es heftige Meinungsverschiedenheiten zwischen den potenziellen Koalitionspartnern gegeben. Die Verhandlungen dauerten bis kurz vor Ablauf einer Frist an: Bis 23 Uhr deutscher Zeit am Mittwoch musste Lapid eine Regierung bilden, sonst wäre dieser Auftrag ans Parlament übergegangen - mit wohl sehr geringen Erfolgsaussichten. Im Falle eines Scheiterns wären abermals Neuwahlen fällig geworden.

Lapids Zukunftspartei war bei der Wahl im März zweitstärkste Kraft hinter dem rechtskonservativem Likud von Netanjahu geworden. Der Langzeit-Premier war bereits von 1996 bis 1999 Ministerpräsident und ist seit 2009 durchgängig im Amt. Länger als er hat niemand seit Israels Staatsgründung 1948 regiert.

Lapid stieg nach einer Karriere als Fernsehmoderator in die Politik ein. In einer früheren Netanjahu-Regierung diente er als Finanzminister.

Lapid stützt sich auf ein Bündnis seiner Zukunftspartei mit sieben kleinen Parteien aus allen Bereichen des politischen Spektrums. Sie eint vor allem die Abneigung gegen Netanjahu, der sich mit einem laufenden Korruptionsprozess konfrontiert sieht. Ihre politischen Ziele klaffen jedoch weit auseinander.

Bennett, der mit einem Internet-Start-up zum Millionär wurde, steht für national-religiöse Politik, seine Partei gilt als siedlerfreundlich. Die Koalitionspartner der Partei Meretz, der Arbeitspartei sowie der von Islamisten geführten arabischen Partei Raam sind für die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates. Dies könnte die Arbeit der Lapid-Koalition erschweren.

Israel verharrte zuletzt in einer politischen Dauerkrise. Auch die vierte Parlamentswahl seit 2019 hatte Ende März erneut keine klaren Mehrheitsverhältnisse ergeben. Rivlin beauftragte am 5. Mai Lapid mit der Regierungsbildung, Netanjahu war zuvor daran gescheitert.

Die Vorsitzende der sozialdemokratischen Arbeitspartei, Merav Michaeli, sagte nach der Regierungsbildung: «Heute haben wir es geschafft, wir haben Geschichte geschrieben.» Der Eintritt in das Bündnis sei für sie eine schwere Entscheidung gewesen. «Wir haben noch einen langen Weg vor uns», sagte sie. «Heute Abend machen wir einen neuen Anfang.»

Zusammenarbeiten muss der künftige Ministerpräsident mit dem am Mittwoch neu gewählten Staatsoberhaupt Izchak Herzog. Der 60-jährige ehemalige Oppositionsführer gewann mit 87 zu 26 Stimmen gegen die 67 Jahre alte Lehrerin und Aktivistin Miriam Peretz. Herzog kündigte an, er wolle «Präsident aller Israelis» sein und sich für eine Einheit in dem gespaltenen Land einsetzen. «Jetzt ist die Zeit, Brücken zu bauen.» Er übernimmt am 9. Juli Rivlins Amt. Der Präsident hat in Israel vor allem eine repräsentative Funktion.

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