Konzerne rüsten sich für den Ernstfall

Angst vor ungeordnetem Brexit

Foto: epa/Andy Rain
Foto: epa/Andy Rain

FRANKFURT/LONDON (dpa) - Es sind nur noch wenige Wochen, doch eine geregelte Lösung für den Brexit ist nicht in Sicht. Nun macht die Wirtschaft Druck - und droht, Fabriken zu schließen und Geschäfte zu verlagern. Auch deutsche Konzerne haben Notfall-Pläne geschmiedet.

Schon in knapp zwei Monaten könnte das Schreckensszenario Realität werden: Am 29. März wird Großbritannien nach bisherigen Planungen die EU verlassen - und ein Abkommen mit Brüssel für die Beziehungen danach gibt es immer noch nicht. Ein Deal von Premierministerin Theresa May scheiterte Mitte Januar im britischen Parlament, auch diese Woche gab es bei neuen Brexit-Abstimmungen keinen Durchbruch. Grund genug für Firmen, mit dem Schlimmsten zu rechnen.

«Unternehmen quer durch alle Branchen bereiten sich auf den ungeregelten Brexit vor», sagt Alexander Veith, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Allen & Overy. Sie berät Firmen bei Brexit-Vorbereitungen. Besonders betroffen seien Konzerne, die Werke in Großbritannien hätten und im Ernstfall um ihre Lieferketten fürchten müssten.

Bei einem ungeregelten Brexit rechnet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) allein für deutsche Firmen mit bis zu 10 Millionen zusätzlichen Zollanmeldungen pro Jahr und mehr als 200 Millionen Euro an neuen Kosten nur dafür. «Die eigentlichen Zölle könnten noch dazu kommen: Allein für die deutschen Autoexporte drohen dann Mehrbelastungen von rund zwei Milliarden Euro im Jahr.»

«Wenn es im schlimmsten Fall Grenzkontrollen gibt, kostet das jedes Mal Zeit, und es werden erhebliche Zölle fällig», sagt Veith. Die Ankündigungen, Werke zu verlagern, seien keine leere Drohung. «Kein Konzern wird direkt zum 1. April Fabriken schließen, aber mittelfristig ist das durchaus realistisch.»

Auch in Großbritannien wächst die Sorge. Dort ist die Auto-Produktion 2018 nach Angaben des Branchenverbands SMMT schon um gut neun Prozent eingebrochen. Derweil haben Tausende Firmen aus allen Branchen Notfallpläne für einen ungeordneten Brexit aktiviert, teilte die britische Handelskammer der Zeitung «The Guardian» mit. Viele erwägten, Betriebsteile ins Ausland zu verlagern. Bisher bekannt gewordene Pläne seien nur die «Spitze des Eisbergs».

Airbus: Der Luftfahrt- und Rüstungskonzern drohte mit der Schließung von Fabriken. «Wenn es einen Brexit ohne Abkommen gibt, müssen wir bei Airbus möglicherweise sehr schädliche Entscheidungen für Großbritannien treffen», sagte Konzern-Chef Tom Enders jüngst. Es gebe auf der Welt Länder, die gerne Tragflächen für Airbus bauen würden. Im Vereinigten Königreich bündelt Airbus fast den gesamten Tragflächen-Bau - was beim Brexit heikel werden könnte. Zulieferer müssen Teile auf die Insel bringen, danach müssen die fertigen Tragflächen zu Werken in Frankreich, Deutschland, China und den USA.

Sony: Der japanische Elektronikkonzern verlegt seinen europäischen Hauptsitz von London nach Amsterdam. Damit könne das Unternehmen seinen Geschäftsbetrieb ohne Beeinträchtigung fortsetzen, wenn Großbritannien die Europäische Union verlasse, sagte eine Sprecherin.

