BAKU: Zwischenzeitlich droht die Weltklimakonferenz zu scheitern. Nach mehr als einem Tag Verlängerung gelingt ein Durchbruch im Streit um Milliardenhilfen - aber einige Fragen sind aufgeschoben.
Die Weltklimakonferenz in Aserbaidschan hat sich darauf geeinigt, die Klimahilfen für ärmere Staaten deutlich aufzustocken. Insgesamt sollen bis 2035 jährlich mindestens 1,3 Billionen US-Dollar (aktuell rund 1,25 Billionen Euro) fließen, davon 300 Milliarden
vorrangig aus den Industriestaaten. Mit dem Geld sollen Entwicklungsländer mehr Klimaschutz bezahlen können und sich an die fatalen Folgen der Erderwärmung anpassen können - etwa häufigere Dürren, Stürme und Überschwemmungen.
Bisher mobilisieren die klassischen Industriestaaten jährlich gut 100 Milliarden US-Dollar an Klimahilfen. Doch inzwischen liegt der Bedarf an externer Hilfe laut einer unabhängigen UN-Expertengruppe bei rund einer Billion US-Dollar pro Jahr bis 2030 - und sogar 1,3 Billionen bis 2035
Weitere Geber sollen zahlen
Um die 1,3 Billionen jährlich aufzutreiben, sollen der Einigung zufolge auch die multilateralen Entwicklungsbanken deutlich mehr Kredite ausreichen, beziehungsweise armen Staaten Schulden erlassen. Über das öffentliche Geld und das der Banken sollen mit Hebelwirkung auch in großem Stil private Investitionen angestoßen werden, die ebenfalls als Klimafinanzierung gezählt werden.
Außerdem sollen weitere Geberländer ermuntert werden, sich zu beteiligen. Der Appell ist so weit gefasst, dass Klimaschützer kritisieren, niemand sei konkret für diesen Teil des Globalziels verantwortlich. Deutschland wird - wie alle anderen Staaten - mit dem Beschluss nicht konkret zu Zahlungen in bestimmter Höhe verpflichtet.
Letztlich gelang ein Kompromiss auch deshalb, weil teilweise offen bleibt, wie die Billionensumme konkret aufgebracht werden soll - das wird nun Aufgabe der nächsten Klimakonferenz in Brasilien.
Die EU einschließlich Deutschland wagte sich während der zweiwöchigen Konferenz erst ganz zum Schluss mit konkreten Summen aus der Deckung. Von der Bundesregierung hieß es, es sei völlig unrealistisch, dass Geld in Billionenhöhe aus den Haushalten kommt. Sie appellierte an Länder wie China und die reichen Golfstaaten, die viel mit Öl, Gas und Kohle verdient haben, ebenfalls zu zahlen. Noch gelten diese Staaten, wie etwa auch Indien und Südkorea, nach einer 30 Jahre alten UN-Einstufung aber als Entwicklungsstaaten - und damit als Empfängerländer.
Deutschland hat für die Klimafinanzierung bislang rund sechs Milliarden Euro pro Jahr versprochen. Wie viel es künftig nach dem neuen Baku-Beschluss sein wird, muss die künftige Bundesregierung entscheiden. Konkret berechenbare Verpflichtungen wurden Deutschland in Baku nicht auferlegt.
Um mehr als 30 Stunden verlängert
Zeitweise drohte die Weltklimakonferenz, die um mehr als 30 Stunden verlängert wurde, zu scheitern. Ganze Staatengruppen verließen wenige Stunden vor dem Ende vorübergehend die Verhandlungen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warf dem Gastgeber Aserbaidschan vor, in den Verhandlungen unter anderem die Interessen der besonders verletzlichen Inselstaaten zu ignorieren, die vom steigenden Meeresspiegel bedroht sind. Die Organisatoren aus dem Petrostaat, dessen Exporterlöse zu 90 Prozent aus Öl und Gas kommen, lobten sich hingegen selbst: Trotz «geopolitischem Gegenwind», habe man sich durchweg jede Mühe gegeben, «ein ehrlicher Makler» für alle Seiten zu sein.
Auch befürchtete die EU bis zuletzt, dass Beschlüsse der vergangenen Klimakonferenz in Dubai bei den Verhandlungen in Baku unter die Räder kommen könnten, etwa zur hart errungenen Abkehr von Öl, Gas und Kohle. Die von Deutschland damals «historisch» gefeierte konkrete Formulierung fehlt nun - es wird lediglich im Fachjargon auf den Dubai-Beschluss verwiesen.
Wut und Empörung auf Klimagipfel
Der Hammer auf der Klimakonferenz fiel schnell, für viele zu schnell. Nach dem Beschluss zur Klimafinanzierung regt sich starker Protest im Plenum.
Nach dem Kompromiss auf der Weltklimakonferenz im Streit über Klimahilfen in Billionenhöhe haben mehrere Länder im Plenum ihrer Empörung und Wut freien Lauf gelassen. Die Vertreterin Nigerias bezeichnete die 300 Milliarden US-Dollar (aktuell rund 288 Milliarden Euro), die vor allem Industriestaaten jährlich bis 2035 aufbringen sollen, als «Witz» und «Beleidigung». Indiens Vertreterin protestierte, man könne mit dem Beschluss absolut nicht einverstanden sein, weil die Zusagen viel zu gering seien. «Wir können das nicht akzeptieren.»
