Klarer Wahlsieg für Johnson

Zweifel in Brüssel an Brexit-Fahrplan

Foto: epa/Vickie Flores
Foto: epa/Vickie Flores

LONDON/BRÜSSEL (dpa) - Nach seinem deutlichen Wahlsieg will Boris Johnson Großbritannien zum 31. Januar aus der EU führen. Aber ist der ambitionierte Fahrplan überhaupt zu halten? Ärger droht auch aus Schottland.

Mit seinem spektakulären Wahlsieg hat der britische Premierminister Boris Johnson bei der Parlamentswahl ein klares Mandat für seinen Brexit-Kurs bekommen. «Wir werden den Brexit bis zum 31. Januar vollenden, kein Wenn, kein Aber und kein Vielleicht», versprach Johnson am Freitag vor jubelnden Anhängern in London. Ein zweites Brexit-Referendum sei vom Tisch.

Nach Auszählung aller Wahlkreise kommt die Konservative Partei auf 365 der 650 Mandate - die Tories haben damit einen Vorsprung von 80 Sitzen vor allen übrigen Parteien. Labour verlor 59 Mandate und kam auf 203. Die Schottische Nationalpartei (SNP) legte 13 Sitze auf 48 zu, die Liberaldemokraten verloren einen Sitz und kommen auf 11. Die anderen Sitze entfielen auf kleinere Parteien.

Mit Blick auf Abspaltungstendenzen in Schottland sagte Johnson, er werde das Land einen. Doch die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon will schon in der nächsten Woche ein neues Unabhängigkeitsreferendum anschieben. Die Schotten hätten das Recht, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. «Es ist die Sache des schottischen Parlaments, nicht einer Regierung in Westminster, zu sagen, ob und wann es ein neues Referendum geben sollte.»

Johnson holte am Vormittag formell die Erlaubnis zur Bildung einer neuen Regierung ein. Er hatte dafür eine Visite bei der 93 Jahre alten Königin Elizabeth II. im Buckingham-Palast. Das vertrauliche Gespräch dauerte etwas mehr als eine halbe Stunde. Öffentlich mischt sich die Queen nicht in die Politik ein.

Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierte im Kurznachrichtendienst Twitter dem Premier: «Herzlichen Glückwunsch, Boris Johnson, zu diesem klaren Wahlsieg.» Ebenso wie Außenminister Heiko Maas sprach sie sich für eine weitere enge Zusammenarbeit mit Großbritannien aus.

Die Europäische Union forderte eine zügige Ratifizierung und Umsetzung des Brexit-Abkommens. Darüber hinaus bekräftigten die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel den Wunsch nach einer möglichst engen Beziehung zu Großbritannien auch in Zukunft. Diese solle aber auf einem «Gleichgewicht aus Rechten und Pflichten gründen und ein "Level Playing Field" sichern», heißt es im Gipfel-Beschluss.

Mit «Level Playing Field» (etwa: ebenes Spielfeld) ist gemeint, dass sich London nicht mit niedrigen Sozial-, Umwelt- oder Steuerstandards unfaire Wettbewerbsbedingungen verschafft. Die EU-Kommission solle direkt nach dem für Ende Januar geplanten Brexit ein umfassendes Mandat für die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen entwerfen. Dies soll dann rasch von den EU-Staaten gebilligt werden. Die Briten hatten 2016 mit knapper Mehrheit für den Brexit gestimmt.

Labour-Chef Jeremy Corbyn zog aus dem schlechten Abschneiden seiner Partei erste Konsequenzen: Er werde die Partei nicht mehr in einen weiteren Wahlkampf führen, sagte der Parteichef. Nach der Niederlage sei ein Reflexionsprozess für die Partei notwendig, den er als Parteichef begleiten wolle. Als Zeitraum für einen Rücktritt nannte er die ersten Monate des kommenden Jahres. Die Labour-Partei hat im Unterhaus künftig so wenig Abgeordnete wie seit 1935 nicht mehr. Die britischen Sozialdemokraten verloren die vierte Parlamentswahl in Folge.

