BERLIN: Es ist noch nicht lange her, dass ein Medienhype um den Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre und sein neues Werk «Noch wach?» aufkam. Man munkelte von einem Schlüsselroman über Skandale beim Medienhaus Axel Springer. Das Buch steht aktuell an der Spitze der «Spiegel»-Bestseller-Liste. Jetzt kommt direkt das nächste Buch auf den Markt - und zwar ein Sachbuch mit einem ganz offensichtlichen Bezug zu Springer. Der langjährige «Bild»-Chefredakteur Kai Diekmann erzählt in «Ich war Bild», wie das damals so war bei Deutschlands größtem Boulevardblatt. Er stand von 2001 bis Anfang 2017 an der Spitze.
Wer erwartet, dass sich der 58-Jährige über die aktuellen Turbulenzen bei Axel Springer und «Bild» äußert, wird enttäuscht. Er macht einen großen Bogen darum. Die Affäre um den nach Machtmissbrauchsvorwürfen geschassten Chefredakteur Julian Reichelt, der ständige Wechsel an der «Bild»-Spitze und die Empörung um geleakte umstrittene Nachrichten von Vorstandschef Mathias Döpfner - Diekmann spart das aus.
Im Interview der Deutschen Presse-Agentur sagte er: «Ich habe natürlich eine Meinung zu all dem, was da gerade passiert. Ich bin schon seit über sechs Jahren nicht mehr bei "Bild" und daher Gott sei Dank nicht Teil dieses Dramas. Deswegen erlaube ich mir den Luxus, meine Meinung für mich zu behalten.»
Was an den rund 550 Seiten langen Memoiren spannend ist: Zeitgeschichte wird durch Diekmanns Brille erzählt - subjektiv. Der Politikjournalist interviewte die großen Mächtigen wie Donald Trump oder Wladimir Putin und war oftmals als Beobachter dabei, wenn Geschichte geschrieben wurde.
Der 58-Jährige, der in Potsdam und auf Usedom lebt, hat sich Details gemerkt, jede Menge Fotos, Dokumente, Briefe und E-Mails aufbewahrt - quasi seine eigene Arbeit dokumentiert. Und so garniert er Zeitgeschichte mit eigenen Beobachtungen. In dem Sachbuch sind viele Dokumente und Fotos zu finden. Diekmann will hier und da etwas geraderücken oder ein vollständigeres Bild von dem Lauf der Geschichte geben. So mancher, der in dem Buch vorkommt, dürfte schwer schlucken - Diekmann erzählt auch aus Vier-Augen-Gesprächen.
Es sind auch noch so kleinste Beobachtungen, die Diekmann aufgreift. Nach der Lektüre weiß der Leser zum Beispiel, dass der langjährige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi während des Traueraktes für den gestorbenen Altkanzler Helmut Kohl (CDU) gelegentlich eingeschlafen sein soll. Diekmann erzählt auch von einer Gala in Istanbul, auf der in hektischer Windeseile Alkohol und Musik kurzzeitig verschwanden, weil völlig unerwartet der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kam. Kaum, als dieser den Saal verlassen hatte, stand demnach - zack - der Alkohol wieder auf den Tischen.
Das Sachbuch erscheint am Donnerstag (11. Mai), doch schon vorab lag es im Buchhandel aus - wie ein Beispiel aus Berlin am Samstag zeigte. Die Startauflage liegt nach Angaben der Verlagsgruppe Penguin Random House bei 70.000 Exemplaren, eine weitere Auflage sei in Vorbereitung.
Dass Diekmann als «Bild»-Chef selbst mächtig war, beweist am wohl offensichtlichsten der Fall des Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff, der dem Journalisten eine denkwürdige Sprachnachricht auf der Mailbox hinterließ, um Berichterstattung zu beeinflussen. Das Ganze brachte einen Skandal ins Rollen - Wulff (CDU) trat zurück.
Diekmann widmet gleich das erste Kapitel seines Buchs der Affäre um Wulff. Der «Spiegel» veröffentlichte vorab Teile daraus. Auf die Frage, ob er noch eine Rechnung mit Wulff offen hatte, sagte Diekmann im dpa-Interview: «Nun, Christian Wulff hat seine Sicht auf die Dinge in seinem Buch "Ganz oben, ganz unten" ausführlich geschildert. Das habe ich damals etwas irritiert gelesen, denn meine Erinnerungen waren so ganz andere.» Diekmann ergänzte: «Und tatsächlich haben sich die Dinge vollkommen anders abgespielt. Ich fand es an der Zeit, den Fall Wulff aus meiner Sicht zu schildern – und mit Dokumenten und Fakten zu belegen, die bislang unveröffentlicht sind.»
Diekmann ist der Chefredakteur, der am längsten den Job an der «Bild»-Spitze hatte. Niemand vor ihm schaffte das. Das rechtfertige auch den Buchtitel «Ich war Bild», findet Diekmann. Er war dabei, als die Bundesredaktion von Hamburg nach Berlin umzog. Er war im Silicon Valley in den USA und suchte für Springer nach neuen digitalen Ideen für das Haus. Nach seiner Zeit bei «Bild» war er Mitgründer der Agentur StoryMachine, die digitale Kommunikation für Firmen und Personen anbietet. Seit 2017 ist er Vorsitzender des Freundeskreises Yad Vashem, der die Arbeit der Holocaust-Gedenkstätte unterstützt.
Das Sachbuch ist in zwölf Kapitel unterteilt. Es geht unter anderem um die Hassliebe zwischen den für ihre Schlagzeilen bekannten Zeitungen «Bild» und «taz». Diekmann schreibt auch über einen Brandanschlag auf das Familienauto nachts vor seinem damaligen Wohnhaus in Hamburg. Es geht um die Flüchtlingskrise und die Politik von Angela Merkel (CDU), die Agenda-Politik von Gerhard Schröder (SPD), und natürlich kommt Altkanzler Helmut Kohl vor, den Diekmann als «väterlichen Freund» bezeichnet.
Indirekt tangiert das Buch dann doch eine aktuelle Springer-Debatte. Die «Zeit» hatte eine Reihe von geleakten konzerninternen Nachrichten von Springer-Chef Döpfner veröffentlicht, die Empörung auslösten. Döpfner hatte danach um Entschuldigung gebeten. Es ging etwa um abfällige Bemerkungen über Ostdeutsche. Ebenso stieß auf, dass sich Döpfner gewünscht haben soll, dass man bei «Bild» die FDP hochschreibt. Es begann danach eine Debatte, wie stark ein Verlagsmanager in die Redaktionsgeschäfte eingreifen darf.
Diekmann veröffentlicht in seinem Buch auch zahlreiche Nachrichten, die Döpfner ihm geschickt haben soll - im Kontext der Wulff-Affäre. Diekmann sagte im dpa-Interview: «Mathias Döpfner und ich waren in vielen Fragen diametral unterschiedlicher Meinung, wie Sie an jeder Menge SMS festmachen können, die im Buch nachzulesen sind. Ich hatte nie das Gefühl, Anweisungen von ihm zu bekommen. Die hätte er mir schon deshalb nicht geschickt, weil er wusste, dass sie nicht auf fruchtbaren Boden fallen würden.»