Judenstern und Häftlingsanzug: Antisemitismus in der Corona-Krise

«Ungeimpft» steht auf einem nachgebildeten Judenstern am Arm eines Mannes, der versucht hatte, sich unter die Teilnehmer einer Demonstration zu mischen, die sich auch gegen Verschwörungstheorien zum Corona-Virus wendet. Foto: Boris Roessler/dpa
«Ungeimpft» steht auf einem nachgebildeten Judenstern am Arm eines Mannes, der versucht hatte, sich unter die Teilnehmer einer Demonstration zu mischen, die sich auch gegen Verschwörungstheorien zum Corona-Virus wendet. Foto: Boris Roessler/dpa

TEL AVIV/BERLIN: Das Coronavirus macht Angst. Verschwörungstheorien bieten einfache Antworten. Und greifen nicht selten auf alte Feindbilder zurück.

Ein gelber «Judenstern» auf dem Ärmel, mit dem Wort «Ungeimpft». Ein Mann in gestreifter Kleidung, die der Uniform eines KZ-Häftlings nachempfunden ist. In der Hand ein Schild mit der Aufschrift «Maske macht frei» - eine Anspielung auf den Spruch im Torbogen des Vernichtungslagers Auschwitz, «Arbeit macht frei». Bei den sogenannten Hygiene-Demonstrationen in Deutschland sind auch Menschen unterwegs, die vor dem Vergleich der Corona-Maßnahmen mit dem Holocaust nicht zurückschrecken. Die Sicherheitsbehörden warnen vor einer Unterwanderung der Proteste durch Rechtsextremisten.

Die Sorge um die eigene Existenz, die Angst vor Freiheitsverlusten dürfte viele Teilnehmer zu den Demonstrationen treiben. Doch in der Krise haben auch Verschwörungstheorien Hochkonjunktur, die versuchen, die diffuse, nur teilweise erforschte neue Bedrohung mit einem Komplott zu erklären. Auch judenfeindliche Theorien kursieren. «Die Corona-Krise wirkt sich dabei leider verstärkend aus, so dass wir auch in diesem Jahr massiv mit Antisemitismus konfrontiert sind», sagt der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster.

«Nicht jeder, der einem Verschwörungsglauben anhängt, muss überzeugter Antisemit sein. Es gibt vielleicht auch Verschwörungsmythen ohne explizit antisemitische Elemente», meint der Antisemitismus-Forscher Samuel Salzborn. «Aber bei den großen Verschwörungserzählungen gibt es immer auch Vorwürfe gegen Jüdinnen und Juden.» Spätestens bei der zweiten Teilnahme an einer Hygiene-Demo wisse jeder, mit wem er da protestiere.

Ob die Anhänger solcher Theorien Juden persönlich kennen, sei irrelevant. «Es gibt markante Unterschiede zwischen Antisemitismus und Rassismus», sagt Salzborn. «Antisemitismus hat nichts mit Judentum oder Jüdinnen und Juden zu tun, sondern vielmehr mit dem Antisemiten.»

Die neue, alte Judenfeindlichkeit treibt nicht nur jüdische Organisationen hierzulande um, sie beschäftigt auch die israelische Regierung. «Leider ist es nicht neu, Juden für etwas verantwortlich zu machen», sagt die Ministerin für strategische Angelegenheiten, Orit Farkasch-Hacohen. Tatsächlich tauchen bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen Verschwörungstheorien auf, die sich seit Jahrhunderten halten.

Eine Umfrage der Universität Oxford ergab kürzlich, dass vier Fünftel der befragten Briten der These «Juden haben das Virus erschaffen, um die Wirtschaft lahmzulegen und finanziellen Profit daraus zu ziehen» nicht zustimmen. Ein Fünftel aber äußert zumindest ein wenig Zustimmung. Die Verschwörungstheorie, die Juden oder Israel würden das Virus einsetzen oder verbreiten, um politisch oder wirtschaftlich zu profitieren, zählt zu den am meisten verbreiteten. In Israel wird das natürlich genau verfolgt.

«Was wir nun sehen ist, dass anti-israelische Aktivisten schamlos den Deckmantel des Coronavirus ausnutzen, um ihre Hassreden zu verbreiten», sagt Farkasch-Hacohen. Ihr Ministerium sieht einen «besorgniserregenden Aufwärtstrend von Antisemitismus und Bestrebungen, den Staat Israel zu delegitimieren»

Demnach lassen sich die antisemitischen Verschwörungstheorien in zwei Bereiche untergliedern: «klassischer Antisemitismus» gegen Juden, der vor allem von Rechten betrieben wird und sich an jahrhundertealte Verleumdungen anlehnt, und «neuer Antisemitismus», der sich gegen den Staat Israel richtet und von Ländern wie dem Iran oder der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie der Hamas verfolgt wird.

Antisemitismus-Forscher Salzborn sieht es so: «Wer sich antisemitisch äußern möchte, nutzt oft den rhetorischen Deckmantel der Israelkritik. Das soll einem tatsächlichen oder erwarteten Antisemitismus-Vorwurf entgegentreten - lenkt damit aber vom Inhalt des Gesagten ab.» Das sei eine Strategie, um den demokratischen Konsens in Deutschland zu unterlaufen, und sie sei von sachlicher Kritik an Israel zu unterscheiden.

Dem israelischen Ministerium zufolge wird die zunehmende antisemitische Rhetorik auch von Gewaltandrohungen gegen Juden und Israelis begleitet. Diese könnten in die Tat umgesetzt werden, so die Befürchtung, wenn die Corona-Beschränkungen alle wieder aufgehoben sind. Dies geschieht derzeit schrittweise in den meisten Ländern. Das Ministerium dringt deshalb auf verstärkte nachrichtendienstliche Tätigkeiten, ein hartes Durchgreifen der Strafverfolgungsbehörden und umfassende Sicherheitsmaßnahmen, physisch und technologisch.

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