Johnson wollte über das Brexit-Abkommen noch vor Weihnachten abstimmen lassen. In London wurde erwartet, dass dies Ende kommender Woche sein könnte. Einen offiziellen Termin dafür gab es aber zunächst noch nicht, wie ein Unterhaussprecher der Deutschen Presse-Agentur sagte. Eine Zustimmung zum Abkommen gilt als sicher.

US-Präsident Donald Trump gratulierte Johnson zu einem «großartigen Sieg». «Großbritannien und die Vereinigten Staaten werden nun nach dem Brexit frei sein, ein riesiges Handelsabkommen zu schließen», twitterte Trump. «Dieser Deal hat das Potenzial, weitaus größer und lukrativer zu sein als jeder Deal, der mit der EU geschlossen werden kann», schrieb Trump weiter. «Feiert Boris!» Kritiker befürchten, dass ein solches Abkommen auch als sinnvoll erachtete Regulierungen der EU - etwa in der Landwirtschaft - beeinträchtigen wird.

Die Chefin der proeuropäischen Liberaldemokraten, Jo Swinson, verlor in einer für ihre Partei enttäuschenden Wahlnacht ihr Mandat und trat zurück. Die Liberaldemokraten wollten die Wahl mit dem Versprechen gewinnen, den Brexit abzublasen. Ihr Amt übernehmen zunächst ihr Stellvertreter Ed Davey und die Parteipräsidentin Sal Brinton, wie die Partei mitteilte. Die Wahl zum Parteivorsitz fände im kommenden Jahr statt. Swinson hatte ihren Sitz im schottischen Dunbartonshire East an die Kandidatin der SNP verloren.

Dem Brexit-Abkommen zufolge soll Großbritannien bis Ende 2020 in einer Übergangsphase bleiben. Bis dahin will Johnson einen Vertrag über die künftigen Beziehungen mit der Staatengemeinschaft aushandeln. Die Zeit dafür gilt jedoch als denkbar knapp. Eine Verlängerungsoption um bis zu zwei Jahre, die bis Juli 2020 möglich ist, hat der Premier ausgeschlossen. Sollte kein Anschlussabkommen zustande kommen, droht Ende 2020 wieder ein No-Deal-Szenario.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen Eile mahnte zur Eile bei den Verhandlungen über die künftigen Beziehungen. Der Brexit-Fahrplan sei herausfordernd, sagte sie nach einem zweitägigen EU-Gipfel in Brüssel. Man gehe davon aus, dass das Parlament in London den Brexit-Vertrag bis Ende Januar ratifiziere. Anschließend habe man nur elf Monate Zeit, um über ein Handelsabkommen und die Zusammenarbeit in weiteren Bereich wie Verkehr und Fischerei zu verhandeln. Dies sei sehr knapp.

Die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley sieht kein rasches Ende des Brexit-Streits. Johnson habe mit «der leeren Versprechung» gepunktet, den Brexit schnell abhandeln zu können, erklärte die Vizepräsidentin des Europaparlaments der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. Der Zeitplan des Premierministers werde nicht funktionieren.

Die Briten hatten 2016 in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt. Nach zähen Verhandlungen konnte Johnsons Vorgängerin Theresa May im November 2018 ein Austrittsabkommen vorlegen. Doch die anschließende Ratifizierung im britischen Parlament scheiterte, weil ihre Regierung keine Mehrheit mehr hatte. Der Brexit wurde mehrmals verschoben, May musste zurücktreten. Johnson verhandelte nach dem Amtsantritt den Deal mit Brüssel nach, bekam aber im heillos zerstrittenen Parlament keine Mehrheit dafür.

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Ingo Kerp 14.12.19 13:20
Die Unsicherheit hat ein Ende gefunden.