Husten, Schnupfen, Heiterkeit

Husten, Schnupfen, Heiterkeit

Vor einiger Zeit rief ein Bekannter mich an und lud mich ein zu einer Grillparty am kommenden Dienstag. „Dienstag“? fragte ich, musst Du dienstags nicht arbeiten“? Er lachte kurz und antwortete: „Ich bin krankgeschrieben wegen Grippe. Ich versicherte mich noch einmal, ob ich richtige gehört hatte: „Grippe“? Antwort: „Naja, ich bin etwas erkältet.

Aber zurzeit haben doch alle Grippe. Warum sollte ich das nicht ausnützen? Mein Hausarzt hat mir 14 Tage Urlaub geschenkt, um meine Erkältung auszuheilen“. Ich war einigermaßen irritiert. Etwas Husten, etwas Schnupfen und dann 2 Wochen lang feiern? Ich folgte trotzdem der Einladung. Es war ein fröhliches und ausgelassenes Fest. Der arme „Kranke“ war am lustigsten. Ich fragte ihn nach seinem Krankheitszustand. Er lachte nur. „Wenn du 2 Wochen geschenkt bekommst, würdest du das ablehnen? Wir leben nun mal in einer Welt, in der jeder mitnimmt, was er kriegen kann. Warum sollte ich das nicht auch tun –oder“?

Wie gesagt, es war ein fröhliches Fest, und ich nahm aktiv daran teil. Aber als ich spät abends heim kam, dachte ich noch mal darüber nach: Ist das typisch für unseren deutschen Sozialstaat? Husten, Schnupfen und Heiterkeit? So kann es doch nicht vorwärts gehen. Wenn die Versicherten sich krank melden, obwohl sie nichts als eine gewöhnliche Erkältung haben, wenn Ärzte ohne spezielle Untersuchung sie für 2 Wochen krankschreiben? Nein, das darf nicht einreißen. Sonst kann unser Staat die notwendigen Aufgaben nicht mehr bewältigen. Ich war 45 Jahre berufstätig, vorwiegend selbstständig, aber ich kann mich an keinen Tag erinnern, an dem ich mich krank gemeldet hätte. Zugegeben, als Arbeiter, Angestellter oder Beamter denkt man darüber vielleicht anders, als wenn man selbstständig und für alles allein verantwortlich ist. Der Staat hat eine Verantwortung für mich übernommen. Andererseits bin ich auch dem Staat gegenüber verantwortlich, z. B. indem ich Steuern zahle. Steuerbetrüger gibt es überall, und ich behaupte, die „kleinen“ Steuerbetrüger, so wie mein armer kranker Bekannter, kosten dem Staat mehr als die großen Firmen, die natürlich auch alles daran setzen, ihre Steuerlast zu minimieren. Der sogenannte „kleine Mann“ sorgt für die Haupteinnahmen des Staates. Er wiederum tut alles, um den Staat zu betrügen. Wo immer es möglich ist, sich vor Steuern zu drücken, ist er dabei. Er hilft dem Nachbarn beim Bau seiner Garage: 200 Euro schwarz. Er hilft einem Bekannten beim Umzug: 100 Euro. Und die alte Frau im Rollstuhl, die er am Wochenende durch die Stadt schiebt, drückt ihm auch noch einen Fünfziger in die Hand. Korruption? Doch nicht in Deutschland! Korruption gibt es in den Staaten der Dritten Welt, aber doch nicht bei uns. In Europa ist alles clean. Okay, mal ein kleines Extra hier oder da, aber ansonsten alles clean. Dass diese Einstellung jedem Staat in Europa viele Milliarden kostet wird dabei nicht bedacht. Von diesen nicht gezahlten Steuern könnten Pflegekräfte endlich fair bezahlt werden, aber das begreifen diese Betrüger frühestens, wenn sie in einem Heim auf Pflege angewiesen sind. Der Staat kann nicht mehr ausgeben als er einnimmt. Überall gibt es Menschen, die für ein Monatsgehalt schuften, das nicht ausreicht, um den minimalsten Ansprüchen gerecht zu werden, während andere sich auf ihre Kosten große Grillfeste leisten. Das ist natürlich weder nur ein deutsches noch ein europäisches Problem. Überall wo Menschen leben, versuchen sie, so viel wie möglich für sich zu bekommen. In den Wahlmitteln dafür gibt es kaum Grenzen. In den letzten 30 Jahren konnte ich das hier in Thailand immer wieder beobachten: Ob Polizisten auf der Gehaltsliste von Bars oder Massagesalons stehen, ob kleine „Supermärkte“ ohne elektronischen Kassen massenweise Geld einnehmen, um höchstens einen kleinen Teil davon zu versteuern oder ob Verkehrspolizisten, sich etwas abseits vom Ort des Geschehens von 1.000 auf 500 Baht - natürlich ohne Quittung - herunterhandeln lassen, das ist hier alles normaler Alltag. Und wer in die oberen Schichten zu schauen versucht, der lebt gefährlich. Hier sackt man lieber unbeobachtet ein. Und wenn dann einer, der plötzlich ein hohes Amt erwischt hat, von einem Jahr zum anderen zum vielfachen Millionär wird, dann wundert sich auch kaum jemand darüber. „Eine Hand wäscht die andere“, sagt das Sprichwort. Noch nie ist einer auf die Idee gekommen dieses Sprichwort abzuwandeln in „Eine Hand verdreckt die andere“. Und das Ziel dabei ist immer wieder die Gier, mehr haben zu wollen als die anderen, mit welchen Mitteln auch immer.

