Hip, hip, hurra!

Hip, hip, hurra!

Nachdem ich lange genug mit meiner unverdienten Gesundheit herumgeprotzt habe, kam, was nicht anders zu erwarten war: Die linke Hüfte (englisch „hip“) konnte ihre Aufgabe nicht mehr wahrnehmen: Verbraucht, abgenutzt, zersetzt.

Eine neue Hüfte musste her. Nach etlichen Untersuchungen entschied der Chefarzt der orthopädischen Abteilung eines namhaften Privatkrankenhauses in Bangkok über den OP-Tag. Vertrauensvoll sah ich diesem Tag entgegen. Aber vorher kamen die Kassierer. 600.000 Baht verlangten sie im Voraus als Deposit. Kein Problem. Ich hatte ja meine internationale Krankenkasse. Dachte ich. Leider hatte das Hospital mit meiner Krankenkasse kein Abkommen darüber, dass sie die Vorkos­ten bereits übernimmt. Natürlich hatte ich nicht so viel Geld parat, stattdessen aber gute Freunde, die den Betrag vorsteckten. Dann konnte ich endlich operiert werden. Als ich aufwachte war die neue Hüfte implantiert. Bislang völlig schmerzfrei. Nach einigen Tagen, angefüllt mit therapeutischen Übungen, stand die Entlassung an. Davor standen allerdings wieder die Kassierer mit der End­abrechnung: Noch einmal 250.000 Baht. Ob das jeder hier zur Verfügung hat? Ich bezweifle das. Aber ohne Deposit keine Behandlung. Hospitäler in Thailand sitzen auf Millionen unbezahlter Rechnungen. Zu oft schon haben Patienten sich der Bezahlung entzogen. Ich frage mich, was machen Urlauber, die hier die schönste Zeit des Jahres verleben wollen, wenn plötzlich eine schwere Krankheit auftaucht und sie über keine Auslandsversicherung verfügen. Das gilt natürlich ebenso für Expats. In meinem Fall ist es so: Ich zahle bar und reiche die Rechnungen anschließend ein. Aber so viel Geld hatte ich nicht zur Verfügung, aber hilfsbereite Freunde. Deshalb mein dringender Rat: Schließen sie eine Reiseversicherung ab, die auch im außereuropäischen Ausland gilt und überzeugen Sie sich, dass Ihr bevorzugtes Krankenhaus mit dieser Versicherung kooperiert. Meine Versicherung wird sich wundern, nachdem ich über Jahre keine Kosten abgerechnet habe und stattdessen einen kleinen Teil meiner Beiträge regelmäßig erstattet bekam.

