WHO wird zum Spielball der Mächte USA und China

​High Noon in Genf

GENF: USA gegen China, Trump gegen Xi: der Machtkampf der Supermächte ist voll im Gang. Von einem Zusammenrücken in der Corona-Krise ist nichts zu spüren. Und mitten im Sturm: die Weltgesundheitsorganisation.

High Noon, um Punkt 12.00 Uhr startet am Montag die Jahresversammlung der Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Virtuell, wegen der Corona-Pandemie, die auch das Topthema ist. Eigentlich. Aber ein Streit um die Teilnahme Taiwans als Beobachter droht die Einheit der 194 Mitgliedsländer gleich zum Auftakt der Weltgesundheitsversammlung (WHA) zu sprengen. Die WHO wird zum Spielball der Mächte USA und China - und könnte das größte Opfer in einer Welt sein, in der die US-Unterstützung für die Vereinten Nationen immer schneller schwinde und China immer mächtiger werde, meinte das «Wall Street Journal».

Am Montag droht ein Showdown. Hinter den Kulissen laufen die diplomatischen Drähte heiß. Aber statt um dringend nötige Impfstoffe und Medikamente geht es dieses Mal bei der Weltgesundheitsversammlung um Geopolitik. Auf der einen Seite stehen die USA, die Verbündete drängen, für Taiwans Teilnahme zu stimmen, auf der anderen China, das Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet.

Steckt die WHO in der Krise? «Diese Situation ist eher beispielhaft für eine größere Sinnkrise, in der die Organisation auslotet, welche Rolle sie in diesem geopolitischen Umfeld spielt», meint Gesundheitsexperte Jeremy Youde von der Universität Minnesota Duluth, der sich seit 15 Jahren mit der WHO beschäftigt.

Mehr als ein Dutzend Länder unterstützen den Ruf der USA nach Einladung Taiwans, darunter Deutschland, wie ein Regierungssprecher in Berlin betonte. Auf Pekings Seite stehen die meisten Staaten Afrikas, wo China in den vergangenen Jahren massiv investiert hat.

China ist UN-Mitglied, Taiwan, das seit 1949 eine eigene Regierung hat, nicht. China hat Taiwan in der WHO aber jahrelang als Beobachter geduldet. Nach einem Regierungswechsel auf der Insel blockt China seit 2017. «Die Regierung Taiwans hat die Ein-China-Politik aufgegeben und damit die Basis einer weiteren Teilnahme an der WHA zerstört», sagt der chinesische Botschafter in Genf, Chen Xu. Die WHO bezieht Taiwan in technische Expertenteams zwar immer ein, das Land fürchtet aber, Wichtiges zu verpassen, wenn es nicht teilnehmen darf.

Bei den US-Interessen geht es allerdings kaum um Taiwan und seine Politik. Vielmehr nutzt US-Präsident Donald Trump den Streit als Gelegenheit, von seinen eigenen Fehlern in der Corona-Krise abzulenken. Während die USA schon mehr Infektionen und Corona-Tote als jedes andere Land der Welt haben, geht Trump zum Angriff über und bedient gleich zwei Feindbilder: den Wirtschaftskonkurrenten China und die Vereinten Nationen in Form der WHO.

China trage Verantwortung, weil es das neue Virus erst vertuscht habe, und die WHO sei wie eine «PR-Agentur für China», sagt er. «Eine der gefährlichsten und kostspieligsten Entscheidungen der WHO war die katastrophale Entscheidung, sich gegen Reisebeschränkungen aus China und anderen Ländern auszusprechen», sagte Trump. Die WHO hätte schneller einschreiten müssen. «Das hätte Tausende Leben gerettet und weltweiten wirtschaftlichen Schaden verhindert», behauptete er.

Dass die dringenden Appelle der WHO schon im Januar, Vorkehrungen gegen das Virus zu treffen, von vielen Ländern - auch den USA - ignoriert wurden: Trump lässt es außer Acht. Dass Grenzschließungen eine Ausbreitung nach Studien nur verzögern, aber nicht verhindern können, auch. Stattdessen fror Trump die US-Beiträge an die WHO im April ein und lässt jetzt «die Rolle der WHO in der verheerenden Handhabe und Vertuschung der Ausbreitung des Coronavirus» prüfen.

