Gestrandet auf der Oder

Foto: epa/ Patrick Pleul
Foto: epa/ Patrick Pleul

KIENITZ (dpa) - Paul und Marietta Kamstra sind echte Weltenbummler. Per Schiff bereisten die Holländer bereits die entlegensten Ecken auf allen Kontinenten. In diesem Jahr wollten sie Europa erkunden. Doch die extreme Trockenheit machte ihnen einen Strich durch die Rechnung

Dafür, dass Paul und Marietta Kamstra bereits seit mehr als sechs Monaten wegen Niedrigwassers auf der Oder festhängen, machen die beiden Holländer einen erstaunlich entspannten Eindruck. «Wir haben es nicht eilig, wohnen ohnehin auf unserem Schiff und genießen die Ruhe», sagt der 74 Jahre alte Hausherr und bittet gastfreundlich in sein 25 Meter langes und fünf Meter breites schwimmendes Heim hinter dem Oderdeich im kleinen Hafen von Kienitz an der deutsch-polnischen Grenze.

Auf 120 Quadratmetern hat sich das Ehepaar ein gemütliches Zuhause eingerichtet. Zwei bequeme Ledersessel stehen vor einem Kamin, kuschlige Kojen unter Deck wirken einladend. Küche, Dusche, Handarbeitszimmer - nichts fehlt. Wer davon noch nicht beeindruckt ist, sollte einen Blick nach draußen werfen. Das bereits 1892 erbaute Wohnschiff «Avontuur» liegt in einem Seitenarm der Oder, in dem sich Enten und Möwen tummeln. «Wir haben das schönste Gefängnis, was ich mir denken kann», sagt Kamstra schmunzelnd. Biber, Fischotter und Seeadler hätten sie schon beobachtet. Nachts sei es bis auf ein paar Sterne so dunkel, wie in der Zivilisation nur noch selten zu finden, schwärmt er.

Zwei Tage lang hatten Marietta und Paul im Sommer auf einer Sandbank der Oder festgehangen. Dabei hat ihr Schiff nur eine Tauchtiefe von einem Meter. Doch der Fluss ist tückisch, erst recht bei Niedrigwasser. «Wir haben zwar derzeit eine durchschnittliche Tauchtiefe von einem Meter. Allerdings verändert sich die Fahrrinne aufgrund der Strömung und Wirbel in der Oder ständig», macht Sebastian Dosch vom zuständigen Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Eberswalde deutlich.

Das Ehepaar Kamstra war kurz zuvor noch stromaufwärts gefahren und wollte nach Polen. «Wir wollten bei Küstrin-Kietz über die Warthe in Richtung Gdansk», erzählt der Kapitän. Doch weil sie sich schon dort einmal festfuhren, drehten die Holländer letztlich um und wollten zurück - bis die Sandbank bei Kienitz sie aufhielt.

Alarmierte WSA-Mitarbeiter schleppten die MS «Avontuur» bis in den Hafen des Oderbruch-Örtchens und machten dafür eine teure Rechnung auf, wie Kamstra seufzend beschreibt. «Die Wasserschutzpolizei verbot uns die Weiterfahrt und ich hatte keine Lust, noch mal zu blechen», bekennt der 74-Jährige. Seitdem warten er und seine Ehefrau auf genügend Wasser unter dem Kiel, doch die Pegel sanken weiter. «Daran wird sich vorerst auch nichts ändern», sagt Dosch. Solange es im Odereinzugsgebiet in Polen und Tschechien nicht ergiebig regne, gebe es keinen Wassernachschub für den Fluss. «Die beiden werden da wohl noch den halben Winter verbringen müssen.»

Das Ehepaar Kamstra trägt diese Information mit Fassung. «Wir sind so viel in der Welt herum gekommen, da schadet so eine Pause nicht», erklärt die 63-jährige Marietta. Zudem haben sie neben zwei Fahrrädern auch ihr Auto mit an Bord, das bei Bedarf per schiffseigenem Kran ans Ufer gehoben wird. Der studierte Maschinenbauingenieur Paul hat das Schiff dementsprechend umgerüstet. Es steht jetzt am Ufer zudem auf zwei fest in den Boden gerammten Stelzen. Kamstra hat seine kleine Werkstatt mit Bohrmaschinen, Schraubstock und elektrischer Säge mit an Bord, hat immer etwas zu tüfteln. «Doch wir haben von hier aus auch Ausflüge nach Prag, in die Sächsische Schweiz, nach Dresden und Leipzig gemacht - Ecken, die wir sonst vielleicht nie besucht hätten», erklärt er.

Doch auch in ihrem «Naturparadies» in Kienitz fühlen sich die beiden Holländer wohl. «Unsere Nachbarn sind sehr zurückhaltend, aber auch wirklich nett», erzählt Paul. Bei dem einen könnten sie das Auto auf dem Grundstück parken, der Hafenbetreiber gebe ihnen Strom, wenn die gespeicherte Energie aus den Solarzellen an Deck aufgebraucht sei. Zudem lägen sie direkt am Oder-Neiße-Radweg. Bis in den Herbst hinein seien sie mit vielen vorbeikommenden Radlern ins Gespräch gekommen. «Wir sind wie Nomaden, fühlen uns überall zuhause», sagt seine Ehefrau.

Über eine Segelzeitschrift hatten sich Paul und Marietta vor 16 Jahren kennen gelernt: Er suchte eine Begleitung für die Erfüllung seines Jugendtraums - eine Weltreise. Sie hatte das passende Segelboot, war aber skeptisch. «Ich glaubte erst nicht, dass er überhaupt segeln kann, weil sein Boot nur an Land lag», erinnert sich Marietta. Erst als beide gemeinsam in ihrem Boot eine Regatta gewannen, war sie überzeugt. Beide verkauften ihr Hab und Gut und segelten mehr als acht Jahre lang durch die Welt. Zurück an Land wollen beide nicht. Als sie von der Weltreise zurück waren, beschlossen Kamstras, nunmehr Europa zu erkunden. Und kamen bis Kienitz.

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