Goldgräber gegen Indigene

​Eine neue Dimension der Bedrohung

Foto: Freepik
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JACAREACANGA: Goldsucher im brasilianischen Amazonasgebiet greifen Ureinwohner an und beschießen die Polizei. Experten vermuten, dass kriminelle Organisationen aus Brasilien oder Venezuela dahinter stecken.

Per WhatsApp setzte Maria Leusa Munduruku einen Hilferuf ab. «Sie sind zu meinem Haus gekommen, eine große Gruppe, sie werden hier alles niederbrennen. Setzt alle in Bewegung, ich bin sehr besorgt», appellierte sie an Partnerorganisationen und Anwälte. Illegale Goldgräber hatten ihr Haus und das einer weiteren indigenen Anführerin angezündet - die beiden sind gegen den Goldabbau im Gebiet der Ureinwohner.

Zudem wurde das Dorf Fazenda Tapajós bei Jacareacanga im Bundesstaates Pará beschossen. Vergeltung für eine Operation, bei der die Polizei die Goldgräber aus dem indigenen Gebiet herausholen sollte, hieß es.

Der Kampf um Land im Norden Brasiliens dauert schon Jahrhunderte. «Spätestens in den 1980er Jahren weckte das an Bodenschätzen reiche Becken des Rio Tapajós das Interesse der Goldgräber», sagt die Anthropologin Luisa Molina von der Universität Brasília im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Ursprüngliche Lebensweise und industrialisierte Welt, Indigene und sogenannte Garimpeiros prallten aufeinander.

Der Tapajós ist einer der größten Amazonas-Nebenflüsse. Rund 14.000 Munduruku leben in der Gegend, 8000 von ihnen in zwei Gebieten bei Jacareacanga. Im Westen des Pará, wo Orte mit der Anmutung eines Westerndorfes keine Bank haben, dafür aber ein Dutzend Läden, die Gold an- und verkaufen, konzentriert sich mit rund 200 Gruben auch die Goldsuche im brasilianischen Amazonasgebiet. Die Garimpeiros schlagen Schneisen in den Regenwald, graben sich metertief in die Erde, verschmutzen den Fluss mit Quecksilber.

Nun hat die Zerstörung eine neue Dimension bekommen - und mit ihr die Bedrohung. Wie bei den Munduruku wurden auch bei den Yanomami Indigene von Goldgräbern angegriffen und sogar Polizisten beschossen. Experten vermuten deshalb, dass kriminelle Organisationen aus Brasilien wie das «Erste Kommando der Hauptstadt» (PCC) oder aus dem benachbarten Venezuela wegen des gestiegenen Goldpreises ihre Finger im Spiel haben.

Laut Medien gab es insgesamt mindestens 15 Verletzte, die Indigenen berichten von mehreren Toten. «Das ist - zusammen mit der Pandemie - der schlimmste Moment seit dem Zweiten Weltkrieg, den wir erleben», sagt Sônia Guajajara, leitende Koordinatorin des indigenen Dachverbandes Abip.

Die schwer bewaffneten Angreifer von heute haben nicht viel mit der romantischen Vorstellung von der Goldsuche zu tun, wie sie im kollektiven Gedächtnis des Landes verankert ist. Finanziell starke Unternehmer investieren in die Ausbeutung indigener Gebiete, entsprechend professionell ist das Gerät.

Die Unternehmer stecken auch hinter der illegalen Goldsuche bei den Munduruku - und beziehen dafür Indigene ein, um ihren Zugang zu den Gruben zu garantieren. Sie geben Familien Anteile, bringen Lebensmittelpakete, verschenken Motorräder. Sie nutzen aus, dass Indigene Handys haben und «TV Globo» schauen wollen - und spalten so das stolze Volk.

«Immer, wenn es einen Anstieg im Goldabbau gibt, steigt auch der Druck auf die Munduruku. Das hat man sehr klar in den vergangenen Jahren gesehen», sagt Anthropologin Molina. Die Zerstörung durch den illegalen Goldabbau bei den Munduruku nahm in den vergangenen zwei Jahren um mehr als 360 Prozent zu. Die Yanomami verloren im ersten Quartal 2021 rund 200 Hektar Wald durch Goldabbau.

Luftaufnahmen von Greenpeace zeigten jüngst die Verwüstung des mit fast zehn Millionen Hektar in den Bundesstaaten Roraima und Amazonas größten Schutzgebiets für indigene Gemeinschaften in Brasilien, das mit baumhohen Kratern und Goldgräber-Lagern durchzogen ist. Dort leben rund 27.000 Yanomami, mindestens 20.000 illegale Goldgräber halten sich nach Schätzungen in ihrem Gebiet auf.

Ureinwohner, die sich wie Maria Leusa Munduruku und die Vereinigung der Munduruku-Frauen wehren, leben gefährlich. Der Norden ist der Wilde Westen Brasiliens: ein Land ohne Gesetz, es gilt das Recht des Stärkeren. Die Gegner sind mächtig, und sie haben die Unterstützung von Jair Bolsonaro. Von Freitag (11. Juni) an wird der Oberste Gerichtshof über die Abgrenzung und Bestimmung von indigenen Gebieten urteilen, was für die Rechte der Indigenen Völker entscheidend sein kann.

Der brasilianische Präsident befürwortet die wirtschaftliche Nutzung des Amazonasgebiets, will den bisher illegalen Goldabbau in indigenen Gebieten erlauben. «Also fühlen die Goldgräber sich jetzt sehr ermutigt, zu konfrontieren, zu attackieren. Sie wissen, dass sie die Regierung an ihrer Seite haben», sagt Apib-Koordinatorin Sônia Guajajara. Und, dass sie wohl nicht bestraft werden. Umweltbehörden und Kontrollorgane wurden gezielt geschwächt. Die Corona-Krise schränkt die Beamten weiter ein - im Gegensatz zu den Goldgräbern. Diese arbeiten nicht im Homeoffice.

Auf die Frage, wo ein Ausweg für die Indigenen sein könnte, antwortet Sônia Guajajara: «Ehrlich gesagt - ich weiß es nicht. Die Sicherheit muss garantiert werden, aber wie?» Eigentlich ist das die Aufgabe des Staates, aber der hat sich zurückgezogen.

Die Munduruku gelten als eines der kriegerischsten Völker der Region. In diesem Kampf gegen die Goldgräber allerdings verließen Maria Leusa Munduruku und andere indigene Anführer mit ihren Familien das Dorf Fazenda Tapajós erst einmal und brachten sich an unbekannten Orten in Sicherheit.

«Angst haben wir nicht», hatte Maria Leusa Munduruku der Investigativ-Agentur Agência Pública gesagt. «Wir können nicht zurückweichen. Es geht nur darum, diesen Konflikten aus dem Weg zu gehen, denn wir haben noch viel vor.» Unter anderem, die Goldgräber zu vertreiben.

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