Modi hofft nach Wahl auf zweite Amtszeit

Foto: epa/Piyal Adhikary
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NEU DELHI (dpa) - Narendra Modi polarisiert Indien. Als Premierminister hat er den versprochenen Aufschwung nicht gebracht. Mit seinem hindu-nationalistischen Populismus könnte er trotzdem wiedergewählt worden sein. Das erinnert manche an Figuren wie Trump und Erdogan.

Auf die Marathon-Wahl folgt nun die Mammut-Auszählung: Nach sieben Wahlphasen über knapp sechs Wochen entscheidet in Indien an diesem Donnerstag die Auswertung etwa 600 Millionen abgegebener Stimmen, wer die weltweit größte Demokratie in den kommenden fünf Jahren regieren wird. Weil die Bevölkerung weiter stetig wächst, gilt dort jede neue Parlamentswahl als größte der Menschheitsgeschichte.

Diesmal waren 900 Millionen Menschen wahlberechtigt - mehr als die Einwohnerzahl der Europäischen Union und der USA zusammen. Umfragen sagen eine zweite fünfjährige Amtszeit für die hindu-nationalistische Partei BJP von Premierminister Narendra Modi voraus. Umfragen sind in Indien zwar notorisch unzuverlässig, alles andere als ein Sieg der BJP wäre aber eine Überraschung.

Modi polarisiert, profitiert aber von einer schwachen Opposition und gilt als Meister der politischen Kommunikation. Der 68-Jährige lässt bevorzugt sein Twitter-Konto für sich sprechen, dem mehr als 47 Millionen Nutzer folgen. An seine Anhänger wendet er sich auch über eine eigene App. Eine Pressekonferenz hat er in seinen fünf Jahren als Regierungschef nicht gegeben. Interviews gewährt er selten - und wenn, dann in der Regel nur Medien, die ihm genehm sind.

Auf der Titelseite der aktuellen Ausgabe des US-Magazins «Time» prangt Modis Gesicht neben den Worten «Indiens Chef-Spalter». Eine Wiederwahl Modis würde die weltweite Siegesserie rechter Populisten ausbauen, schreibt die «New York Times». Sie vergleicht ihn mit dem US-Präsidenten Donald Trump, dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Ungarns rechtsnationalem Premier Viktor Orban.

Als Vertreter der «Hindutva»-Bewegung, deren Anhänger eine Mehrheitsherrschaft der Hindus im laut Verfassung säkularen Indien wollen, war Modi schon bei der Parlamentswahl 2014 umstritten. Ihm haftete der Vorwurf an, im Jahr 2002 als Regierungschef des Bundesstaates Gujarat Hindu-Mobs angeheizt zu haben, die Hunderte Muslime massakrierten.

Der Sohn eines Teeverkäufers überzeugte damals aber mit einer guten Bilanz wirtschaftlicher Entwicklung unter seiner Regierung in Gujarat. Er versprach zehn Millionen neue Arbeitsplätze pro Jahr und ein Ende der in Indien grassierenden Korruption. Als erste Partei seit 30 Jahren erreichte seine BJP eine absolute Mehrheit.

Die damals herrschende Aufbruchstimmung ist inzwischen verpufft. Es fehlt weiterhin massiv an vernünftigen Jobs - vor allem für die etwa zwei Drittel der 1,3 Milliarden Inder, die jünger als 35 Jahre sind. Auch der Korruption ist längst nicht der Garaus gemacht worden.

Für Indiens rund 180 Millionen Muslime und andere Minderheiten ist das Leben zudem schwieriger geworden. Es hat in den vergangenen Jahren Dutzende Lynchmorde gegeben - meist an Muslimen, denen vorgeworfen wurde, Kühe geschmuggelt, getötet oder gegessen zu haben. Gläubigen Hindus sind Kühe heilig. Die Lynchmobs kommen oft ungestraft davon.

Radikale Hindus sehen sich durch die Politik der BJP ermutigt. Die Aussagen, die am stärksten polarisieren, stammen meist nicht von Modi selbst, sondern aus seinem Umfeld wie etwa von der BJP-Kandidatin Pragya Singh Thakur. Sie bezeichnete vor wenigen Tagen Nathuram Godse, den hindu-nationalistischen Mörder des «Vaters der Nation» Mahatma Gandhi, als Patrioten. Manche radikale Hindus lehnen den 1948 erschossenen Gandhi ab, weil er ihrer Ansicht nach der muslimischen Minderheit zu viele Zugeständnisse gemacht hatte.

Thakur ist der Mittäterschaft an einer Serie von Bombenanschlägen gegen Muslime im Jahr 2008 angeklagt. Sie verbrachte neun Jahre im Gefängnis, seit zwei Jahren ist sie auf Kaution frei. Modi hatte die Aufstellung der als «heilige Frau» lebenden Asketin zur Botschaft dafür erklärt, dass es keine hinduistischen Terroristen gebe. Bei Wahlkampfauftritten hat die politisch unerfahrene Thakur einem Bericht zufolge die Wahl einen «religiösen Krieg» genannt. Die Götter hätten Modi und sie geschickt, «um euch vor den Monstern der Finsternis zu retten».

Shashi Tharoor, ein prominenter Politiker von der jahrzehntelang regierenden Kongresspartei, nannte die Wahl einen «Kampf um die Seele Indiens». Die Opposition scheint es aber nicht geschafft zu haben, den Wählern diese Dringlichkeit zu vermitteln.

Modi versteht es derzeit besser als jeder andere in Indien, den Ton des politischen Diskurses vorzugeben. Im Wahlkampf appellierte er an den Nationalstolz der Inder und gab sich als starker Beschützer des Landes. «Modi will nicht über Jobs und die Wirtschaft sprechen, deshalb sieht man diesen Schwenk hin zur nationalen Sicherheit und zur Selbstachtung», meint die Journalistin Barkha Dutt im Podcast «Grand Tamasha». Der Trick zeige Wirkung: Bauern, die über niedrige Zuckerrohrpreise klagten, sprächen im selben Atemzug stolz davon, wie hoch Indien nun in der Welt angesehen werde.

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