Konflikte wie Sand am Meer

Trump und Johnson mischen G7-Gipfel auf

BIARRITZ (dpa) - Handelskrieg, Klimakatastrophe, Iran-Krise, Brexit: Vor dem G7-Gipfel im schicken Surferparadies Biarritz türmt sich der Konfliktstoff auf. Und dann hat Donald Trump auch noch einen neuen europäischen Allierten.

Mehr Ignoranz geht kaum. Als US-Präsident Donald Trump vor ein paar Tagen gefragt wurde, was er denn so vom G7-Gipfel im französischen Biarritz erwarte, fiel ihm nicht besonders viel ein. «Ich glaube, nur Beziehungspflege. Wir werden sehen, was passiert. Wir haben viel zu diskutieren, viel zu diskutieren.»

Die Antwort sagt alles darüber, wie Trump solche Gipfel angeht. An den Beratungen in großer Runde hat er eher wenig Interesse. Für ihn geht es darum, möglichst viele seiner Kollegen in möglichst kurzer Zeit zu möglichst intensiven Einzelgesprächen zu treffen. Speed Dating könnte man das auch nennen. Bei diesem G7-Gipfel im mondänen Badeort und Surferparadies Biarritz an der französischen Atlantikküste, der an diesem Samstagabend beginnt, hat er sechs solcher Treffen vereinbart, darunter mit Kanzlerin Angela Merkel.

Angesichts des schier unerschöpflichen Reservoirs an Konfliktstoff dürfte der Gipfel eines aber auf jeden Fall nicht werden: langweilig. Die Klimakatastrophe, die Iran-Krise, der Brexit, der Handelskrieg zwischen den USA und China, es gibt Probleme wie Sand am Meer. Hinzu kommt: Die Front der Europäer bröckelt. Der neue britische Premier Boris Johnson gilt als Mini-Trump.

Früher gab es mal G7-Gipfel, bei denen sich schon Wochen vorher große Erwartungen auftürmten, zum Beispiel was Hilfszusagen für Afrika oder Impulse für die Weltwirtschaft angeht. Heute gibt es das so gut wie gar nicht mehr. Spätestens seit dem ersten Gipfel der G20, der praktischerweise auch die UN-Vetomächte China und Russland angehören, ist die G7 in einer Sinnkrise.

Der Fortbestand der Siebenergruppe wurde damals - im Jahr 2008 - damit begründet, dass sich in der kleinen Runde die westliche Wertegemeinschaft abstimmen könne, um dann dem Rest der Welt mit gemeinsamer Kraft gegenübertreten zu können. Damit ist es aber vorbei, seit Trump im Amt ist. Der US-Präsident hat den Westen mit seinen Alleingängen bei Klimaschutz, Iran oder Freihandel gespalten. Im vergangenen Jahr trieb Trump es auf die Spitze und ließ den G7-Gipfel in Québec aus Ärger über den kanadischen Premier Justin Trudeau im Nachhinein platzen - ein bisher einmaliger Vorgang.

Bisher hielten aber immerhin noch die anderen sechs - also Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada und Japan - einigermaßen zusammen, vor allem wenn es um den Schutz internationaler Vereinbarungen ging. Das könnte sich in Biarritz ändern. Mit Boris Johnson hat nämlich ein weiterer Solist seine Premiere auf der großen Gipfelbühne.

Für ihn wird Biarritz wohl so eine Art Orientierungsseminar werden. Wo geht es für Großbritannien nach dem Brexit hin? Johnson will sich um jeden Preis von der EU trennen, wird aber auch künftig nicht ganz ohne sie auskommen. In einzelnen wichtigen internationalen Fragen wie der Sicherung des Schiffsverkehrs im Persischen Golf, geht er jetzt aber schon eigene Wege - zusammen mit den Amerikanern.

Trump ließ bereits mitteilen, dass er seinem ersten Treffen mit dem neuen britischen Premier in Biarritz mit «großem Enthusiasmus» entgegensehe. Er bemüht sich schon lange darum, einen Keil in die EU zu treiben, ob bei Brexit oder Handel.

