Geiselhaft für «Diversity United»?

​Steinmeier eröffnet Ausstellung

Diversity United Ausstellung im ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin. Foto: epa/Filip Singer
Diversity United Ausstellung im ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin. Foto: epa/Filip Singer

BERLIN: In riesigen Hangars will «Diversity United» europäische Vielfalt in all seinen Kunstformen zeigen. Schon zum Start gerät die großartige Schau zwischen politische Mühlsteine.

Der alte Tempelhofer Flughafen steht für einige Monate im Zeichen grenzüberschreitender Gegenwartskultur. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnete am Dienstag in Berlin die russisch-französisch-deutsche Ausstellung «Diversity United».

In den riesigen Hangars geben rund 90 junge wie auch etablierte Künstlerinnen und Künstler aus 34 Ländern einen sehenswerten Überblick der aktuelle Kunstszene. Sie greifen dabei auf alle möglichen Formen zurück: «Diversity United» zeigt Malerei, Skulptur, Video und New Media, Fotografie, Installation, Zeichnung oder Objektkunst. Für die Vielfalt der Blickwinkel und Perspektiven stehen Kuratorinnen und Kuratoren aus Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Österreich und Russland.

«Außergewöhnlich ist diese Ausstellung wegen der Vielfalt der Kunst, die wir hier sehen. Außergewöhnlich aber auch wegen der Aussagekraft der Werke», sagte Steinmeier nach einem Rundgang durch die Hallen. Dies sei auch «ein Ausdruck des Selbstbewusstseins der Kunst und der Künstlerinnen und Künstler in Europa». Sie arbeiteten «bewusst grenzüberschreitend». In vielen Kunstwerken gehe es um Demokratie und ihre Gefährdung, um Globalisierung und Migration, um Spaltung und Solidarität «und vieles andere mehr bis hin zum Klimawandel».

Die Ausstellung, bis zum 19. September in Berlin zu sehen, soll anschließend in Moskau und Paris präsentiert werden. Eigentlich ist das Projekt Teil des Deutschlandjahres in Russland. Allerdings ist die Präsentation mit zahlreichen auch russland-kritischen Werken zum Spielball der Politik geworden. Am Rande der Eröffnung wurde gewarnt, die Ausstellung dürfe nicht «in Geiselhaft» genommen werden.

Nach einem Verbot von Nichtregierungsorganisationen in Russland hatte die deutsche Seite die nächste Veranstaltung des Petersburger Dialogs abgesagt. Betroffen von dem Konflikt ist auch die Ausstellung, die von der Stiftung für Kunst und Kultur in Kooperation mit dem Petersburger Dialog entwickelt wurde.

Die Stiftung kann sich nach den Worten ihres Vorsitzenden Walter Smerling «die Präsentation der Ausstellung Diversity United unter diesen Bedingungen nicht vorstellen». Gesetzt wird auf Rücknahme der Verbote «und auf die Wirkungsmacht der Kunst».

Für «Diversity United» ist die Überwindung eines solchen Konflikts das Ziel. «In einer Zeit der globalen Krise und zunehmenden politischen Sprachlosigkeit fordert die Kunst den gesellschaftlichen Dialog», sagen die Ausstellungsmacher.

In der Ausstellung ist reichlich Stoff zu finden für Nachdenken, Auseinandersetzung, Streit. Der türkische Konzeptkünstler Ahmet Ögüt schickt Besucherinnen und Besucher durch ein Spalier von Polizeischildern verschiedener Länder. Die Russin Ekaterina Muromtseva spielt mit lebensgroßen Aquarellen als «Streikposten» auf die Proteste der vergangenen Jahre an. Ihre Landsfrau Olga Chernysheva hat Kronleuchter am Straßenrand fotografiert. Von wegen Idylle: Fabrikarbeiterinnen müssen die von ihnen hergestellten Produkte selbst verkaufen, das Deputat ist ihr Lohn.

Die aus Zwickau stammende Henrike Naumann stellt mit «Ostalgie» ein komplettes Wohnzimmer auf die Seite. Unter der so möglichen Draufsicht werden aussortierte Möbel zur ostdeutschen Biografie. Lucy und Jorge Orta haben ein Ausweisbüro für Antarktika aus wiederverwerteten Materialien geschaffen. Inhaber ihre frisch gestempelten Pässe setzen sich ein für Freiheit ohne Grenzen für alle, Frieden, Menschenrechte und Klimaschutz.

Auch viele schon lange Zeit bekannte Namen sind zu finden. Georg Baselitz ist dabei, Olafur Eliasson, Gilbert & George, Anselm Kiefer mit einer raumgreifenden Theaterkulisse über Grenzen hinweg, Gerhard Richter hat Bilder aus Deutschland mit seinen Farbspuren versehen, Wolfgang Tillmans oder Rosemarie Trockel.

Sie schauen auf Macht und Gleichheit, thematisieren Migration und Territorium, fragen nach politischen und persönlichen Identitäten in einem Europa, das Verantwortung zu tragen hat in einer globalisierten Welt.

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