Ist genug genug?

Ist genug genug?

Als ich das erste Mal nach Thailand, genauer nach Pattaya kam, war ich überrascht, um nicht zu sagen schockiert, wie unbehelligt ältere Farangs hier mit jungen Thais Hand in Hand durch die Straßen spazierten, am Strand saßen oder in den Bars und Restaurants. So etwas kannte ich aus Deutschland nicht. Dort wurden intime Heimlichkeiten versteckt, und wenn sie aufflogen nach der damaligen Gesetzeslage sanktioniert.

Inzwischen hat sich viel verändert. Es gibt seit einiger Zeit sogar die „Ehe für alle“. Sie kam, nach langer Vorarbeit von dem Bundestagsabgeordneten Volker Beck, plötzlich und über Nacht. Nein, es ging kein Jauchzen durch das Land, und es hat sich auch nicht viel verändert. Die meisten Homosexuellen hatten die Ehe schon immer als ein spießiges Auslaufmodell gehalten, hatten die Statistiken der Scheidungen und Seitensprünge in Rechnung gestellt und daraus geschlossen, dass diese Form des gemeinsamen Lebens keine Chance hatte. Und nun sollten oder durften sie selbst heiraten. Zugegeben, für einige war es eine Befreiung. Homo- und Heterosexuelle waren vor dem Gesetz gleichgestellt. Wann hatte es das in Deutschland je gegeben? Heteros frohlockten: „Warum soll es den Schwulen besser gehen als uns“? Umfragen ergaben, dass 90 Prozent der Bevölkerung mit dieser neuen Regelung einverstanden waren. Aber diese Statistiken waren höchst oberflächlich entstanden und berücksichtigten nicht die Vorurteile, die sich hinter der sogenannten Akzeptanz oder Toleranz verborgen hielten. Wenn es echte Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Geschlechter gäbe, dann bräuchte man weder Akzeptanz oder Toleranz (= Duldung), da Gleiches gleich ist. Aber fast jeder, der behauptet, nichts gegen Homosexuelle zu haben, ist in Wirklichkeit homophob, schwulenfeindlich eingestellt. Zum einen ist er so aufgewachsen und erzogen worden, zum anderen gibt es immer das Eine oder andere, das sein Missfallen erregt. Selbst Schwule sind zu einem großen Teil homophob. Mal schämen sie sich für sogenannte Schwuchteln, mal für die öffentliche Darstellung ihrer Sexualität. Die meisten Homosexuellen in Europa leben lieber anonym, passen sich an, und die wenigsten outen sich – bis auf den heutigen Tag. Das hat sich auch nicht geändert seit prominente Politiker oder Künstler öffentlich geheiratet haben, Fußballer sich geoutet haben oder weltbekannte Schauspieler sich zu ihrer abweichenden Sexualität bekannten.

In Europa ist das Thema offiziell gelöst. In vielen anderen Ländern wird es noch bestraft, in einigen Ländern sogar mit der Todesstrafe. Heute, während ich diese Kolumne schreibe, sehe ich gerade im Fernsehen eine Riesengruppe im Freudentaumel: Ab sofort ist das Strafgesetz gegen gleichgeschlechtlichen Verkehr in Indien abgeschafft. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Öffentlichkeit, die Nachbarn sich verändert haben. Sie werden weiterhin dagegen ankämpfen. Warum? Zum einen ist es wohl die Angst vor dem Unbekannten, Ekel vor der Vorstellung oder die Behauptung, dass dadurch weniger Kinder geboren werden. Jedes Land, das Homosexualität unter Strafe stellte, hatte dafür eine andere Erklärung. Und alle waren falsch! Die Schwulen mussten herhalten als Sündenböcke für das Fehlverhalten der Staaten. Und sie fanden dafür auch immer die Zustimmung der Mehrheit. Aber so war es ja schon immer: wer auf Minderheiten eindrischt, der gewinnt die Masse für sich, ganz egal, ob es gegen Juden, Sinti oder Romas geht, die Schwulen sind an allem schuld. In den KZs der Nazis standen sie wertmäßig am untersten Ende und wurden als erste vergast. Ich habe, ich hatte einen Bruder, der das bis heute begrüßt. Traurig aber wahr. Ich will andersgeschlechtlichen gegenüber weder Akzeptanz noch Toleranz. Sie alle sind gleich. Sie haben sich nichts vorzuwerfen. Kein Mensch hat sich ausgesucht, ob er als Junge oder Mädchen auf die Welt kommt, und ebenso ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen, dass niemand sich seine sexuelle Identität ausgesucht hat.

