Biden reist nach Polen

Große Erwartungen an der Nato-Ostflanke 

US-Präsident Joe Biden nimmt an einer Pressekonferenz nach dem Nato Sondergipfels im Nato Hauptquartier teil. Bei dem Treffen soll über die aktuelle Lage im Krieg Russlands in der Ukraine beraten werden. Foto: Michael Kappeler
US-Präsident Joe Biden nimmt an einer Pressekonferenz nach dem Nato Sondergipfels im Nato Hauptquartier teil. Bei dem Treffen soll über die aktuelle Lage im Krieg Russlands in der Ukraine beraten werden. Foto: Michael Kappeler

WARSCHAU: Für Polen ist der Krieg im Nachbarland Ukraine ganz nah. Geflüchtete kommen über die Grenze, und auch Russland ist nicht weit. Die Angst vor einer russischen Aggression ist groß in Polen. Warschau hofft auf die Unterstützung der USA - nun kommt Präsident Biden zu Besuch.

Es ist ein Besuch, von dem sich Polen viel erhofft. Nach einem Gipfelmarathon in Brüssel reist US-Präsident Joe Biden an diesem Freitag weiter nach Polen. Das Land hat eine mehr als 500 Kilometer lange Grenze zur Ukraine sowie eine Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad. Der Nato-Mitgliedsstaat fühlt sich von Russland bedroht - der Krieg in der Ukraine ist nicht weit weg. In Warschau herrscht parteiübergreifend die Überzeugung, dass man sich nur auf die USA als wahren Verbündeten verlassen kann. Das macht es einerseits leicht für Biden - er hat die Sympathien auf seiner Seite. Allerdings können zu hohe Erwartungen auch allzu leicht enttäuscht werden.

Bis zum Schluss war nicht so wirklich klar, was Biden in Polen überhaupt genau machen wird. «Ich darf wohl nicht sagen, wohin ich fahre, oder? Aber wie auch immer, ich hoffe, ich werde viele Leute sehen», scherzte Biden am Donnerstag in Brüssel.

In der Nacht zum Freitag erklärte das Weiße Haus dann, Biden werde sich am Flughafen der Stadt Rzeszów im Südosten Polens - nur rund 90 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt - zunächst über den humanitären Einsatz zur Versorgung der Flüchtlinge unterrichten lassen. Im Anschluss will er dort stationierte US-Soldaten treffen. Am Samstag führt er in Warschau Gespräche mit Präsident Andrzej Duda und will eine wichtige Rede halten. Bidens Besuch dürfte symbolisch jedenfalls von großer Bedeutung sein - der Anführer des Westens reist an die Ostflanke.

Die USA hatten vor Kriegsausbruch 4700 Soldaten der 82. Luftlandedivision aus North Carolina nach Polen verlegt. Sie verstärken die bislang 4500 Soldaten, die die USA schon seit Längerem in Polen stationiert haben. Einen ständigen US-Militärstützpunkt in Polen gibt es bislang nicht. Die nationalkonservative PiS-Regierung in Warschau möchte seit Langem mehr US-Truppen in ihrem Land haben. Am Vortag von Bidens Besuch betonte Regierungschef Mateusz Morawiecki in einem Interview mit der «Washington Post», sein Land brauche eine permanente US-Militärbasis und 30.000 bis 40.000 US-Soldaten. Insgesamt befinden sich aktuell rund 100.000 US-Soldaten in Europa.

Es ist unwahrscheinlich, dass die USA Polen diesen Wunsch erfüllen werden. Die westlichen Nato-Mitglieder würden dies als potenzielle Provokation Moskaus sehen. Ausgeschlossen ist aber nicht, dass die US-Regierung weitere Truppen aus den USA nach Europa schickt, um die Nato-Ostflanke zu stärken. In Polen sehnt man sich nach amerikanischer Führung. In einer Situation echter Bedrohung sehe man deutlich, dass die Welt eine starke amerikanischen Führung brauche, sagte Präsident Duda am Vorabend von Bidens Besuch in einer Ansprache an die Nation. «Ein sicheres Polen und ein (sicheres) Europa brauchen mehr Amerika, sowohl militärisch als auch wirtschaftlich.»

Doch zuletzt hatte es zwischen den Partnern Verstimmungen gegeben. Offenbar nicht abgesprochene Vorschläge Polens sorgten in den USA - freundlich gesagt - für Irritationen. Da war zum einen die Sache mit den Kampfflugzeugen vom Typ MiG-29. Anfang März schlug Warschau vor, die Maschinen über einen US-Stützpunkt in Deutschland an die Ukraine zu übergeben. Die USA lehnten das recht brüsk ab. Eine solche Maßnahme könnte zu einer direkten Konfrontation zwischen Nato-Kräften und dem russischen Militär führen, was eine Eskalation des Krieges nach sich ziehen könnte, hieß es zur Begründung.

Zum anderen schlug Polens Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski bei einer Visite in Kiew in der vergangenen Woche eine «friedenserhaltende Mission der Nato» in der Ukraine vor. Auch dieser Vorschlag dürfte bei den Amerikanern auf taube Ohren stoßen. Biden hat ausgeschlossen, dass US-Soldaten in der Ukraine eingesetzt werden. Bidens Begründung: Wenn das US-Militär in der Ukraine gegen russische Soldaten kämpft, würde dies einen Dritten Weltkrieg auslösen. Mit dieser Argumentation lehnen die USA und die Nato auch die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine ab.

Doch Polen wünscht sich von den USA nicht nur militärische Unterstützung. Seit Kriegsbeginn vor einem Monat zählte Polens Grenzschutz 2,2 Millionen Ukrainer, die sich im Nachbarland in Sicherheit gebracht haben. Es gibt keine offiziellen Zahlen dazu, wie viele von ihnen in andere Länder weitergereist sind, aber ein Großteil ist bislang in Polen geblieben. Viele sind aber auch nach Deutschland weitergereist. Duda appellierte bereits Anfang März bei einem Besuch von US-Vizepräsidentin Kamala Harris an die US-Regierung, Geflüchtete aufzunehmen. Harris ließ ihn damals noch abblitzen.

Dass die US-Regierung bei dieser Haltung nicht bleiben kann, zeigte sich schnell - der Druck wuchs. Biden kündigte nun in Brüssel an, bis zu 100.000 Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen zu wollen. Die USA hätten die Verpflichtung, sich zu engagieren, sagte er. Sie müssten alles in ihrer Macht stehende tun, um «das Leid und den Schmerz unschuldiger Frauen, Kinder und Männer zu lindern». Die Ankündigung macht in Polen Hoffnung - doch ob Bidens Versprechen angesichts der großen Fluchtbewegung ausreichend ist, ist fragwürdig.

Offen ist auch, ob Biden angesichts der dramatischen Situation kritische Worte für Polens Regierung finden wird. Zuletzt hatte die US-Regierung ein geplantes Mediengesetz, gegen das Präsident Duda schließlich sein Veto eingelegt hat, mit deutlichen Worten als Gefahr für die Medienfreiheit eingestuft. Bidens Visite ist der 14. Besuch eines US-Präsidenten in Polen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Den ersten Besuch im damals noch kommunistischen Polen absolvierte 1972 Richard Nixon. Vor Biden war im Juli 2017 zuletzt dessen Vorgänger Donald Trump mit seiner Frau Melania in Warschau zu Gast.

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