Geisterhäuschen

Der heilige Schrein beim Erawan Hotel in Bangkok.
Der heilige Schrein beim Erawan Hotel in Bangkok.

Besuchern des ländlichen Thailands fallen die vor jedem Haus auf hohen Pfählen stehenden Geisterhäuschen auf. Das größere dieser Häuschen dient dem Erdgeist "Chao Thi” als Wohnsitz, den man beim Bau des Hauses aus dem Boden vertrieben hat. Die Menschen glauben, dass jedes Stück Land von einem Geist bewohnt wird. Will man also auf einem Grundstück ein neues Haus bauen, so ist es erforderlich, dem aus dem Boden des Bauplatzes vertriebenen Erdgeist ein neues Domizil anzubieten, damit er nicht mit den Menschen zusammen in dem neuen Haus wohnen muss. Daneben steht meist noch ein kleineres Häuschen für den "Chao Phum”, den Luftgeist. Vor dem Aufstellen der Geisterhäuschen wird zunächst der Dorfschamane befragt, der einen günstigen Platz ausmacht. Dabei gibt es natürlich ein paar Regeln. So darf der Schatten des neuen Hauses auf keinen Fall auf das Geisterdomizil fallen. Wenn diese Regeln nicht beachtet werden, kann es sein, dass die Geister nicht geneigt sind, ihr neues Zuhause zu beziehen, und das kann dann böse Folgen für die Hausbewohner haben.

Auch für die Form eines solchen Häuschens gibt es Regeln. Da die Geister aber alle scheinbar den gleichen Geschmack haben, ist es möglich, solche Häuser in Serienproduktion aus Beton herzustellen. In den Baustoffhandlungen werden neben allen Dingen, die man zum Hausbau braucht, fertige Geisterhäuschen in verschiedenen Größen und Preislagen angeboten. Für den Farang sehen sie oft wie bunte Vogelhäuschen aus. Auch vor Behörden, Banken, in Parks und sogar vor manchen Bars haben sie ihren festen Platz. Vor manchen großen Hotels oder Einkaufszentren hat man wahre Paläste für die Geister errichtet.

Das Geisterhäuschen ruht auf einer Säule aus Holz oder Beton, hoch genug, um Respekt auszudrücken, aber auch niedrig genug, um Opfergaben überreichen zu können. Die Plattform muss immer mindestens in Augenhöhe angebracht werden, denn eine niedrigere Bauweise könnte die Geister erzürnen.

Auf der Plattform der Geisterhäuschen stehen kleine Ton- oder Holzfiguren, wie Tänzerinnen, Elefanten oder Pferde. Oft ist sogar eine regelrechte Puppenstube eingerichtet, um den Geistern das Wohnen angenehm zu machen. Die Geister leben in Vollpension, mindestens einmal in der Woche und vor allem zu festlichen Gelegenheiten werden ihnen kleine Schälchen mit Essen und Trinken hingestellt, damit es den guten Geistern auch an nichts mangelt. Auch Coca-Cola oder ein Gläschen Mekhong wird wohl mal angeboten (mit Strohhalm bitte, damit der Geist auch trinken kann).

Manchmal - vor allem wenn sie direkt an der Straße stehen - sind die Häuschen auch mit bunten Lichterketten geschmückt, die bei Dunkelheit aufblinken. Auch Geister lieben augenscheinlich elektrische Beleuchtung

Wenn ein Geisterhäuschen vernachlässigt wird, so wird der Bewohner dafür sorgen, dass das auf dem Grundstück stehende Haus in den selben Zustand gerät. Wenn er gar sein vernachlässigtes Häuschen verlässt, so kann dies großes Unglück über die Hausbewohner bringen. Diese Geisterhäuser sind übrigens keineswegs ein buddhistischer Brauch, wie die Farangs meistens denken. Sie sind brahmanischen Ursprungs und von den Thais vor vielen Jahren übernommen worden.

Wenn meine Frau auf den Markt geht und Früchte mitbringt, wird immer etwas davon für die Geister abgezweigt, bevor die Familie sich über das Mitgebrachte hermacht. Auf meine etwas spöttische Frage, ob sie denn tatsächlich glaube, dass die Geister sich an den aufgestellten Früchten laben, antwortete sie mir einmal: "Du hast mir doch erzählt, dass ihr zum Geburtstag deiner Mutter an ihrem Grab Blumensträuße hinlegt. Glaubt ihr denn etwa, dass der Geist der Mutter aus dem Grab herauskommt und an den Blumen schnuppert?" Dazu war nun nichts mehr zu sagen.

