Enorme Hilfsbereitschaft für Geflohene aus der Ukraine

Die aus der Ukraine ankommenden Flüchtlinge warten am Nyugati-Bahnhof in Budapest auf Busse. Foto: epa/Zoltan Balogh
Die aus der Ukraine ankommenden Flüchtlinge warten am Nyugati-Bahnhof in Budapest auf Busse. Foto: epa/Zoltan Balogh

TISZABECS: Vor sieben Jahren wetterte die rechtsnationale Regierung in Budapest mit fremdenfeindlichen Parolen gegen Flüchtlinge aus Nahost und Asien. Den geflohenen Ukrainern rollt sie heute nahezu den roten Teppich aus. Sinneswandel oder politisches Kalkül?

Mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer hat Russlands Krieg in die Flucht geschlagen. In den Notunterkünften entlang der 140 Kilometer langen Grenze Ungarns zur Ukraine sind fast ausschließlich Frauen und Kinder anzutreffen. Das Gesicht der Flucht ist hier weiblich.

Frauen wollen ihre betagten, an Krankheiten leidenden Mütter und Großmütter in Sicherheit bringen, junge Mütter ihre kleinen Kinder. Am Steuer der Autos, die über die Grenze kommen, sitzen fast nur Frauen. Männer im wehrfähigen Alter, das in der Ukraine von 16 bis 60 Jahren reicht, lassen die ukrainischen Grenzbeamten nicht durch.

Jewgenija (20), eine Journalistin aus der umkämpften Millionenstadt Charkiw, bringt es so auf den Punkt: «Wenn du jetzt kein Kämpfer, kein Soldat bist, musst du sehen, dass du überlebst.» Mit ihrer alten Großmutter hat sie das Erstaufnahmezentrum der ungarischen Baptisten in Tiszabecs erreicht.

Die Wohnviertel von Charkiw seien vom russischen Militär gnadenlos mit Raketen beschossen worden, sagt Jewgenija, die ihren vollen Namen nicht nennen wollte. «Nach vier Tagen, die wir meist im Bunker verbrachten, entschlossen wir uns zur Flucht.» Das Ziel der beiden Frauen ist Konstanz am Bodensee, wo Jewgenijas Eltern bereits leben.

In Ungarn treffen die Geflohenen aus der Ukraine auf viel Mitgefühl, Solidarität und Hilfsbereitschaft. Menschen aus ganz Ungarn geben am Hilfszentrum in Tiszabecs haltbare Lebensmittel, Decken, Kleider, Kinderspielzeug, Hygienebedarf ab. Andere bieten Mitfahrgelegenheiten und Unterkunft in ihren Häusern und Wohnungen an. Die Menschen aus dem Nachbarland können die ungarische Eisenbahn und die öffentlichen Verkehrsmittel in Budapest kostenfrei nutzen.

Im Hilfszentrum von Tiszabecs arbeiten 30 Mitarbeiter des Hilfswerks der ungarischen Baptisten sowie Freiwillige, die sich oft spontan gemeldet haben. «Es ist zutiefst beeindruckend, wie sich ganz Ungarn für die Menschen aus der Ukraine einsetzt», sagt Reka Berczelly, eine Sprecherin des Hilfswerks. Die Lager mit Hilfsgütern seien voll. Aber man weise nichts zurück, da niemand wissen könne, wie sich die Lage weiter entwickelt.

Eine der spontanen Freiwilligen ist die Budapester Start-up-Unternehmerin Dalma Teveli (26). Sie und ihre Freundin hätten sich kurzfristig entschlossen. Mal stehen sie unmittelbar am nahen Grenzübergang, um den Ankömmlingen Sandwiches, Schokoriegel und Trinkwasser zu reichen, mal helfen sie im Hilfszentrum aus. «Die Anstrengungen werden hier von Zivilorganisationen, Kirchengemeinden wie den Baptisten und privaten Freiweilligen getragen», sagt sie.

Teveli hatte schon 2015, im Jahr der großen Flüchtlingswanderung in Europa, am Budapester Ostbahnhof gestanden. «Da haben wir Menschen aus Syrien, dem Irak, aus Afghanistan geholfen», erinnert sie sich. Doch die rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban hieß die damaligen Flüchtlinge gar nicht willkommen.

Der mächtige Regierungschef, der seit 2010 amtiert, schwadronierte damals von einer «gelenkten illegalen Migration», die die Eliten des Westens angezettelt hätten. Mit islamischen Einwanderern hätten sie die «christliche und nationale Identität» der europäischen Völker zerstören wollen. Die Ukrainer seien hingegen «gute Christen», die sich leicht integrieren ließen, heißt es aus Orbans Umfeld.

Heute hängt Orban aber eher nach, dass er jahrelang eine politische Freundschaft mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegte. Inzwischen trägt er die EU-Sanktionen gegen Russland, die Beschlüsse der Union zu Waffenlieferungen an die Ukraine mit. Die von ihm kontrollierten staatlichen Medien rufen zur Solidarität mit den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine auf.

Am 3. April stehen in Ungarn Parlamentswahlen an. Erstmals seit zwölf Jahren sieht sich der Regierungschef einer geeinten Opposition gegenüber, die zumindest eine Chance hat, ihn abzuwählen. Orban reitet geschickt auf der Welle des Mitgefühls mit den ukrainischen Opfern seines langjährigen Freundes im Kreml. Und er wirbt mit einem populären Versprechen: «Wir werden Ungarn aus dem Krieg heraushalten.»

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