De facto hat das die Kritik aber keine Auswirkungen mehr, der Beschluss gilt. Die Äußerungen werden eher als Notiz zu Protokoll gegeben. Der aserbaidschanische Gipfelausrichter hatte den entscheidenden Text zuvor schnell mit dem üblichen Hammerschlag besiegelt. Etliche Staaten fühlten sich übergangen und beklagten, Wortmeldungen seien ignoriert worden.
Ein Vertreter Boliviens beklagte, die Entwicklungsstaaten würden mit ihrem Leid in der Klimakrise allein gelassen. Es breche eine Ära an, in der jeder nur seine eigene Haut retten wolle. Die Industriestaaten hätten eine historische Verantwortung für die Erderwärmung. Klimahilfen seien daher keine Wohltaten, «sondern eine rechtliche Verpflichtung».
EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra verteidigte dagegen den Beschluss. Es breche eine «neue Ära in der Klimafinanzierung an» und die EU werde weiterhin eine Führungsrolle übernehmen, versprach der Niederländer. Die neuen Ziele seien ehrgeizig, aber auch realistisch.
«Zusagen müssen schnell zu Bargeld werden»
Der UN-Generalsekretär appelliert: Viele überschuldete Entwicklungsländer, die von Katastrophen getroffen werden und bei erneuerbaren Energien auf der Strecke bleiben, brauchen dringend Geld.
UN-Generalsekretär António Guterres hat den Beschluss der Weltklimakonferenz zu zusätzlichen Finanzhilfen für ärmere Staaten gelobt - aber auch eingefordert, dass das Geld nun schnell fließen müsse. Die Versprechen gehörten «vollständig und fristgerecht» eingelöst, verlangte er. «Zusagen müssen schnell zu Bargeld werden.» Denn viele überschuldete Entwicklungsländer, die von Katastrophen getroffen werden und bei der Revolution erneuerbarer Energien auf der Strecke bleiben, bräuchten dringend Geld.
Guterres wies einmal mehr auf die eskalierende Klimakrise hin. «Die COP29 findet am Ende eines brutalen Jahres statt - eines Jahres, das von Rekordtemperaturen geprägt und von Klimakatastrophen gezeichnet war, während die Emissionen weiter steigen.»
Der Portugiese sprach von komplexen Verhandlungen in einer unsicheren und gespaltenen geopolitischen Landschaft. Der bei der Konferenz in Aserbaidschan erzielte Konsens zeige, dass Multilateralismus einen Weg durch die schwierigsten Probleme finden könne. «Ich appelliere an die Regierungen, dieses Abkommen als Grundlage zu betrachten - und darauf aufzubauen.»
Das Ende des Zeitalters der fossilen Brennstoffe sei auch in wirtschaftlicher Hinsicht unausweichlich, betonte Guterres. Neue nationale Pläne der 200 Staaten müssten nun den Wandel beschleunigen und dazu beitragen, dass er gerecht erfolgt. «Die G20-Länder, die größten Emittenten, müssen dabei die Führung übernehmen», forderte er.
Baerbock: «Niemand hat historische Verantwortung vergessen»
Schwindelerregende Summen sollen als Klimahilfen in den globalen Süden fließen - das hat die Klimakonferenz beschlossen. Kritikern sagt die Außenministerin, dies sei nur ein Ausgangspunkt.
Außenministerin Annalena Baerbock hat den Beschluss der Weltklimakonferenz zu zusätzlichen Finanzhilfen für ärmere Staaten gegen Kritik verteidigt. «Wir wissen, dass unsere heutigen Entscheidungen allein nicht ausreichen, um alle Bedürfnisse zu erfüllen», sagte sie am frühen Sonntagmorgen vor dem Plenum in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. «Aus diesem Grund haben wir uns für die Vision eingesetzt, die Finanzierung für Entwicklungsländer auf 1,3 Billionen US-Dollar aufzustocken.»
Die 300 Milliarden US-Dollar (aktuell rund 288 Milliarden Euro), die bis 2035 vorrangig die Industriestaaten aufbringen sollen, können laut Baerbock nur ein Ausgangspunkt sein. Sie versicherte, Deutschland werde «liefern». «Und weil wir aus unseren Fehlern in der Vergangenheit gelernt haben - wir können keinen Scheck unterschreiben, der platzt -, geht es hier auch um Vertrauen.» Für die EU sei klar: «Niemand hat die historische Verantwortung vergessen.»
Baerbock betonte, Klimaschutzfinanzierung und Fortschritte bei der Minderung von Treibhausgasen könnten und dürften nicht getrennt werden. «Ohne konkrete Maßnahmen, um den 1,5-Grad-Pfad in greifbarer Nähe zu halten, wird uns kein Geld der Welt retten.»
Offensichtlich mit Blick auf Blockierer-Staaten wie Saudi-Arabien sagte Baerbock: «Diejenigen, die hierhergekommen sind, um Fortschritte zu verhindern und unser multilaterales UN-System zu schwächen, sind gescheitert - und zwar kläglich. Und diejenigen, die an eine bessere Welt glauben, haben gewonnen.»