«Koma in Kigoma»? Des Kaisers letzter Kolonialdampfer wartet auf Kur

Fotomontage: DER FARANG
Fotomontage: DER FARANG

DARESSALAM/KIGOMA: Er war Inspiration für Hollywood und diverse Roman-Autoren, rettete Flüchtlinge in Afrika, versank widerholt und machte Karriere als Fähre. Der deutsche Kolonialdampfer «MV Liemba» ist eine Legende. Nun soll er eine Verjüngungskur erhalten.

Die Wellen des Tanganjikasees plätschern sanft gegen den Rumpf des weißen Dampfers. «MV Liemba» steht am Bug des 800 Tonnen schweren Schiffs - es ist ein Name, der zum Mythos geworden ist. Denn vor mehr als 100 Jahren verfrachtete Deutschland ein Kriegsschiff in Einzelteilen zerlegt in seine damalige ostafrikanische Kolonie. Unter seinem damaligen Namen «Graf Goetzen» wurde es 1913 in der Meyer-Werft im niedersächsischen Papenburg gebaut und für Truppentransporte und Versorgungsfahrten in der Kolonie Deutsch-Ostafrika benutzt. In den 1930er Jahren war der 67 Meter lange Dampfer sogar Vorlage für den später verfilmten Roman «African Queen», mit Humphrey Bogart und Katherine Hepburn.

Bis vor kurzem noch war das ehemalige Kriegsschiff als Fähre «Liemba» auf dem Tanganjikasee unterwegs und spielte eine wichtige Rolle bei der maritimen Anbindung der Anwohner. Nun fristet es im Hafen von Kigoma ein ungewisses Dasein - als eine Art Museumsschiff für mitunter durchreisende Touristen wie den Deutschen Martin Kotthoff.

Bewacht von tansanischem Militär fand er es Mitte Juli verlassen an einem Pier vor, eingekeilt zwischen der Tank-Barge «Sangara» und einer Art Hausboot. «Der Steg war abgesoffen und lag schon unter Wasser», berichtete Kotthoff, der aber vom guten Allgemeinzustand des früheren Kanonenboots beeindruckt war: «Zwar wirkten ein paar Holzbohlen etwas verwittert und die Beplankung an den Spanten war etwas eingedellt, aber ich habe mich gewundert, dass es kaum Rost gab», sagte er nach der Besichtigung in Begleitung eines Soldaten. Auf dem Oberdeck wucherten allerdings ein paar Pflanzen zwischen den Planken. «Koma in Kigoma», lautete Kotthoffs spöttisches Fazit, der mit seiner Frau Christin den Hafen auf einer Afrikareise passierte.

Der Schiffseigner - die Marine Services Company Ltd (MSCL) - hatte Ende vergangenen Jahres eine Ausschreibung für eine Überholung des letzten Kolonialdampfers aus der Zeit von Kaiser Wilhelm II bekanntgegeben. Seitdem hat sich aber kaum etwas getan rund um das Schiff, das bisher als weltweit älteste noch verkehrende Fähre galt. Die MSCL bestätigte am Montag: «Das Schiff soll nach der Überholung seine Dienste wieder aufnehmen.» Wann das sein wird, blieb aber unklar. «Wir warten noch auf die Bestimmung eines Unternehmens, das die Arbeiten ausführt - das Auswahlverfahren dürfte Ende Oktober, Anfang November enden», sagte «Liemba»-Kapitän Titus Benjamin der Deutschen Presse-Agentur. Sein Schiff liege seit Oktober 2018 fest.

Dessen Geschichte ist reich an Anekdoten. Nach dem Bau in Papenburg wurde die «Graf Goetzen» wieder in Einzelteile zerlegt und in 5000 Holzkisten nach Daressalam verschifft, dem damaligen Verwaltungssitz von «Deutsch-Ostafrika». Mit einer Bahn wurde sie zur Unterstützung der deutschen Truppen dann zum Tanganjikasee gebracht. 1916 warfen belgische Wasserflugzeuge Bomben auf sie ab, worauf der zuständige General Paul von Lettow-Vorbeck sie versenken ließ - allerdings dick mit Fett gegen Rost eingeschmiert, um sie später wieder heben zu können. Nach dem Ersten Weltkrieg setzten die Briten das Schiff instand, tauften es «MV Liemba» und modernisierten es gründlich.

Jahrelang verkehrte es dann als Fährschiff zwischen Kigoma in Tansania und den anderen Anrainerstaaten des zweitgrößten afrikanischen Sees: der Demokratischen Republik Kongo, Burundi und Sambia. Selbst im Auftrag der UN war das ehemalige Kriegsschiff unterwegs und rettete Zehntausende Burundier. Die schwimmende Legende mit der über 100-jährigen Geschichte war auch eine Herzensangelegenheit von Ex-Bundespräsidenten und Ministern, die sich für den Erhalt der «MS Liemba» als Erinnerung an das gemeinsame historische Erbe von Deutschland und Tansania einsetzten.

Nicht verwunderlich sind daher auch die engen Bande zwischen der niedersächsischen Heimat des Schiffes und dem ostafrikanischen Staat, der einst ein Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika war. Niedersachsen engagiert sich seit Jahren schon in der Entwicklungshilfe für den Staat und unterstützt Tansanias wirtschaftliche, ökologische uns soziale Entwicklung. Es befürwortete zunächst auch eine finanzielle deutsche Beteiligung an einer Generalüberholung des Schiffes. Als sich die tansanische Regierung jedoch nur für eine Teilsanierung erwärmen konnte, die internationalen Sicherheitsstandards kaum genügte, zog sich die deutsche Seite zurück. Nun will die tansanische Seite mit eigenen Mitteln die Fahrtüchtigkeit erhalten.

Auch eine Überholung des für den Verkehr auf dem See wichtigen und rüstigen Oldtimers war immer wieder mal ins Auge gefasst worden. Es gab sogar Pläne eines Fördervereins, ihn nach Deutschland zurückzuholen; immerhin hat er ja eine Besonderheit, die er schon mal erfolgreich unter Beweis gestellt hat: wie bei einem Bausatz lässt er sich in viele Einzelteile zerlegen und ist somit auch transportabel.

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