Kautschuk

Kautschuk

Phon arbeitet im Süden Thailands auf einer Kautschuk-Plantage. Er arbeitet viel, verdient aber wenig. Sein Chef ist ein Chinese. Der unterläuft den Mindestlohn, indem er keine Festangestellten beschäftigt, sondern nur Tagelöhner – mit Ausnahme eines Aufsehers. Die Arbeiter verdienen maximal 4.000 Baht im Monat und arbeiten wöchentlich an sechs Tagen von morgens fünf Uhr früh bis vierzehn Uhr.

Früher hat man auf diesem Gelände Gemüse angebaut, aber man hat diese Bauern zwangsenteignet. Heute sind sie Tagelöhner, ohne Land und ohne Hoffnung. Ihr Leben befindet sich am äußersten Ende der Armutskette. Ihre Hütte wird keinem Sturm widerstehen, ihre Familie keiner Dürre trotzen. Außerdem können sie nur sechs Monate im Jahr arbeiten, damit die Bäume sich erholen können. Dann sind Hunger und Durst ihre ständigen Begleiter. Bis vor fünf Jahren konnten die Plantagenbesitzer noch gut von den Einnahmen leben. Seitdem sind die Preise massiv eingebrochen, da künstlich hergestellter Kautschuk billiger ist. Das müssen die Kautschuk-Arbeiter ausbaden. Ihr Überleben wird immer schwieriger. Sie ritzen in aller Frühe die Rinde der Bäume an und fangen den Saft in halbierten Kokosnuss-Schalen auf. Einige fügen diesem Extrakt Essig bei und ernten eine feste Masse, andere sammeln den Saft ein, lassen ihn antrocknen, rollen ihn zu kleinen Platten aus und lassen diese an der Straße richtig austrocknen. Dann verkaufen sie ihre Produkte an Zwischenhändler, diese wiederum an Großunternehmer, die es an Reifenhersteller in alle Welt liefern. Ob die sich wohl dafür interessieren, wie dieses Naturprodukt hergestellt wurde? Wollen sie wissen, wie die Arbeiter leben oder überleben, die es gewonnen haben? Kaum. Sie machen Milliarden Umsätze mit ihren Autoreifen, wollen aber von den Mühen, unter denen ihr Ausgangsmaterial hergestellt wird, nichts wissen.

Ein Blick ins Nachbarland Kambodscha: Auch hier ist der Anfang dieser Produktionskette von größter Armut betroffen. Aber ohne Lobby gibt es hier keine Aussicht auf Veränderung. Thailand lebt ebenfalls vom Export von Reis, Kautschuk und vom Tourismus. Letzterer wird mit vielen Millionen Baht gefördert. Die Reis- und Kautschukproduzenten sind weitgehend sich selbst überlassen. Wie wird diese Entwicklung sich fortsetzen? Für den Reis- und Kautschukanbau wurden unzählige Wälder gerodet, wurden Menschen vertrieben und das Klima weiter bedroht, so dass Dürren und Überschwemmungen ihre Ernte bedrohen. Und jetzt? Landarbeiter, die von ihrem Lohn nicht mehr leben können, zieht es in die Städte, wo sie ebenfalls das Ende der Erwerbskette bilden. Und natürlich sind sie zu schwach, um sich gegen ihr Elend zu erheben. Die Armut der Armen nimmt zu, so wie der Reichtum der Reichen zunimmt. Das ist allerdings nicht allein ein Problem der sogenannten Dritten Welt. In Europa und in den USA ist es nicht anders. Viele Menschen auf der Welt denken darüber nach, wie man diese Entwicklung stoppen kann. Ist der Kapitalismus der richtige Weg, um Gerechtigkeit auf der Welt zu schaffen? Oder ist Gerechtigkeit nur eine Chimäre? So unterschiedlich wie die Menschen ihren Lebensweg betreten, so unterschiedlich wird sich auch ihre Zukunft gestalten. Es gibt keine Gerechtigkeit. Wer in einer armen Hütte geboren wurde, wird kaum im Vorstand eines Großunternehmens landen, und wer mit einem goldenen Löffelchen im Mund auf die Welt kam, muss sich um sein künftiges Luxusleben keine Gedanken machen. Wer heute noch behauptet, alle Menschen sind gleich, der gehört ins Fantasia Land abgeschoben. Es gibt nur wenige Menschen, denen es mit Fleiß und Anstrengung gelungen ist, sich aus dem Elend ihrer Herkunft zu befreien und vorzudringen in eine Welt, in der sie sich verselbständigen konnten und es zu etwas gebracht haben. Von wegen: jeder Mensch hat die gleiche Chance. Das ist der Zynismus derer, die es geschafft haben. Wer in einem Dorf in Afrika geboren wurde, wie soll der je eine Chance erhalten? Kein Wasser, kaum Nahrung, keine Schule weit und breit. Wie? Jeder ist seines Glückes Schmied? Das ist die Arroganz der Leute, die auf Kosten der Armen leben. Wehe, wenn diese Unterdrückten sich eines Tages erheben!

Ich schreibe mir die Finger wund, um die Reichen dazu zu bewegen, sich der Armen anzunehmen. Natürlich erfolglos. Wahrscheinlich ist die Angst, dass die Empfänger nicht die Armen sein werden, sondern die Herren, die sich damit ihre vollen Taschen füllen. Und diese Angst ist auch voll berechtigt. Seit die Korruption weitgehend akzeptiert ist, braucht man sich weder über die Armen noch über die Reichen Gedanken zu machen. Jeder trägt ein Hemd, und das ist ihm am nächsten. So funktioniert die Welt, und deshalb ist unser Blick auf die Tagelöhner in Thailand oder in vielen anderen Ländern auch total vernebelt. Sie müssen sehen, wie sie zurechtkommen, und wir müssen es auch. Ihre Ansprüche sind, verglichen mit unseren, sowieso gering. Eine Handvoll Reis muss oft ausreichen, wo wir auf ein Steak – bitte medium – bestehen. Es wäre schon ein Anfang, wenn einige begreifen würden, dass es keine Gerechtigkeit geben kann. Das könnte vielleicht dazu führen, dass sie sich engagieren. So wird wenigs­tens einigen geholfen, aus der Armutsfalle zu entkommen. Ich schätze mich glücklich, nicht in einer Hütte am Rande einer Kautschuk-Plantage geboren worden zu sein.

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Leserkommentare

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