Ich weiß nicht, ob ich aus einer anderen Welt komme oder in einer anderen Welt lebe. Mir ist dieses Spiel zutiefst suspekt, ich habe daran nie teilgenommen. Jeder von uns steht in der Verantwortung. Jeder von uns erwartet, dass ihm Verantwortung gewährt wird. Dann muss er sich aber auch solidarisch verhalten. Als mein Bekannter mir kürzlich berichtete, seine Tochter würde auf Mallorca heiraten und er würde gerne auf Krankenschein daran teilnehmen, da sagte ich ihm klar ins Gesicht: „Du bist ein ganz mieser Nassauer dieser Gesellschaft, nach dem Motto „alles nehmen aber nichts geben. Du solltest dich schämen“. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ich denke, er hat sich durch meinen empörten Protest nicht verändert. Er ist und bleibt ein Raffke.

Aber glauben Sie bloß nicht, er wäre dadurch isoliert. Im Gegenteil: Er ist wie die meisten.

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Wolf Pattayafreak 03.06.18 12:13
Na und?
Unser Staat und unsere Politiker(Volksvertreter oder besser Volksverräter genannt)leben es uns doch vor. Nur mit dem Unterschied, wenn unser Staat auf einmal Hehlerei betreibt ist es kein Straftatbestand sondern zu unserem Schutz, wenn das der kleine Bürger macht geht er in den Knast. Wenn unsere Politiker sich durch Mauschelei oder sonstige illegalen Tätigkeiten bereichern oder ihre Verwandschaft bereichern treten sie ledigl zurück, den Volkswirtschaftlichen Schaden ersetzt Niemand. Oder wenn bei Parteispendenaffären mal einer auffliegt und soll ausssagen, wird das einfach verweigert ("dazu sage ich nichts, da stehe ich im Wort") und es passiert nichts, siehe Kohl. Aber wenn so etwas der kleine Bürger wagte, sitzt er schneller im Knast wie er "piep" sagen kann. Dazu brauchen wir kein 3te Welt land, das können wir auch selbst sehr gut.
Jan-Christian Severin 03.06.18 12:13
Danke Herr Krüger für Ihre Kolumne. Ich versichere Ihnen, es gibt doch noch eine ganze Menge Menschen die Ihre Einstellung teilen. Die Basis für eine solche Einstellung ist die Erziehung, deshalb müssen junge Eltern ihren Kindern diese gesunde Einstellung mit auf den Weg geben. Ich schätze und lese Ihre Artikel sehr gern. Mit besten Grüssen aus Morges in der Schweiz.