Iran nimmt «Rädelsführer» von Unruhen fest

Amnesty: 115 Tote

TEHERAN (dpa) - Höhere Benzinpreise trieben Menschen im Iran in Scharen auf die Straßen. Die Regierung verschweigt bis heute, wie viele Protestler getötet wurden. Die Schuld für die Unruhen sieht sie nicht bei sich, sondern bei den üblich Verdächtigen.

Iranische Sicherheitskräfte haben nach den landesweiten Protesten 180 mutmaßliche Rädelsführer festgenommen. Dabei soll es sich um Monarchisten sowie oppositionelle Volksmudschaheddin handeln, die von den USA, Israel und Saudi-Arabien angeheuert worden seien und sich wie Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat benommen hätten, hieß es in einer Erklärung des Nationalen Sicherheitsrats vom Sonntag. Wie viele Menschen bei den einwöchigen Unruhen ums Leben kamen, teilte der Sicherheitsrat nicht mit. Amnesty International berichtete von mindestens 115 Menschen, die von Sicherheitskräften gesetzeswidrig getötet worden seien.

Im Iran hatten Menschen tagelang und landesweit gegen eine Erhöhung der Benzinpreise und eine Rationierung von Kraftstoff demonstriert. Mit einer Internetblockade wurde verhindert, dass Informationen, Bilder und Videos von den Protesten verbreitet werden. Die Revolutionsgarden (IRGC), eine systemtreue Elitetruppe, erklärten die Unruhen am Donnerstag für beendet. Am Montag ist in Teheran eine staatlich organisierte Großdemonstration zur Unterstützung der iranischen Führung geplant.

Die Angaben über getötete Demonstranten gingen auf glaubhafte Berichte zurück, teilte die Menschenrechtsorganisation am Samstag auf Twitter mit. «Wir glauben, dass die Zahlen weitaus höher sind, und wir setzen die Untersuchungen fort», hieß es weiter. Amnesty forderte alle Staaten auf, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Die iranischen Behörden hatten nur einmal berichtet, dass bei Demonstrationen am 15. November neun Menschen ums Leben gekommen seien - vier Demonstranten, drei Mitglieder der Revolutionsgarden und zwei Polizisten. Danach wurden diese Opferzahlen nicht mehr aktualisiert. Die Führung habe befürchtet, dass Angaben über viele Tote die Proteste weiter anfachen könnten, meinten Beobachter.

Die Internetblockade wurde zwar am Freitag aufgehoben, dennoch gab es auch am Sonntag noch Störungen im Land. Eine Kommission des iranischen Parlaments kam am Sonntag zu dem Schluss, dass Telekommunikationsminister Muhammed-Dschawad Asari-Dschahromi keine Schuld an der Internetblockade treffe. Die USA hätten gegen den falschen Minister Sanktionen verhängt, sagte der Abgeordnete Mehrdad Lahuti nach der Sitzung laut Nachrichtenagentur Isna. «Die Entscheidung der Internetsperre wurde vom Nationalen Sicherheitsrat getroffen und alles andere dann dem Innen- und nicht dem Telekommunikationsminister überlassen.» Minister Dschahromi habe von Anfang auf die negativen Folgen hingewiesen.

Wegen der Blockade verhängte die US-Regierung Sanktionen gegen Minister Dschahromi. Er soll die repressive Internetzensur vorangetrieben haben und an der Überwachung von Oppositionellen beteiligt gewesen sein, hieß es zur Begründung.

Wegen der Inhaftierung des US-Journalisten Jason Rezaian hat ein Bundesgericht in Washington den Iran zur Zahlung von rund 180 Millionen Dollar (163 Millionen Euro) Schadenersatz verurteilt. Rezaian - der sowohl die amerikanische als auch die iranische Staatsbürgerschaft besitzt - arbeitete als Korrespondent der «Washington Post» in Teheran. Im Juli 2014 wurde er gemeinsam mit seiner Ehefrau Yeganeh Rezaian unter Spionagevorwürfen festgenommen. Rezaian wurde am 16. Januar 2016 aus der Haft entlassen - nach 544 Tagen.

Richter Richard Leon schrieb in der Urteilsbegründung: «Einen Mann als Geisel zu halten und ihn zu foltern, um in den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten einen Vorteil zu erringen, ist empörend.» Das Urteil, das auf eine Klage Rezaians gegen die Islamische Republik zurückgeht, solle auch der Abschreckung dienen. Es wird nicht erwartet, dass die iranische Regierung den Richterspruch respektiert und Rezaian entschädigt. Angesichts der Spannungen zwischen Washington und Teheran dürfte das Urteil vor allem symbolischer Natur sein.

Angesichts der Proteste hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu die Führung in Teheran als «das weltweit größte Terror-Regime auch gegen die eigenen Bürger» verurteilt. «Der Iran greift nicht nur seine Nachbarn und uns an, sondern auch seine Bürger», sagte Netanjahu am Sonntag in Jerusalem. «In den vergangenen Wochen haben sie Hunderte iranischer Zivilisten abgeschlachtet», so Netanjahu. «Ich rufe alle Länder der Welt, die Frieden und Stabilität in unserer Region erzielen wollen, dazu auf, sich den Anstrengungen anzuschließen und mehr und mehr Druck auf den Iran auszuüben.»

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