Früher übersah ich häufig Behinderte, beruhigte mein Gewissen, indem ich den Bettlern etwas Geld gab. Ich bin emphatischer geworden, stelle mir heute vor, wie sie ihren Alltag bewältigen und denke gleichzeitig: Es geht mir doch gut im Vergleich zu diesen lebenslänglich vom normalen Leben Ausgeschlossenen. Ich werde in einigen Monaten wieder topfit sein, nur eine Frage der Zeit. Ja, und Sie fragen, wo die spitze Feder geblieben ist? Vielleicht ist in dieser Situation etwas Bescheidenheit angesagt. AKK, Nahles oder Merkel und Seehofer erreichen mich zurzeit nicht, und nicht einmal die Damen und Herren von ganz rechts. Da die sich vorwiegend im Westen austoben, wollen wir sie durch ständige Erwähnung nicht hierherlocken. Die FARANG-Leser sind vorwiegend deutschsprachige Urlauber oder Expats, die sich hier eingerichtet haben, um in Ruhe und Frieden ihr Leben zu genießen. Sie sind nicht auf Krawall gebürs­tet, genießen im Zweifelsfall sogar mal den allzeit angriffslustigen Kolumnisten, wenn der mit Hut kaum über die Tischkante hinwegsehen kann. Aber das wird nicht immer so bleiben. Versprochen. Schließlich gibt es auch hier genug zu nörgeln und zu meckern. Da will ich auf Dauer nicht abseitsstehen. Aber noch bin ich auf fremde Hilfe angewiesen, bekomme sie auch, weil ich mich über viele Jahre für andere engagiert habe. Oder wie meine selige Großmutter immer sagte: „Was du vorneraus herschenkst, das kommt doppelt und dreifach durch die Hintertür wieder zu dir zurück.“ Einige meiner Freunde haben gelegentlich über mich gelächelt, wenn ich Kleingeld an Bedürftige verteilt oder bestimmten Leuten, die es nötig hatten, unter die Arme griff. Jetzt sehen sie erstaunt, dass mein Motto „Geben ist seliger als nehmen“ sich bewahrheitet. Ja, jetzt nehme ich Hilfe an ohne mich dafür zu schämen, auch wenn meine früheren Gaben nie unter diesem Anspruch standen. Wie sagt der Volksmund? „Freunde in der Not gehen selten auf ein Lot.“ Ich bin stolz, vom Gegenteil berichten zu dürfen. Einer, der viele Jahre lang auf meine Unterstützung angewiesen war, hat – ohne mich zu fragen – einen Monat lang Urlaub genommen, um mir ständig meine Wünsche von den Augen abzulesen, um für mich einzukaufen, zu kochen und mir bei den alltäglich anfallenden Aufgaben zur Seite zu stehen. Ich bin überwältigt, weil ich damit nie gerechnet habe. Andere sind in solch einer Situation vielleicht allein, weil sie immer nur an sich dachten. Denen wünsche ich, dass ihnen trotzdem die nötige Hilfe zuteilwird, um dann zu begreifen, in Zukunft etwas an ihrer egoistischen Haltung ändern zu müssen. Kein Mensch ist eine Insel, immer ist man nur ein kleiner Teil vom Ganzen und verantwortlich für den Nächsten, egal ob als Christ, Jude, Buddhist oder Muslim. Einer der Freunde, der mir auch ausgeholfen hat, als ich nicht genug Geld zur Verfügung hatte, war tagelang im Hospital um mich herum, damit es mir an nichts fehlte. Ein anderer hat mir seine Krücken gebracht, die er vor Jahren brauchte, als ihm eine neue Hüfte eingepflanzt wurde. Eine Hilfsorganisation, der ich seit vielen Jahren nahe stehe, schickte mir einen gebrauchten Rollstuhl, und viele Freunde besuchen mich, schicken mir aufmunternde Mails oder rufen mich an, um mir Trost zu spenden. Musste ich wirklich erst krank werden, um diese unerwartete Hilfsbereitschaft zu erfahren? Vielleicht. Vielleicht ein Wink des Schicksals, nicht nachzulassen, im Rahmen der Möglichkeiten anderen beizustehen. So wie ich seit vielen Jahren das Straßen-Kinder-Hilfswerk von Human Help Network Thailand unterstütze, so ist mir gleichzeitig bewusst, dass das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Viele Tropfen müssen zusammenkommen, damit diese Hilfe ihre segensreiche Wirkung entfalten kann. Aber nicht nur das Waisenhaus oder das Straßenkinderdorf sind auf Unterstützung angewiesen. Es gibt so viele solcher Einrichtungen, so viele, wie es Kranke und Arme gibt. Der Staat fühlt sich für sie nur in den seltensten Fällen zuständig. In den Thai-Familien gilt noch etwas von der früheren, ungeschriebenen Vereinbarung: Die Eltern ziehen die Kinder groß, und diese, sobald sie Geld verdienen, schicken einen Großteil nach Hause. Dass dieses Sozialverhältnis ein Auslaufmodell ist, ist kaum zu übersehen. Bevor die Familie dran ist, muss der Nachwuchs erst einmal seine eigenen Bedürfnisse befriedigen: iPhone, Smartphone – ohne die angesagte Technik ist man doch nichts. Ich besitze nur ein Handy, das meine Freunde als Bambusrohr bezeichnen, aber ich kann damit telefonieren. Und dann verfüge ich noch über einen altersschwachen Computer, mit dem ich Mails senden und empfangen und meine Kolumnen an den FARANG verschicken kann. Das genügt.

„Aber jetzt ist Schluss!“, sagt mein Helfer. „Die zweite Therapie-Einheit des Tages ist fällig.“ Okay, Eisbeutel auf die OP-Narbe, dehnen, strecken, beugen, und dann 50 Meter mit dem Walker die Wohnung rauf und runter laufen und nochmals rauf und runter. Selbstkasteiung nenne ich das. Aber es gibt keine Alternative dazu, wenn ich schnell wieder fit werden will. Das Auftreten tut noch ziemlich weh. Aber was soll’s? Ein Indianer kennt keinen Schmerz. In diesem Sinne, mal friedlich und ohne spitze Feder: Hip, hip, Hurra!

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