MOSKAU: Für die Massenflucht der Armenier aus der von Aserbaidschan eroberten Region Berg-Karabach im Südkaukasus gibt es aus Sicht des Kreml keinen Anlass. Es gebe keinen «direkten Grund» für die Flucht, sagte Dmitri Peskow am Donnerstag der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Deswegen lasse sich auch kaum sagen, wer schuld daran sei.
Die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region war in der vergangenen Woche von Aserbaidschan angegriffen und erobert worden. Zuvor hatte Baku monatelang den Latschin-Korridor gesperrt und damit die Lieferungen von Medikamenten und Lebensmitteln in die Region blockiert.
Seit die Regierung der international nicht anerkannten Republik Arzach (Berg-Karabach) in der vergangenen Woche kapitulierte, sind Zehntausende Armenier aus der Region ins Mutterland Armenien geflüchtet. Sie fürchten Gewalt und Verfolgung vonseiten Aserbaidschans. Bis Donnerstagmittag registrierten die Behörden in Eriwan 68.386 Zwangsumgesiedelte.
Die Ereignisse belasten auch die Beziehungen zwischen Armenien und seiner Schutzmacht Russland. Eigentlich galt seit 2020 ein Waffenstillstand in Berg-Karabach, der von russischen Truppen überwacht werden sollte. Laut der Regierung in Eriwan ist Moskau seiner Überwachungs- und Schutzfunktion nicht nachgekommen.
Armeniens Suche nach Verbündeten im Westen ruft weitere Spannungen hervor. So kritisierte Peskow am Donnerstag die Absicht Eriwans, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu ratifizieren. Die Führung von Armenien wisse genau, dass Russland das Gericht nicht anerkenne, «dessen Entscheidungen außergewöhnlich feindselig uns gegenüber sind», sagte der Kremlsprecher. Der Internationale Strafgerichtshof hat einen Haftbefehl gegen Russlands Präsident Wladimir Putin wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine ausgestellt.