Krisen, König, Katalonien - Spanien krankt nicht nur am Coronavirus

Studenten kommen an die Universität Politecnica in Valencia, in Valencia. Foto: epa/Biel Alino
Studenten kommen an die Universität Politecnica in Valencia, in Valencia. Foto: epa/Biel Alino

MADRID: Spaniens Corona-Zahlen schnellen in die Höhe, die Wirtschaft rauscht in die Tiefe. Aber Kompromisse zwischen linker Regierung und rechter Opposition sind Mangelware. Jetzt heizt die rechtspopulistische Vox die Konfrontation noch zusätzlich an. Donald Trump lässt grüßen.

Die spanische Politik sei mindestens so zerstörerisch wie das Coronavirus selbst, schimpfte der Schriftsteller Antonio Muñoz Molina kürzlich in der Zeitung «El País». Er warf der politischen Klasse Zwietracht, Ineffizienz und Intoleranz sowie eine frivole Verantwortungslosigkeit vor. Ein Beispiel dafür lieferte am Mittwoch die rechtspopulistische Vox-Partei, als sie mitten in der immer heftigeren Corona-Krise einen von Anfang an aussichtslosen Misstrauensantrag gegen Regierungschef Pedro Sánchez stellte.

Zwar hat Vox-Chef Santiago Abascal bei der für Donnerstag erwarteten Abstimmung keine Chance, zum Regierungschef gewählt zu werden. Aber er nutzte die Gelegenheit, um im Parlament einen «Schwall an Beleidigungen, Angriffen, Übertreibungen und unbelegten Vorwürfen» gegen die linke Regierung loszuwerden, wie «El País» schrieb. Manche wie die Zeitung «Público» fühlten sich gar an eine Wahlkampfrede von US-Präsident Donald Trump erinnert.

Stierkampf-Fan Abascal wetterte, die Minderheitsregierung aus sozialistischer PSOE von Sánchez und dem kleineren Koalitionspartner, Unidas Podemos, sei «die schlechteste in 80 Jahren» und wolle Spanien, den Rechtsstaat und die Monarchie zerstören. Durch ihr «Versagen in der Corona-Krise» trage sie die Schuld an Zehntausenden Toten durch das «chinesische Virus». Lobende Worte fand der Chef der drittgrößten Parlamentsfraktion indes für Trump, der ganz «verzerrt» dargestellt werde. Der EU warf er vor, sie strebe einen europäischen Staat an, der an die «Volksrepublik China, die Sowjetunion oder an das Europa erinnert, von dem Hitler träumte».

Sánchez warf Abascal in seiner Erwiderung vor, Vox wolle das Land in die zentralistische Ära der Franco-Diktatur zurückwerfen. «Aber zum Glück lehnen die Spanier Ihre von Hass und Wut geprägten Vorschläge ab», sagte der Regierungschef. Zugleich rief Sánchez die größte Oppositionspartei, die konservative Volkspartei (PP), auf, bei der Abstimmung über den Misstrauensantrag mit Nein zu stimmen. Die PP unter ihrem Vorsitzenden Pablo Casado steckt jedoch in einem Dilemma. Für Abascal zu stimmen, den Casado als «ultrarechts» bezeichnet, würde dem Anspruch der PP schwer schaden, staatstragende Partei zu sein. Casado hat dies bereits ausgeschlossen. Enthält sie sich, riskiert sie Stimmen in der politischen Mitte, stimmt sie mit Nein, könnte das weitere PP-Wähler zu Vox treiben. Abascal verspottete die PP in der Vergangenheit deshalb schon mal als «Feiglinge».

Die Stimmung im Land wird indes immer mieser. Die größte Demütigung sei, dass Spanien inzwischen als quasi «gescheiterter Staat» bezeichnet werde, schrieb die Zeitung «La Vanguardia» am Dienstag. Die zweite Corona-Welle setzte in dem beliebten Urlaubsland mit 47 Millionen Einwohnern früher ein und verlief heftiger als in vielen anderen Staaten Westeuropas. Rund eine Million Infizierte und mehr als 34.000 Tote - im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung liegen die Zahlen damit mehr als fünfmal so hoch wie in Deutschland. Fast 2000 Gemeinden mit insgesamt mehr als 16 Millionen Einwohnern, gut ein Drittel der Gesamtbevölkerung, sind mittlerweile teilweise abgesperrt oder von anderen Einschränkungen betroffen, berichtete der TV-Sender RTVE.

Auch wirtschaftlich sieht es düster aus. Das Bruttoinlandsprodukt des einseitig vom Tourismus abhängigen Landes könnte dieses Jahr um bis zu 13 Prozent einbrechen, ein Spitzenwert unter Industrienationen. Steuereinnahmen sinken, die Staatsverschuldung wächst. In der Bevölkerung, die noch im Frühjahr einen monatelangen drakonischen Corona-Lockdown erduldete, macht sich Resignation breit.

Separatistische Bestrebungen vor allem in Katalonien bedrohen weiter den Zusammenhalt des Landes. Die Monarchie ist umstrittener denn je, seit der unter Korruptionsverdacht stehende Vater von König Felipe VI., Altkönig Juan Carlos, sein Land im August heimlich verließ.

Wie konnte das bis zum Ausbruch der Pandemie als stabil geltende Land in eine derartige Krise stürzen? Verkürzt gesagt leidet Spanien unter einer tiefen Spaltung der politischen Lager und einer Zersplitterung der Parteienlandschaft. Sánchez hatte 2018 den PP-Regierungschef Mariano Rajoy durch ein Konstruktives Misstrauensvotum gestürzt. Die Volkspartei hat diese Schmach nicht verwunden. Casado gehe es eher darum, die Regierung zu Fall zu bringen, als bei der Überwindung der Corona-Krise mitzuarbeiten, wirft Sánchez seinem Rivalen vor.

So umstritten der König bei vielen Spaniern auch sein mag - kürzlich sprach er bei einer Preisverleihung wohl Millionen Menschen aus dem Herzen: Felipe rief zu «Verständnis und Harmonie» im Umgang miteinander auf und forderte vom Staat, «mit äußerster Integrität und Rechtschaffenheit» für das Wohl der Bürger zu arbeiten.

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