Somalia kurz vor einer Hungersnot

​Hunderttausende in Lebensgefahr 

Habibas Familie lebt in einer zeltartigen Hütte in einem Flüchtlingslager in Somalia. Foto: Eva-Maria Krafczyk/dpa
Habibas Familie lebt in einer zeltartigen Hütte in einem Flüchtlingslager in Somalia. Foto: Eva-Maria Krafczyk/dpa

MOGADISCHU: Somalia steht kurz vor einer Hungersnot. Die Lage in dem dürregeplagten Land ist verzweifelt. Die islamistische Terrormiliz Al-Shabaab verschärft sie weiter.

Mittlerweile hat knapp die Hälfte der 16 Millionen Einwohner Somalias nicht mehr genug zu essen, 300.000 Menschen stehen nach Angaben des UN-Nothilfebüros OCHA kurz vor dem Hungertod. Dennoch zögern die Vereinten Nationen, offiziell eine Hungersnot in dem verarmten Land am Horn von Afrika auszurufen, durch die dann schnelle humanitäre Hilfe für das Land mobilisiert werden könnte. Mehrere UN-definierte Indikatoren einer Hungersnot seien noch nicht erreicht, heißt es. Dafür müssten 30 Prozent der Kinder massiv unterernährt sein oder die Zahl der Menschen, die täglich verhungern, auf zwei Erwachsene oder vier Kinder pro 100.000 Einwohner steigen.

Für viele Menschen sei es dann jedoch zu spät, warnt die Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC), die in mehreren Flüchtlingslagern im Land tätig ist. Vor Kurzem erzählte eine somalische Mutter dem IRC beispielsweise, dass bereits zwei ihrer Kinder auf dem Weg zu einem solchen Lager das Leben verloren hätten. «Jetzt versuche ich sicherzustellen, dass mein letztes Kind die dringend benötigte Behandlung gegen akute Unterernährung erhalten kann.»

Auch Ralph Achenbach, Geschäftsführer des IRC, fordert schnelle Hilfen: «Wenn bis zu einer offiziellen Erklärung der Hungersnot gewartet wird, könnte das Hunderttausende von Menschenleben kosten. Das war der Preis der Untätigkeit während der tödlichen Hungersnot in Somalia 2011, bei der 260.000 Menschen - die Hälfte davon Kinder - starben.» Die Hälfte aller Todesfälle sei damals eingetreten, bevor die Hungersnot offiziell ausgerufen worden sei, sagt Achenbach.

Obwohl auch andere Länder in Ostafrika nach jahrelanger Dürre mit Lebensmittelknappheit kämpfen, ist die Lage in Somalia besonders kritisch. Denn dort verschärft die Terrormiliz Al-Shabaab die Lage der Menschen. Die UN gehen in ihren Prognosen davon aus, dass die von den Extremisten beherrschten Regionen im Süden des Landes als erstes die Schwelle zur Hungersnot überschreiten werden. Denn dort können Bauern aus Angst ihre Felder nicht bestellen, und Einwohner trauen sich nicht auf die Straße, während die Terroristen wichtige Infrastruktur zerstören oder Angriffe auf Märkte ausüben.

Im September überfiel Al-Shabaab einen Hilfskonvoi mit Nahrungsmitteln in der Provinz Hiiraan und tötete dabei 20 Menschen, unter ihnen Frauen und Kinder. «Auf dem Höhepunkt der humanitären Krise sprengen die Terroristen Brunnen in die Luft, verhindern Hilfstransporte und hindern Menschen daran, die von der Dürre am schlimmsten betroffenen Gebiete zu verlassen», sagte Somalias Präsident Hassan Sheikh Mohamud wenig später vor der UN-Generalversammlung in New York.

Der Überfall war der Ausgangspunkt für eine ungewöhnliche Koalition zwischen den sonst auf Autonomie bedachten somalischen Dorf-Clans mit dem Militär. Es geht um zwei Ziele: die drakonische Herrschaft der islamistischen Terroristen zu beenden, und die bevorstehende Hungersnot abzuwenden.

Somalias Präsident Hassan Sheikh Mohamud hatte im Mai dieses Jahres zum Beginn seiner Präsidentschaft versprochen, sein Land von Al-Shabaab zu befreien. Somalia wird bei seinem Kampf gegen die Terrormiliz von den USA und der Türkei unterstützt.

«Wir werden weiterkämpfen bis der letzte Al-Shabaab-Kämpfer Hiiraan verlassen hat», sagt Hassan Hayow, einer der Clanführer in Zentralsomalia. Seit Jahren habe die Miliz das Leben in der Region zur Hölle gemacht. Der stellvertretende Informationsminister Abdirahman Yusuf sagt, Al-Shabaab nutze die Zivilisten im Kampf gegen das Militär als menschliche Schutzschilde. Viele Somalier flüchten daher in die Städte, um sich vor den Gefechten in den Dörfern in Sicherheit zu bringen - und vor den Racheakten der Extremisten. Ihre Felder und ihr Vieh müssen sie zurücklassen.

Auch in der Region Galguduud, wo Al-Shabaab noch immer etwa die Hälfte des Gebiets kontrolliert, haben die Extremisten viel Unheil angerichtet und die von der Dürre verursachte Nahrungsmittelkrise noch schlimmer gemacht. In den vergangenen sechs Monaten zerstörten sie Brunnen, brannten Häuser ab und beschädigten Mobilfunkmasten. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, bezeichnete die Zerstörung von für die Zivilbevölkerung unentbehrliche Brunnen als Kriegsverbrechen.

Die Not der Bevölkerung wächst Woche um Woche. Schon jetzt sind nach UN-Angaben 90 Prozent der Menschen von den Auswirkungen der Dürre betroffen. OCHA geht davon aus, dass Somalia im kommenden Jahr 2,27 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern für 7,8 Millionen Menschen benötigen wird.

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Ingo Kerp 02.12.22 14:50
Das Bild des Artikels ist symptomatisch für die Bevoelkerung von verarmten und hungernden Ländern. Mindestens 6 Kinder lungern um die Eltern herum. Natürlich, GV ist kostenlos und macht noch Spaß, allerdings nur, wenn man die Folgen = Kinder, auch versorgen kann. Solange diese weiter ohne Geburtenkontrolle in die Welt gesetzt wird, ändert sich nichts. Die Kinder koennen einem leid tun.