„Ich wurde geschlagen, bedroht und gedemütigt“

Schwere Foltervorwürfe gegen die Polizeiermittler und den Hilfsdolmetscher erhob gestern der Angeklagte Zaw Lin (rechts) im Zeugenstand vor der Strafkammer des Provinzgerichtes Koh Samui.
Schwere Foltervorwürfe gegen die Polizeiermittler und den Hilfsdolmetscher erhob gestern der Angeklagte Zaw Lin (rechts) im Zeugenstand vor der Strafkammer des Provinzgerichtes Koh Samui.

KOH SAMUI: Ist er einer der brutalen Mörder und Vergewaltiger von Hannah Witheridge und David Miller auf Koh Tao oder selbst ein Opfer? Gestern trat der burmesische Angeklagte Zaw Lin (22) in den Zeugenstand der Strafkammer des Provinzgerichtes Koh Samui und schilderte aus seiner Sicht die ‚brutalen Stunden“ seiner Festnahme und Vernehmungen durch die Polizei.

Sollte auch nur ein Bruchteil seiner Aussage zutreffend sein, dann erhält der Ruf der Thailändischen Polizei einen weiteren massiven Kratzer. Zaw Lin, Mitglied der burmesischen ethnischen Minderheit Yakhine aus der westlichen Arakan Provinz Myanmars, hatte bereits zwei Jahre als Hilfsarbeiter in der Tauchindustrie auf Koh Tao sowie zuletzt als Bedienung in dem Lokal ‚Brother‘ gearbeitet, als er im Zuge der Ermittlungen im Doppelmordfall ins Visier der Mordkommission geriet. Entgegen der Behauptung der Polizei besaß Zaw Lin nachweisbar einen Reisepass mit gültigem Einreisestempel und sogar eine Arbeitsbewilligung.

Als der kleinwüchsige Burmese gestern Vormittag mit seinen Fußketten in der Hand in den Zeugenstand schlurfte, schienen alle im Gerichtssaal Nummer 6 den Atem anzuhalten. Er lächelte verlegen, beantwortete einige Fragen sogar auf Thailändisch, war aber bei der Übersetzung aller Sachverhalte auf seinen eigenen burmesischen Dolmetscherin angewiesen, der ihn auch während des gesamten Verfahrens begleitet und betreut hatte. Die Staatsanwaltschaft aus Surat Thani hatte interessanterweise ebenfalls einen neuen Übersetzer für diese wichtige Momentaufnahme des Mordverfahrens verpflichtet – es war offensichtlich, dass die Anklagevertreter jedes Wort des Angeklagten verstehen und korrekt protokolliert in den Gerichtsakten sehen wollten.

Zaw Lins Aussage hier zum besseren Verständnis in chronologischer Reihenfolge:

„Mitten in der Nacht des frühen 2. Oktober stürmten Polizeieinheiten unsere Gemeinschaftsunterkunft in Chalok Baankao, Koh Tao. Sieben Menschen schliefen in einem Raum und wurden allesamt mit Handschellen versehen auf Polizeiautos verfrachtet. Ich hatte als Einziger die Hände auf den Rücken gefesselt und wurde von den anderen getrennt. Dann fuhr mich die Polizei in einen Raum, in dem mehrere Polizeibeamte und ein burmesisch sprechender Mann warteten.“ (Burmese war der bereits als Belastungszeuge vernommene Betreiber eines Pfannkuchenstandes auf Koh Samui namens Gamon Ou Son/die Redaktion)

„Dort sah ich ein einziges und letztes Mal meinen Landsmann und Bekannten Mau Mau, der von den Beamten gefragt wurde, ob ich sein Freund sei – er bejahte das und wurde weggeführt (Mau Mau belastete Zaw Lin später vor Gericht und ist einer der Hauptzeugen der Staatsanwaltschaft/die Redaktion). Als ich mehrfach eine Tatbeteiligung an den Morden verneinte, riss man mir das T-Shirt über den Kopf und die Hose und Unterhose herunter. Ein Polizeibeamter drehte die Klimaanlage voll auf und einer zog mir einen schwarzen Plastiksack über den Kopf. Ich drohte zu ersticken und biss das dünne Plastik durch, woraufhin zwei weitere zusätzliche Säcke über meinen Kopf gestülpt wurden. Insgesamt dreimal taten das die Polizeibeamten, bis ich bewusstlos wurde.“