Die Zeit, als die „Sünder“ noch mit Stromstößen „geheilt“ werden sollten, gilt – zumindest bei uns – als überwunden. Und so erlebe ich meine neue Heimat Thailand. Hier gab es nie ein Verbot oder Gesetz gegen Homosexualität. Der Kindersegen blieb trotzdem nicht aus, ganz im Gegenteil: er sorgte für viele Familien – insbesondere im Isaan – für die Lebensgrundlage. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch in den islamischen Ländern hat sich nichts geändert. Gerade sah ich im Fernsehen, wie ein lesbisches Paar ausgepeitscht wurde, weil es der Koran angeblich so fordere. Manchmal befürchte ich einen Rückfall in alte Zeiten, vielleicht um Wählerstimmen zu gewinnen. Und dann höre ich die angeblich so liberalen Heteros schreien: „Ja, was wollen die Schwulen denn jetzt noch? Sie haben doch alles erreicht. Jetzt wollen sie auch noch Kinder haben bzw. adoptieren. Jetzt ist Schluss! Genug ist genug!“ Und damit ist der Begriff von der Gleichheit der Geschlechter auch wieder aus der Welt. Die Mehrheit wird auch in Zukunft sagen: „Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber…“

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Hans-Dieter Volkmann 27.10.18 14:44
Jürgen Franke 27.10.2018 10:03
Werter Herr Franke, ich würde gerne eine konkrete Aussage machen. Eine solche Aussage ist nicht möglich ohne dabei theologische Argumente zu gebrauchen. Dies lässt die Redaktion nicht zu. Kommentare von mir mit theologischer Begründung wurden nicht veröffentlicht. Wenn Sie den Eindruck haben ich wolle maßregeln dann tut mir das leid. Es war nicht meine Absicht. Ich will einfach nur anderen Lesern deutlich machen das es da auch noch andere Meinungen gibt welche nicht im Strom der Massen schwimmen. Ich finde es absolut rechtens wenn andere Meinungen auch einen Anspruch auf Gehör haben. Auch dann wenn sie manchen als absurd erscheint.
Jan-Frederic Czatorisky 27.10.18 13:23
Danke
Ich wollte Ihnen einfach fuer den sehr objektiven Artikel danken. Undeklariert seinen Lebenstil zu pflegen, finde ich allerdings voellig in Ordnung.
Scheinbar ist es aber manchen Menschen ein Beduerfnis, uns in Cis und Trans, L, G, B und I einzuteile. Warum ist mir schleierhaft. Und wenn es in Teilen Thailands moeglich ist, mit seinem Partner Hand in Hand zu gehen, dann durfte ich das hier zum ersten Mal "in Freiheit" geniessen. Inzwischen sind wir zehn Jahre ein Paar und seit vier Jahren in Europa verheiratet.
Jürgen Franke 27.10.18 10:03
Herr Volkmann, unter Ihr Pauschalurteil
"sehr krankhaft" kann man sich vieles vorstellen. Werden Sie doch mal konkret, bevor Sie andere Kritiker maßregeln.
Hans-Dieter Volkmann 27.10.18 01:22
David Hermann 26.10.2018 18,45
Herr Hermann, ich persönlich bin weit davon entfernt das Privatleben anderer Menschen vorzuschreiben. So wie Sie und Andere habe auch ich eine Meinung bezüglich des Zustandes unserer heutigen Gesellschaft. Sie erwarten das jene die sich das Mittelalter zurück wünschen, in die autokratischen Entwicklungsländer auswandern. Damit mischen Sie sich ja auch in das Privatleben Andersdenkender ein. Ich sage es ganz deutlich. Wie ein Mensch lebt hat er auch ganz persönlich zu verantworten. Nur habe auch ich eine ganz persönliche Meinung über den Zustand unserer Gesellschaft, und den halte ich für sehr krankhaft.
Hans-Dieter Volkmann 22.10.18 13:51
Rene Schnüriger 21.10.18 14:48
Ich zitiere ihre Aussage: "Die europäische Gesellschaft ist krank." Ich behaupte es wird noch schlimmer, wenn sich diese Gesellschaft erst einmal daran gewöhnt hat.
Jürgen Franke 21.10.18 14:49
Wie man sich sexuell zu verhalten hat,
bekommt man erst einmal von den Eltern, von der Kirche und später vom Staat verordnet. Etwas später wird dann festgestellt, dass die sexuellen Empfindungen doch etwas anders sind. Das zu äußern, ist für viele Menschen nicht einfach. Die Heirat ist für viele Menschen der bequeme Ausweg, um sich anzupassen.