Die Europa-Fraktion ist bei dem Gipfel zusätzlich dadurch geschwächt, dass der italienische Ministerpräsident Guiseppe Conte kurz vor Gipfelbeginn zurückgetreten ist und auch die EU-Spitze bald ausscheidet: Kommissionschef Jean-Claude Juncker wird am 1. November, Ratspräsident Donald Tusk am 1. Dezember abgelöst.

Der französische Präsident Emmanuel Macron will aber gegen das Auseinanderdriften der G7 vorgehen und die Gipfeldramaturgie umkrempeln. Dazu lud er auch Staats- und Regierungschefs aus Afrika und anderen Erdteilen sowie Topvertreter internationaler Organisationen nach Biarritz ein. Konkrete Beschlüsse, etwa zur Gleichstellung von Männern und Frauen oder zur Unterstützung von terrorgeplagten afrikanischen Ländern, statt einer langatmigen Abschlusserklärung, die ohnehin keiner liest - so lautet die Linie im Élyséepalast.

Funktioniert das? Diplomaten äußern Zweifel und meinen, Macron schaffe sich eine große Weltrunde im Stil der G20, anstatt die verkrustete G7-Gruppe der großen Industrienationen im Kern zu reformieren.

Der Gipfel ist für Frankreich eine riesige Herausforderung, denn das Land wurde vor wenigen Monaten von Protesten der «Gelbwesten» erschüttert, bei Demos kam es auch zu schweren Ausschreitungen. Über 13 000 Einsatzkräfte schützen das Toptreffen und sollen Krawalle verhindern. Im zur Festung umgebauten Biarritz darf nicht demonstriert - der «Gegen-Gipfel» von Globalsierungsgegnern trifft sich in Hendaye, rund 30 Kilometer weiter südöstlich.

Macron setzt auf Stärke und strotzt geradezu vor Selbstbewusstein. Kurz vor Gipfelbeginn kündigte er an, die verheerenden Waldbrände im Amazonasgebiet auf die Tagesordnung zu setzen. «Unser Haus brennt. Wortwörtlich», sagte er, und zog damit den Zorn des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro auf sich, der sich Einmischung verbat.

Der 41-Jährige Macron goss auch im Konflikt mit Washington über die neue französische Steuer für Internetunternehmen noch einmal Öl ins Feuer und sagte, manche genössen den den Status «eines dauerhaften Steuerparadieses». Trump hatte zuvor Vergeltung für «Macrons Dummheit» angekündigt und mit Strafzöllen auf französische Weinimporte gedroht.

Konfliktträchtig ist auch das geplante Treffen zwischen Trump und Merkel, dass der US-Präsident wieder einmal mit Twitter-Salven auf Deutschland vorbereitet. Der US-Präsident will mit der Kanzlerin unter anderem über die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 sprechen. Die USA drohen mit Sanktionen gegen das deutsch-russische Projekt.

Wie tief die Sinnkrise der G7 inzwischen geht, zeigt, dass vor dem Gipfel vor allem über eines diskutiert wurde: Ob das wegen der Krim-Annexion verstoßene Russland wieder in den erlauchten Kreis wichtiger Wirtschaftsmächte aufgenommen werden soll. Macron sympathisiert damit, Trump ist klar dafür, Merkel dagegen. Auch hier herrscht also Uneinigkeit.

Gut möglich, dass Trump in Biarritz auf eine Einladung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin im nächsten Jahr dringen wird, denn er ist dann der Gastgeber. Das Treffen könnte für ihn ein großes Schaulaufen vor der US-Präsidentenwahl im November werden. Wann und wo genau der Gipfel stattfindet, ist noch unklar. Der Informationsdienst Axios berichtete im vergangenen Monat, das Resort Trump National Doral in Miami sei in der engeren Auswahl. Es ist einer der Golfclubs des Präsidenten - und auch nicht weit vom Strand entfernt.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Ingo Kerp 24.08.19 13:36
Da Trump nach Drängen seiner Berater jetzt doch am G7 Gipfel teilnehmen wird, darf man hoffen, das es nach all den Einzelgesprächen wieder zu einem Knaller von ihm kommen wird. Also, weiterhin gute Unterhaltung mit den "great Dealmaker".