Im Windschatten der USA mucken allerdings auch andere Länder jetzt auf. So fordern etwa Japan, Australien und andere eine unabhängige Untersuchung über den Ursprung der Pandemie, die China bislang verweigert. Auch die EU: Das sei nötig, um zu lernen, damit sich die Welt vor künftigen Pandemien besser schützen könne, schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in der «FAZ».

Warum stemmt China sich gegen eine Untersuchung? «Der Grund dafür dürfte sein, dass die Aufdeckung der wirklichen Vorgänge sich negativ bis verheerend auf die Legitimität der herrschenden Eliten auswirken könnte», schreibt Junhua Zhang vom European Institute for Asian Studies (Eias) in Brüssel in der «NZZ». Wenn China sich sicher sei, in Wuhan, wo das Virus zuerst auftauchte, nichts falsch gemacht zu haben, sollte es einer Untersuchung doch gelassen entgegen sehen.

Gelassen bleibt Chinas Botschafter Xu in Genf. «Anti-chinesische Stimmung? Das sehen wir nicht. Eine kleine Zahl von Leuten hat eine andere Meinung, aber die repräsentieren nicht den Zeitgeist.»


Trump: Noch keine endgültige Entscheidung über WHO-Beiträge

WASHINGTON: US-Präsident Donald Trump hat nach eigenen Angaben noch keine endgültige Entscheidung über die amerikanischen Beitragszahlungen für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) getroffen. Derzeit lägen alle Beiträge auf Eis, schrieb Trump am Samstag auf Twitter. Eines von «zahlreichen» Konzepten, die die Regierung in Erwägung ziehe, sehe vor, künftig nur noch zehn Prozent der bisherigen US-Beiträge zu bezahlen, was den «viel niedrigeren» Zahlungen Chinas entspreche, sagte Trump.

Der US-Präsident hatte vor einem Monat einen Zahlungsstopp an die WHO veranlasst - mitten in der Coronavirus-Pandemie. Die Maßnahme stieß international auf Kritik. Trump wirft der Sonderorganisation der Vereinten Nationen schwere Versäumnisse in der Pandemiebekämpfung und China-Hörigkeit vor. Am Donnerstag sagte er, kommende Woche könnte es möglicherweise eine Ankündigung aus Washington zur WHO geben.

Das Budget der in Genf ansässigen WHO besteht nach eigenen Angaben zu weniger als einem Viertel aus den verpflichtenden Beiträgen der Mitgliedsstaaten. Die USA sind in diesem Kreis der größte Zahler: Für die Jahre 2020 und 2021 sind jeweils fast 116 Millionen US-Dollar fällig. Chinas Beitrag liegt für diese beiden Jahre bei jeweils rund 57 Millionen US-Dollar. Chinas Beiträge sind in den vergangenen Jahren aber deutlich gestiegen: 2018 und 2019 lagen sie noch bei je 37,9 Millionen US-Dollar, während sie bei den USA fast gleich blieben. Die Höhe der Mitgliedsbeiträge hängt laut WHO von der Bevölkerungsgröße und dem Wohlstand des Landes ab.

Hinzu kommen freiwillige Beiträge, die sich im Fall der USA laut WHO in den Jahren 2018 und 2019 auf insgesamt mehr als 656 Millionen Dollar beliefen. China kam auf mehr als 10 Millionen US-Dollar. Trump führt immer wieder an, dass die USA zwischen 400 und 500 Millionen US-Dollar pro Jahr an die WHO zahlten, China dagegen nur rund 40 Millionen US-Dollar. Nimmt man die verpflichtenden und freiwilligen Beiträge zusammen, kommt man auf diese Werte.

Nach dem US-Zahlungsstopp hatte China angekündigt, der WHO mit zusätzlichen 30 Millionen US-Dollar unter die Arme greifen zu wollen. Seit dem Ausbruch des Coronavirus war dies die zweite Zahlung, die die Chinesen der WHO in Aussicht stellten.

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