Giftspritze oder frei? Koh Tao Fall auf der Kippe

Ihr großer Auftritt ist am 11. September für einen ‚Sonderprozesstag‘ angekündigt: Thailands Nummer 1 Forensikerin Dr. Pornthip Rojanasunand wird im Mordfall von Koh Tao vor dem Provinzgericht Samui aussagen.
Ihr großer Auftritt ist am 11. September für einen ‚Sonderprozesstag‘ angekündigt: Thailands Nummer 1 Forensikerin Dr. Pornthip Rojanasunand wird im Mordfall von Koh Tao vor dem Provinzgericht Samui aussagen.

KOH SAMUI/KOH TAO: Nach sechs von 16 angesetzten Verhandlungstagen im Doppelmordprozess von Koh Tao ist das Klima zwischen Anklage und Verteidigung rau geworden. Welche Chance haben die Angeklagten? Droht ihnen die Giftspritze oder haben sie eine Chance, jemals frei zu kommen? Eine Zwischenbilanz der FARANG-Redaktion.

Seit ihrer Festnahme am 1. Oktober 2014, 15 Tage nach dem grausigen Mord an zwei britischen Touristen am Sairee Strand von Koh Tao, schienen Zaw Lin (heute 22) und sein gleichaltriger burmesischer Mitangeklagter Wai Phyo chancenlos und dem Tod geweiht. Die Ermittler ließen nie wieder locker. „Es waren diese Beiden“, konstatiert der leitende Staatsanwalt felsenfest vor dem Provinzgericht Koh Samui.

Die Tatortermittlungen, seit dem Auffinden der Leichen von Hannah Witheridge und David Miller am 15. September um 5.40 Uhr morgens, die Spurensicherung, die Auswertung von 12 Überwachungskameras im Dorf Sairee, zwei Belastungszeugen des Polizeilichen Forensischen Institutes Bangkok, von ihnen präsentierte DNA-Befunde – Thailands oberste Polizeibeamte sahen keinen Grund, sich und ihre Methoden in Frage zu stellen.

Die Verteidigung um den Bürgerrechtsanwalt Nakhon Chomphuchat und den angriffslustigen Starjuristen Veerasadki Chotivanich sieht das anders, und mit ihr die halbe Welt. Die um Stunden verschleppte Spurensicherung bis zum Eintreffen ‚echter Polizisten‘ aus Surat Thani: „Schlampig, nicht nach internationalen forensischen Richtlinien, fragwürdige Lagerung wichtigster Fundstücke wie der angeblichen Mordwaffe, einseitige Ermittlungen mit fahrlässigen Schlussfolgerungen“. Die Reihe von Versäumnissen aller beteiligter Polizeibehörden ergibt laut Anklage eine ‚verhängnisvolle Kausalkette‘, die eine objektive Aufklärung des Doppelmordes mit mindestens zwei Vergewaltigern von Hannah Witheridge fast unmöglich mache.

Der ‚Lawyer Council of Thailand‘, eine einflussreiche Anwaltsvereinigung mit Sitz in Bangkok, vertritt die burmesischen Gastarbeiter pro bono, das heißt auf eigene Kosten. Diesen Prozess stufen die Anwälte und ihre Berater als ‚exemplarisch‘ ein. Er soll nicht nur die Wahrheit über einen der schrecklichsten Mordfälle auf thailändisch-touristischem Boden ans Licht bringen, er soll auch einer Ermittlungsrealität Einhalt gebieten, die – so die Verteidigung - der Polizei alle Möglichkeiten einräumt und von ihr präsentierten Tatverdächtigen keine.

An sechs Tagen hatte die Verteidigung die Chance, vor einem breiten Publikum ihre Sicht darzulegen. Kameras und Notizblöcke mussten draußen bleiben. Wasser- und luftdicht war der Saal 6 der Strafkammer dennoch nicht. Journalistische Beobachter aus Großbritannien reihten sich in den Bänken neben unerschrockenen Reportern der Bangkok Post und des Internetportals ‚Khao Sod English‘. Für deutschsprachige Medien saß der FARANG als Ohr der Heimat im Gerichtssaal. Thailändische Medienvertreter blieben handverlesen. Nicht englischsprachige Thais erfuhren fast nur aus dem Internet, wie der Doppelmord von Koh Tao aufgearbeitet wird.

Die Argumente um die Glaubwürdigkeit der Polizei auf Koh Tao und der Ermittler sind vielfach ausgetauscht worden und unvereinbar geblieben. Das Gericht mit seinem Vorsitzenden Richter und zwei weiblichen Beisitzern steht dazwischen. Diese Drei müssen im Spätherbst ihr Urteil fällen: in einem Umfeld, das national tonnenschwer wiegt und von internationalem Scheinwerferlicht geblendet wird.

