Kunst, die durch die Hölle ging

Ein Swimming Pool in einem Resort ist der ideale Begegnungsort. Kleider machen hier keine Leute. Wenn sich Menschen halbnackt begegnen, sind soziale Unterschiede kaum auszumachen und an der Anzahl Speckfalten lässt sich auch nicht ablesen, ob ein Homo sapiens auf einen Stammbaum oder ein Millionenvermögen verweisen kann, oder einfach der Abkömmling von Frau Hinz und Herrn Kunz ist. Mit anderen Worten: Nichts fördert die Unvoreingenommenheit mehr als eine Erscheinung im Badekostüm. Das ist Demokratie in Reinkultur.

Ein Tsunami droht

Als ich neulich in der Abenddämmerung meine Runden schwamm, trat plötzlich ein sehr beleibter, großgewachsener Mann aus der Garderobe. Von wegen Unvoreingenommenheit: Mir schwante Übles beim Anblick seiner Schwimmringe, die sich wie ein organischer Faltenwurf über seinen Hüften türmten. Hoffentlich springt der nicht in den Pool, ein Tsunami hat hier gerade noch gefehlt, war mein erster Gedanke. Auch Archimedes und das physikalische Prinzip der Verdrängung kamen mir in den Sinn. Wieviel Wasser würde mir noch zum Schwimmen zur Verfügung stehen, wenn er die Drohung wahr macht und in den Pool steigt?

Der ältere Herr ließ sich Zeit. Er näherte sich vorsichtig, Schritt für Schritt über das Kinderbassin den Untiefen des Pools und grüßte freundlich, als wir auf gleicher Höhe waren. Ich grüßte zurück und wir kamen ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass Pierre Schweizer ist und seit zehn Jahren regelmäßig seine Freundin in Hua Hin besucht. Nach einer Weile kam er auch auf seine professionelle Vergangenheit zu sprechen, was bei einem Rentner naheliegend ist. Er war als Handlungsreisender für Schweizer Firmen in der ganzen Welt tätig und kannte sich aus. Egal welches Land, welche Region zur Debatte stand, er kam gleich geistreich und humorvoll auf die Eigenarten zu sprechen. Pierre ist ein leidenschaftlicher „Causeur“, er bereichert das Gesagte mit Anekdoten und sprüht vor Lebenslust. Ein Genießer, der einen beim Wort „Diät“ vermutlich verständnislos angeschaut und gefragt hätte: „Ein schreckliches Wort, ich habe es schon lange aus meinem Sprachschatz verbannt, bitte verderbe mir den Appetit nicht!“

Das Antibabypfefferminz

Bei einem gemeinsamen Nachtessen kam er zu fortgeschrittener Stunde auf sein Privatleben zu sprechen. Da er in aller Welt unterwegs war, hatte er in seinen Vierzigern auch auf Bali zu tun. Dort traf er eine damals 18-jährige Inselschönheit, die bereits Mutter einer Tochter war. Die Bekanntschaft hatte Folgen. Die junge Frau wurde schwanger, was gar nicht in seinem Sinne war. Er versuchte sie zu überzeugen, mit ihm zu einem Arzt zu gehen und sich die „Pille danach“ verschreiben zu lassen. Sie war einverstanden und versprach sie zu schlu­cken. Ein paar Monate später war er Vater einer Tochter. Das Pfefferminzbonbon erzielte nicht die gewünschte Wirkung.

Pierre fühlte sich in die Pflicht genommen und konnte nicht „Nein“ sagen, als die Freundin mit ihren beiden Kindern in die Schweiz kommen wollte. Sie bezogen eine Wohnung und lebten mehr schlecht als recht fast zwanzig Jahre zusammen. Als er nach einem heftigen Streit das Haus verließ und erst Tage später zurückkehrte, kam es zum Eklat: Die kostbaren Bilder, darunter ein Aquarell von Dalí, die ihm ein Freund in Kommission gegeben hatte, waren nicht mehr da. Gähnende Leere an den Wänden.

Dalí war noch da

Er rief sogleich die Polizei an, die auch vor einem Rätsel stand. Da die Befragung seiner Frau und der beiden Töchter zu keinem Ergebnis führte, fiel ihr Verdacht auf Pierre. Sie mutmaßten einen geschickt inszenierten Versicherungsbetrug. Irgendwann fiel der Blick eines Beamten auf den offenen Kamin, der voller brandschwarzer Schlacke war. Das waren einst die Bilder. Frau und Tochter hatten sie in seltener Einigkeit verbrannt. Ein Mann von der Kripo zog noch ein Stück von einem Meisterwerk aus dem Kamin. Ausgerechnet darauf war noch die Signatur von Dalí zu erkennen – ein zwielichtiges Souvenir an seine geliehene Sammlung.

Er wartete zwei Jahre ab, bis er sich ein Herz fasste und seinen Freund über den Verlust in Kenntnis setzte. Dieser war zwar fassungslos, aber nicht entsetzt, der Grund: Er hatte die Bilder bei Pierre vor seiner Frau versteckt, damit sie nicht in das Scheidungsinventar aufgenommen werden konnten. „Außerdem habe ich Krebs“ fügte er noch hinzu. „Da kommt es jetzt auch nicht mehr drauf an...“

Er soll nach Pierres Aussage aber immer noch am Leben sein. Auch die Freundschaft soll nicht darunter gelitten haben, im Gegenteil: Heute würden sie darüber lachen. Vermutlich würde Dalí in das Gelächter einstimmen, Exzentriker der er war.


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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Thomas Sylten 24.05.20 11:56
..und ? hat er der Frau auch vergeben - ist gar mit ihr noch zusammen ?? Fragen über Fragen.. ;)