Panasonic: Der Konzern teilte im August mit, den Europasitz nahe London nach Amsterdam zu verlegen - auch wegen des Brexits. Panasonic wolle so verhindern, möglicherweise von der eigenen Regierung bestraft zu werden: Sollte Großbritannien die Unternehmenssteuer drastisch senken, könnte das Land von Japan als Steueroase eingestuft werden. Auch der freie Verkehr von Waren und Personen spiele eine Rolle.

Dyson: Der Staubsaugerhersteller verlagert seine Zentrale von Großbritannien nach Singapur. Dyson begründete das aber nicht mit dem Brexit, sondern mit der Bedeutung Asiens. Dort befänden sich eine wachsende Mehrheit seiner Kunden und alle Produktionsstandorte.

Pets at home: Der größte Tierbedarf-Händler Großbritanniens hat angekündigt, seine Lager etwa für Katzenfutter aufzustocken. So will das Unternehmen einem möglichen Chaos in britischen Häfen begegnen und verhindern, «dass Familien das Futter für ihre Tiere ausgeht.»

P&O: Die Fährgesellschaft will ihre Flotte für den Verkehr über den Ärmelkanal unter zyprischer Flagge anmelden. Der Schritt bringe dem Unternehmen deutlich günstigere Steuerbedingungen, da die Schiffe dann unter der Flagge eines EU-Mitgliedslandes liefen, erklärte sie.

Easyjet: Der britische Billigflieger versucht, einen Teil seiner Aktionäre aus Großbritannien und anderen Ländern außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums loszuwerden - etwa über die Aussetzung von Stimmrechten. Easyjet will so sicherstellen, dass die Airline bis spätestens 29. März mehrheitlich Eignern aus dem EU-Wirtschaftsraum gehört. Das ist Voraussetzung dafür, dass eine Airline auf Strecken innerhalb der EU fliegen darf. Easyjet sei aber «weiter bestrebt, alle Anteilseigner gleich zu behandeln», hieß es.

BMW: Der Autobauer hat die jährliche Wartungsperiode für seine vier Werke in Großbritannien auf die Zeit unmittelbar nach dem geplanten EU-Ausstieg gelegt. So will BMW verhindern, dass die Versorgungskette der Fabriken wegen Brexit-Turbulenzen unterbrochen wird. Nach der Pause soll die Produktion von Autos und Komponenten reibungslos anlaufen - wie auch immer die Lage dann aussieht. Ferner prüfe BMW, Lagerkapazitäten zu erweitern. Man rüste sich auch in Sachen IT, Logistik und Zollabwicklung für den ungeordneten Brexit.

Bosch: Der Autozulieferer bereitet sich systematisch auf den Brexit vor. Dabei gehe es um Zölle und Warenverfügbarkeit, aber auch um Finanzthemen, sagte Finanzchef Stefan Asenkerschbaumer. Dennoch hätte ein ungeregelter Brexit für Bosch schwere Folgen. Allein durch Zölle erwarte man Kosten im mittleren zweistelligen Millionen-Bereich.

Deutsche Bank & Co: Deutschlands größte Bank will die Transaktionen von Großkunden, die bisher in London betreut werden, künftig über die Frankfurter Computersysteme laufen lassen. Die Arbeiten an der neuen Infrastruktur seien fast abgeschlossen, hieß es. Das Geldhaus, das rund 9000 Mitarbeiter in Großbritannien beschäftigt, sei auf «alle Eventualitäten vorbereitet.»

Damit steht die Deutsche Bank nicht alleine da. Internationale Großbanken schicken Mitarbeiter aus London nach Frankfurt oder Paris. Denn nach dem Brexit dürfen Geldhäuser nicht mehr von Großbritannien aus Finanzgeschäfte in der EU machen, sondern brauchen dort rechtlich selbstständige Einheiten. Mehr als 45 Institute sind laut Finanzaufsicht Bafin dabei, sich hierzulande ein Standbein zu schaffen oder die Präsenz auszubauen. «Es bleibt aber unklar, ob britische Staatsbürger nach einem Brexit ohne weiteres in der EU arbeiten dürfen oder eine Arbeitserlaubnis brauchen», sagt Veith.

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