Nur wenige können ermessen, welcher Druck auf den Richtern lastet und ob ein mutmaßlich falsches Urteil ein Ende ihrer juristischen Karriere bedeutet. Anhänger der Anklage und Lobbyisten der Verteidigung schleppen die Polemik im Argumentationskoffer mit sich herum. Außerhalb des Gerichtssaales kam es zu wütenden Wortgefechten und sogar zu Bedrohungen durch uneinsichtige Polizeibeamte. Wer möchte in der Haut eines Vorsitzenden der Strafkammer stecken, der viel falsch und wenig richtig ‚richten‘ kann?

Vor einem ordentlichen Gericht in Großbritannien, Deutschland oder der Schweiz wäre dieser Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewiesen worden. Es gäbe hinreichende Gründe: Angeklagte nach der Festnahme 14 Tage ohne Rechtsbeistand, nie widerlegte Foltervorwürfe zur Beschleunigung eines Tatgeständnisses, gerichtlich aktenkundige Fehler bei der Spurensicherung, das Fehlen eines unabhängigen Gerichtsmediziners am Tatort Sairee Beach, Polizeiermittler, die stattdessen das eigene 'Polizeiliche Forensische Institut' mit der Obduktion und DNA-Analysen beauftragten.

Thailand ist nicht Europa. Als souveräner Staat mit einem stolzen Rechtsbewusstsein weist man westliche Gutmenschen und Kritikaster historisch ab, vor allem, wenn ein Fall solche Dimensionen angenommen hat und einigen Gesichtern der Totalverlust droht. Dass sich hohe Polizeioffiziere in sechs Verhandlungstagen von Starverteidigern wie Schuljungen düpieren lassen mussten, empfanden sie als Schmach für ihren Berufsstand und ihre Nationalität.

Was wiegen zwei unbedeutende burmesische Niemands aus einer Schar gesichtsloser Wanderarbeiter? Der eine 1,46 Meter groß, der andere 1,58. Sind sie nicht die brutalen Mörder zweier Touristen und der Reputation der Ferieninsel Koh Tao? Soll, das konnte man täglich aus den uni-formierten Gesichtern lesen, auch noch Thailands Integrität hingerichtet werden?

Der Albtraum vieler Polizisten kommt dennoch und er naht am 11. September bei einem Sonderprozesstag in Form einer nationalen Frontfigur und thailändischen Legende: Dr. Pornthip Rojanasunand, die anerkannte forensische Expertin im Königreich, deren internationales Renommee so groß ist wie die Aversion der thailändischen Polizeikaste gegen sie. Obwohl sie die Leiterin des ‚Thai Forensic Institut‘ in Bangkok ist, das dem Justizministerium und nicht der Polizei untergeordnet ist, wird sie erst mit einjähriger Verspätung in diesen Mordfall einbezogen. Die Verteidigung hatte lange darum kämpfen müssen. Die Einwilligung des Richters auf Koh Samui gilt als mittlere Sensation.

Die Friedensaktivistin und Kritikerin korrupter Polizeiarbeit soll die DNA-Spuren gegenuntersuchen, die von den forensischen Kollegen und der Polizei übrig gelassen wurden. Sie soll auch – und das hofft die Verteidigung – ihre Sicht der Ermittlungsarbeit auf Koh Tao vom Mordtag des 15. September 2014 darlegen. „Unsachgemäß, dilettantisch, unprofessionell“ hatte Dr. Pornthip Rojanasunand öffentlich die Spurensicherung genannt. Bleibt sie als Zeugin bei dieser Einschätzung, könnte das weitere Zweifel streuen. Auf diesen ist die Strategie der Verteidigung aufgebaut.

Das Verfahren um den Tod zweier ermordeter britischer Touristen auf Koh Tao und die Entscheidung über das Leben von zwei burmesischen Gastarbeitern auf Koh Samui ist in dieser Dimension eine Uraufführung. Dem weltweiten Publikum steht eine Tragödie in mehreren Akten bevor. Nach dem Ersturteil eine Berufung oder Revision. Und sehr wahrscheinlich fällt der letzte Vorhang vor dem Obersten Thailändischen Gerichtshof. Giftinjektion, lebenslange Haft oder Freiheit? Selbst wenn es dabei nur Verlierer geben wird, gibt es in diesem Drama welche, die mehr zu verlieren haben als ihr Gesicht.

Quelle: Fotos: epa, Archiv

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Jack N.Kurt Leupi 22.12.16 18:13
Giftspritze, aber für wen?
Kann mich den Worten von Herrn Peter Jürg Ern nur anschliessen und das journalistische Meisterwerk von Herrn Sam Gruber mehr als würdigen.Herzlichen Dank für das fundierte Aufarbeiten des bisher Geschehenen!Chapeau!