Geister sind eben immaterielle Wesen, die den guten Willen für die Tat nehmen, als Zeichen, dass an sie in respektvoller Form gedacht wird. Dementsprechend wäre es auch eine Todsünde, die allerdings von unverständigen Farangs manchmal begangen wird, sich im Vorbeigehen eine frische Banane oder Orange von dem vor dem Geisterhäuschen stehenden Teller zu schnappen. Solch eine schwere Beleidigung der Geister kann böse Strafen, wie Unfälle oder Krankheiten, nach sich ziehen, und zwar nicht nur für den Sünder, sondern auch für den Hausbesitzer, der nicht besser aufgepasst hat. Der Farang darf sich also nicht wundern, wenn in solch einem Falle die Thais unverhältnismäßig hart reagieren.

Häufig sieht man solche Geisterhäuschen auch an unfallträchtigen Straßenstellen oder den Orten von Verbrechen, da hier nach dem Glauben der Menschen ein besonders böser Geist sein Unwesen treiben muss. Die Errichtung der Geisterhäuschen an solchen Stellen geschieht dann meist durch Personen, die ein Gelübde erfüllen.

Da Geister für Thais so real sind wie lebende Wesen, mag es auch nützlich sein, bei irgendwelchen Problemen den Hausgeist um Hilfe zu bitten. Da aber auch die Geister eben Thais sind, die nicht gerne etwas umsonst tun, verspricht man ihnen etwas, wenn sie geholfen haben oder der geäußerte Wunsch in Erfüllung gegangen ist, z.B. eine Flasche Reisschnaps oder eine schöne neue Figur für das Häuschen. Man muss dann dieses Versprechen aber auch einhalten, sonst können die Geister furchtbar böse werden.

Einige dieser Geisterhäuser haben mittlerweile auch besondere Bedeutung erlangt - so z.B. das Geisterhaus beim Erawan Hotel in Bangkok. Beim Bau des Hotels gab es ungewöhnlich viele Unfälle. Nach Befragung der dafür zuständigen Experten kam man zu dem Schluss, dass die Ortsgeister verstimmt seien, weil man auf dem Grundstück einige Bäume gefällt hatte, auf denen diese normalerweise geruht hatten. Um sie wieder zu besänftigen, war es also erforderlich, so schnell wie möglich einen großräumigen Schrein für sie zu bauen, wonach die Arbeiten ohne weitere Probleme zu Ende gebracht würden. Der damals errichtete Brahma-Schrein, der ursprünglich aufgestellt wurde, um Unglück von der Baustelle fernzuhalten, wird heute aber wegen seiner vielen Wunder täglich von Tausenden von Menschen besucht und ist zu einem regelrechten Wallfahrtsort geworden. Tag und Nacht beten Gläubige an dem 1956 errichteten Schrein zur Hindu-Gottheit um Gesundheit, Glück in der Liebe oder auch nur um die richtigen Lotterienummern bei der nächsten Ziehung. Das Hotelmanagement musste um den Schrein herum einen besonderen Tempelhof errichten, um Platz für die vielen Bittsteller zu schaffen. Dieser Schrein hat im Laufe der Jahre eine internationale Berühmtheit erlangt. Die Besucher erhoffen sich Glück in den alltäglichen Dingen des Lebens, wenn sie hier ein Opfer darbringen. Er ist dafür bekannt, dass man sich hier vom Erawan-Brahma Geld, Liebe, beruflichen Erfolg, aber auch Gesundheit und Erleuchtung erbitten kann. So werden an diesem Ort regelmäßig große Mengen Blumengebinde und kleine Holzelefanten niedergelegt, die laufend wieder beseitigt werden müssen, um der wahren Flut der Opfergaben Herr zu werden. Wird einem der Wunsch gewährt, besucht man den Schrein erneut, um sein Versprechen einzulösen. Für größere Wünsche steht eine Tanztruppe zur Verfügung, die zu Klängen eines traditionellen thailändischen Orchesters Tänze aufführt, um den hier wohnenden Geist durch eine dargebrachte Tanzdarbietung zu erfreuen und günstig zu stimmen.

Im März 2006 hatte ein Geistesgestörter die Statue mit einem Hammer attackiert und völlig zerstört. Er wurde von wütenden Passanten ergriffen und auf der Stelle gelyncht, ein Beispiel dafür, wie brutal Thais reagieren können, wenn sie einmal aus der Fassung geraten.

Günther Ruffert

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