Greipel auf Abschiedstour

«Jedes Rennen war wie eine Klassenfahrt»

Der Deutsche Andre Greipel von der israelischen Start-Up Nation bei der Tour de France 2021. Foto: epa/Benoit Tessier
Der Deutsche Andre Greipel von der israelischen Start-Up Nation bei der Tour de France 2021. Foto: epa/Benoit Tessier

STRALSUND: Noch ein paar Wochen, dann steigt André Greipel vom Rad. Nach 17 Profijahren ist für den 39-Jährigen zum Saisonende Schluss. Seine Abschiedstour beginnt in der alten Heimat, wo die Deutschland Tour losrollt. Auf seine Karriere blickt er mit Stolz.

Seine abgespulten Kilometer auf dem Rennrad reichen locker für mehrere Weltumrundungen, dazu feierte er 158 Profisiege auf fünf verschiedenen Kontinenten. Und doch wartet auf Sprintstar André Greipel im hohen Radsport-Alter von 39 Jahren noch ein Novum. Wenn am Donnerstag die Deutschland Tour in Stralsund startet, führt die erste Etappe durch die alte Heimat des gebürtigen Rostockers. «Das gab es ja noch nie, dass in meiner Heimat ein professionelles Rennen stattfindet. Ich kenne hier jede Straße», sagt Greipel im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Da passt es ganz gut, dass der Sprintstar mit der viertägigen Rundfahrt auch seine persönliche Abschiedstour einläutet. Nach 17 Jahren als Radprofi ist zum Saisonende Schluss. «Viele haben mir gesagt, dass man den Moment des Aufhörens spürt. Das habe ich in diesem Jahr gespürt», erzählt Greipel. An den Wattwerten oder der Einstellung zum Training habe es nicht gelegen. Auch sein Vertrag beim Team Israel Start-Up Nation wäre noch bis 2022 weitergelaufen. Aber das habe er «noch nie an Verträgen oder Jahreszahlen» festgemacht.

Irgendwann im Frühjahr sei der Entschluss gereift. Greipel hatte gerade nach mehr als zweijähriger Durststrecke wieder zwei Siege geholt. «Aber aus irgendeinem Grund hat mich das nicht mehr geflasht. Andere haben sich mehr gefreut als ich selber», berichtet der Routinier. «Das war für mich auch ein Zeichen zu sagen: 'Okay, jetzt reicht es'.» Das Leben bestehe nicht nur aus Radsport und Rennen fahren.

Dabei hat das Metier Greipels Leben bestimmt, seit er zehn Jahre alt wurde. Der Junge aus Rostock, wo auch Jan Ullrich geboren wurde, war vielleicht nicht das begnadetste Talent auf dem Rad, dafür aber von unbändigem Ehrgeiz getrieben. Das brachte dem Kraftpaket den Spitznamen «Gorilla» ein. Greipel kämpfte gegen viele Widerstände an, auch gegen die Sticheleien seines langjährigen Rivalen und zeitweisen Teamkollegen Mark Cavendish. Er nahm viele Umwege, meist in ausländischen Teams.

Und das Ergebnis kann sich sehen lassen: 22 Etappen gewann er bei großen Rundfahrten, davon elf bei der Tour de France. Greipel wurde WM-Dritter und dreimal deutscher Meister. Gemessen an der Anzahl seiner Siege, ist er der erfolgreichste deutsche Radprofi - noch vor Erik Zabel. «Ich habe den Radsport gelebt, geliebt und manchmal auch gehasst. Es ist eine Lebenseinstellung gewesen», erzählt der Familienvater. Viele Momente sind in Erinnerung geblieben. «Jedes Rennen war wie eine Klassenfahrt.» Und dieses «an die Grenze gehen», dieser «Hormonausschub» sei wie eine Sucht gewesen. Er sei stolz, dass er seinen Weg gegangen sei.

«Aber mit 39 Jahren kann man dem Ganzen nicht mehr weglaufen», sagt Greipel. Da trete man auch öfter auf die Bremse und gehe Risiken aus dem Weg. Viele Weggefährten werden ihn vermissen, wie Trainingspartner und Tour-Etappensieger Nils Politt. «André ist ein richtig guter Freund von mir. Es ist schade, dass er nächstes Jahr nicht mehr im Peloton dabei ist. Er hat aber so viel erreicht in seiner Karriere», sagt der Kölner der dpa. Zusammen mit Greipel, den es vor vielen Jahren nach Hürth ins Rheinland verschlagen hatte, und Rick Zabel bildet er häufig eine Trainingsgruppe.

Politt hofft, dass es so bleibt. «Aber bei schlechtem Wetter wird er sich wohl nicht mehr aufs Rad schwingen.» Dem Radsport will Greipel aber erhalten bleiben. Womöglich als Sportdirektor? «Dann bin ich wieder unterwegs. Dann bräuchte ich nicht aufhören. Ich möchte auch mal gerne zu Hause bleiben», sagt der Sprinter. Doch soweit ist es noch nicht. Ein paar Rennen warten noch. Und vielleicht auch ein Sieg, womöglich auf der Flachetappe in der Heimat. «Träume hat man viele. Ich werde mein Bestes geben.»

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