„Immer wieder habe ich verneint, etwas mit den Morden zu tun zu haben. Dann hat mich der burmesische Dolmetscher, den ich durch die Plastiksäcke an seiner Stimme erkannte, in die Brust getreten. Ich wurde auch wiederholt hart ins Gesicht geschlagen. Der Dolmetscher sagte, wenn ich nicht gestehen würde, ziehe er mit einer Zange alle meine Zähne aus. Er drohte, man würde mich gefesselt und mit einem Stein beschwert ins Meer werfen, sollte ich nicht endlich meine Tat gestehen. Ich hatte Todesangst und verstand vieles nicht, was die Männer von mir wissen wollten.“

Soweit die übersetzte Schilderung des Angeklagten Nummer 1 Zaw Lin. – Weshalb er später mehrere in thailändisch verfasste Dokumente unterschrieb, die weder er noch sein handgreiflicher ‚Dolmetscher‘ lesen konnten, wurde durch weitere Details seiner Aussage verständlich. Laut seiner Einlassung wurde ihm von der Polizei angeboten, im Falle eines Geständnisses nicht mehr als vier oder fünf Jahre im Gefängnis verbringen zu müssen. „Zu diesem Zeitpunkt empfand ich eine ungeheure Todesangst“, so Zaw Lin, „und ich habe alles getan, was man von mir wollte.“

Der am gleichen Tag auf dem Festland verhaftete zweite Angeklagte Wai Phyo, der dort im Oktober eine neue Arbeitsstelle antreten wollte, schien bei seiner Vernehmung im Polizeirevier Punphin bei Surat Thani Ähnliches mitgemacht zu haben. Zaw Lin schilderte, wie ihn die Polizei auf Koh Tao kurz mit seinem Freund Wai Phyo telefonieren ließ und dieser unter Tränen gestammelt habe, er sei ‚halbtot und voller Angst‘. Daraufhin hätte er alles unterschrieben und keine Versuche mehr gemacht, irgendetwas zu leugnen, sagte Zaw Lin vor Gericht aus.

In der Tatnacht zum 15. September 2014 hätten sie David Miller und Hannah Witheridge nie gesehen, nicht vor der Tat und auch nicht nachher, beschwor Zaw Lin. Er rekapitulierte die Ereignisse so, dass sich er, Mau Mau und Wai Phyo nach der Arbeit gegen Mitternacht getroffen und gemeinsam am Strand getrunken und Gitarre gespielt hätten. Mau Mau sei mit seinem Motorrad noch eine Flasche Wein kaufen gegangen und dann vorzeitig nach Hause gefahren. Er, Zaw Lin und Wai Phyo hätten zu Ende getrunken und gegen 2 Uhr zu Fuß den Heimweg am Strand angetreten.

Laut seiner Schilderung versteckten sie die Gitarre kurzzeitig unter den Außensitzen der ‚AC Bar 2‘ und gingen am Strand in Höhe der Maya Bar schwimmen, es habe leicht angefangen zu regnen und sie hätten sich erfrischen wollen. Bei der Rückkehr aus dem Wasser seien plötzlich das Hemd und die Schuhe von Wai Phyo (Angeklagter 2/die Redaktion) nicht mehr aufzufinden gewesen. Auch die Gitarre habe sich nicht mehr unter dem Sitz der AC Bar 2 befunden, woraufhin sie verärgert nach Hause gelaufen wären. Sein nasses T-Shirt habe er, Zaw Lin, vor der Gemeinschaftsunterkunft zum Trocknen an eine Leine gehängt. Am nächsten Morgen habe er seinen Freund Wai Phyo mit dem zwischenzeitlich wieder vor der Unterkunft geparkten Motorrad in die Arbeit gefahren und sich dann wieder schlafen gelegt – es sei einer seiner beiden freien Tage im Monat gewesen, sagte Zaw Lin.

Der Prozess wird am 11. September mit der Aussage der unabhängigen Gerichtsmedizinerin Dr. Pornthip Rojanasunand fortgesetzt. Bis Ende September sollen in weiteren Verhandlungstagen die Zeugen der Verteidigung gehört werden, darunter auch die mit Spannung erwartete Schilderung des zweiten Beschuldigen Wai Phyo.

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Jürgen Franke 03.09.15 22:59
Lieber Herr Gruber,
nach der Lektüre frage ich mich erneut: Wie halten Sie das bloß aus??? Koennen Sie eigentlich nach so einem Tag, nach alldem, was Sie hoeren mußten, überhaupt noch schlafen?? Es ist ja ungeheuerlich und so widerlich, was da geschildert wird. Ich kann nur hoffen und wünschen, dass der gesamte Prozess ausgiebig in allen Polizeikreisen ausführlich besprochen wird und entsprechende Lehren, sowie Konsequenzen daraus gezogen werden. Herr Gruber, bleiben Sie bitte weiter am "Ball" und bleiben Sie weiterhin gesund.