Biden und Scholz stellen Putin an den Pranger

​Kriegsgrüße aus Moskau 

Joe Biden, Präsident der USA, spricht auf der 77. Sitzung der UN-Generalversammlung im UN-Hauptquartier. Foto: Mary Altaffer
Joe Biden, Präsident der USA, spricht auf der 77. Sitzung der UN-Generalversammlung im UN-Hauptquartier. Foto: Mary Altaffer

NEW YORK: Russlands Präsident Putin sendet per TV-Ansprache aus Moskau seine Botschaft an die UN-Vollversammlung. Sie lautet: mehr Krieg. US-Präsident Biden prangert das vor den Vereinten Nationen als unerhört an, Kanzler Scholz wertet es als Verzweiflungsakt.

US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz haben Kremlchef Wladimir Putin nach der jüngsten Eskalation im Ukraine-Krieg vor den Vereinten Nationen als Aggressor in dem Konflikt gebrandmarkt. «In diesem Krieg geht es schlicht und einfach darum, das Existenzrecht der Ukraine als Staat auszulöschen», sagte Biden am Mittwoch vor der UN-Vollversammlung in New York. Putins nukleare Drohungen, die Teilmobilisierung russischer Streitkräfte und die Scheinreferenden in besetzten Gebieten der Ukraine seien «ungeheuerliche Handlungen».

Scholz prangerte das Vorgehen Russlands vor den UN als «blanken Imperialismus» an. Er sieht den Putin in einer Sackgasse: «Russland kann diesen verbrecherischen Krieg nicht gewinnen.»

Der Kremlchef provoziert aus der Ferne

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dominiert die diesjährige UN-Generaldebatte und macht alle anderen drängenden globalen Probleme wie die Erderwärmung oder die Ernährungskrise zur Nebensache. Putin ist dort nicht dabei. Der Kremlchef stellte durch gezielte Provokationen aber sicher, dass er die Agenda in New York bestimmt. Am Dienstag hatte er zunächst ankündigen lassen, dass in mehreren besetzten ukrainischen Gebieten in den nächsten Tagen über einen Beitritt zu Russland abgestimmt wird, was weltweit als völkerrechtswidrig angesehen wird.

Am Mittwochmorgen legte Putin nach und sendete per Fernsehansprache seine Botschaft an die Weltgemeinschaft. Sie lautete: mehr Krieg. Putin und sein Verteidigungsminister Sergej Schoigu kündigten die Mobilisierung von 300.000 Reservisten für den Angriffskrieg an. Und Putin drohte: «Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht wird, werden wir zum Schutz Russlands und unseres Volkes unbedingt alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen. Das ist kein Bluff.»

Der US-Präsident antwortet - ohne Gegendrohung

Biden warf dem Kremlchef einen «schamlosen» Verstoß gegen die UN-Charta und eine «rücksichtslose Missachtung» von internationalen Verpflichtungen vor. «Niemand hat Russland bedroht, und niemand außer Russland hat den Konflikt gesucht», sagte Biden. Russland als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates sei «in sein Nachbarland eingedrungen und hat versucht, den souveränen Staat von der Landkarte zu tilgen». Damit habe Moskau gegen die Grundpfeiler der UN-Charta - des Regelwerks der Vereinten Nationen - verstoßen.

Jedes Mitglied der UN-Vollversammlung müsse sich dagegenstellen und «fest und unerschütterlich in seiner Entschlossenheit sein», mahnte Biden. Er verzichtete aber bewusst darauf, seinerseits eine Drohung gegen Putin auszusprechen für den Fall, dass dieser Atomwaffen einsetzen sollte. Biden ist seit Monaten bemüht, mit Putin nicht in ein verbale Eskalationsspirale dieser Art einzusteigen.

Der Kanzler sieht eine Fehlkalkulation bei Putin

Scholz wertete die neuen Provokationen aus Moskau als «Akt der Verzweiflung». Putin habe die Situation von Anfang an «komplett unterschätzt», sagte der Kanzler am Rande der Generalversammlung in New York. Das gelte sowohl für den Widerstandswillen der Ukrainer als auch für die Geschlossenheit ihrer Unterstützer.

Der Kanzler bekräftigte, dass die Abstimmungsergebnisse in den besetzten Gebieten von der Weltgemeinschaft «niemals akzeptiert» würden. Sie könnten «keine Rechtfertigung dafür bieten, was Russland tatsächlich vorhat, nämlich mit Gewalt das Land des Nachbarn zu erobern oder Teile des Territoriums davon».

Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hatte zuvor in seiner Rede von einem Wiederaufleben des Imperialismus gesprochen. «Das, was wir seit dem 24. Februar erleben, ist eine Rückkehr zur Zeit der Imperialismen und der Kolonien», sagte er.

Die erste Kanzler-Rede in der UN-Generaldebatte seit 15 Jahren

In seiner ersten Rede vor den Vereinten Nationen hatte der Kanzler Putin am Dienstag «blanken Imperialismus» vorgeworfen und Kiew mehr Unterstützung auch mit Waffen zugesichert. Es war die erste Rede eines deutschen Kanzlers in der Generaldebatte der UN-Vollversammlung seit 15 Jahren. Scholz machte sich darin auch für eine harte Ahndung russischer Kriegsverbrechen stark. «Hinsehen und handeln müssen wir, wenn Russland in Mariupol, Butscha oder Irpin Kriegsverbrechen begeht. Die Mörder werden wir zur Rechenschaft ziehen.» Russlands «Eroberungskrieg» sei durch nichts zu rechtfertigen. «Präsident Putin führt ihn mit einem einzigen Ziel: sich der Ukraine zu bemächtigen», sagte Scholz.

Die Außenminister Russlands und der Ukraine im Sicherheitsrat

Für Donnerstag ist eine Sitzung des Sicherheitsrats geplant, zu der auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow und der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erwartet werden. Dazu ist auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) eingeladen - obwohl Deutschland derzeit kein Mitglied ist. Sie wird dort sprechen.

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