Italienische Regierung völlig zerstritten

Salvini lauert

Foto: epa/Fabio Frustaci
Foto: epa/Fabio Frustaci

ROM (dpa) - «Komatöse Regierung» und «Nicht-Allianz». Die Mitte-Links-Regierung in Italien ist erst hundert Tage im Amt, aber viele geben ihr keine Zukunft mehr. Ein Mann hält sie ungewollt zusammen.

Es ist noch nicht lange her, da schien Matteo Salvini politisch erledigt. Im vergangenen August ließ der Chef der rechten Lega und damalige italienische Innenminister die Koalition mit der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung platzen, in der Erwartung, Neuwahlen dann zu gewinnen. Doch das Manöver ging schief, denn es gab keine Wahl. Stattdessen bildeten die Sterne eine neue Koalition mit den Sozialdemokraten (PD), und der parteilose Giuseppe Conte blieb Ministerpräsident. Salvinis Lega war aus dem Spiel.

In den europäischen Hauptstädten atmete man auf. Denn während Rom in der Zeit, als Salvini der eigentlich starke Mann dort war, auf Konfrontationskurs zu Brüssel gegangen war, übernahm nun eine europafreundliche Regierung die Geschäfte. Das zweite Kabinett Conte ist am Freitag 100 Tage im Amt. Manch einer in Italien fragt sich aber, ob es die 200 Tage noch erleben wird. Denn die Regierungspartner sind heillos zerstritten. Salvini lauert unterdessen auf seine Chance. Die Lega bleibt in Umfragen mit über 30 Prozent die mit Abstand stärkste Partei. Wenn jetzt gewählt würde, dürfte sie gemeinsam mit der Rechtsaußenpartei Fratelli d'Italia und der konservativen Forza Italia die Mehrheit der Sitze holen.

Die Vielzahl der Streitthemen im Regierungslager ist kaum überschaubar: Plastiksteuer, Zuckersteuer, Dienstwagenbesteuerung, Verjährungsfristen, Wahlrecht oder die Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM lieferten zuletzt jede Menge Zündstoff. Italienische Medien beobachteten, dass sich Conte und Sterne-Chef Luigi Di Maio schon nicht mehr grüßten. Die Sterne, die bei der Parlamentswahl 2018 stärkste Partei wurden, sind in Umfragen weit zurückgefallen und leiden ihrerseits unter Flügelkämpfen.

Die Zahl der Regierungspartner, mit denen sich Conte arrangieren muss, hat sich im Übrigen vergrößert: Kurz nach seiner erneuten Vereidigung im September hatte sich der frühere Ministerpräsident Matteo Renzi von der PD abgespalten und eine neue Partei, Italia Viva, gegründet. Zwei Minister und mehrere Dutzend Parlamentarier folgten ihm. Der eigenwillige Ex-Premier stützt zwar weiter Conte, liefert aber auch Konfliktpotenzial. Als vierten im Bunde gibt es noch die kleine Mitte-Links-Partei Liberi e Uguali (LeU). Von einer «Nicht-Allianz» sprach das italienische Magazin «L'Espresso».

«Die Regierung ist im Grund komatös und unfähig zu regieren. Sie wird durch einen Faktor künstlich am Leben erhalten: Die Drohung, die bei Wahlen von Matteo Salvinis Lega ausgeht», schreibt der Analyst Wolfango Piccoli von der Denkfabrik Teneo. Dieses ziemlich prekäre Gleichgewicht könne jederzeit zerbrechen. Ähnlich sieht es Francesco Galietti von Policy Solar. «Es gibt einfach keine Harmonie. Wenn die so weitermachen, dann wächst Salvinis Popularität nur noch», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Dass Salvini bei den Italienern gut ankommt, erklärt Galietti mit einer «sehr starken Nachfrage nach Sicherheit». Hinzu komme sein persönliches Auftreten.

Die erste Regionalwahl seit Amtsantritt von Conte-2 gewann die Rechte Ende Oktober in Umbrien mit 20 Punkten Vorsprung vor Mitte-Links. Ende Januar will Salvini auch die rote Hochburg Emilia-Romagna erobern. Gegen seine populistischen und fremdenfeindlichen Parolen regt sich aber eine neue Protestbewegung. Als der «Capitano» am 14. November in der Regionalhauptstadt Bologna auftrat, riefen junge Leute zu einer Gegenkundgebung mit dem Ziel auf, mehr Menschen zusammenzubringen als er. Die Piazza Maggiore wollten sie eng gedrängt wie Sardinen füllen, und das gelang.

Daraus entstand die Bewegung der «Sardinen», die seither in zahlreichen weiteren Städten die Plätze füllte. 25 000 Menschen waren es in Mailand, 40 000 in Florenz, und an diesem Samstag ist eine Großkundgebung in Rom geplant. Ob die Stimmung, die die «Sardinen» gegen Salvini machen, ihn am Ende Stimmen kosten wird, bleibt abzuwarten. In einer jüngsten Umfrage für die Zeitung «La Repubblica» lag die Lega erstmals seit längerem wieder knapp unter 30 Prozent. Salvinis persönliche Zustimmungswerte sind im Dezember aber gegenüber Oktober noch deutlich gestiegen.

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