EU-Staaten streiten über Asylpolitik

Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser spricht im Vorfeld eines informellen Treffens der europäischen Innenminister in Lille an der Türschwelle. Foto: epa/Stephanie Lecocq
Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser spricht im Vorfeld eines informellen Treffens der europäischen Innenminister in Lille an der Türschwelle. Foto: epa/Stephanie Lecocq

LILLE: Mehr Abschottung oder mehr Offenheit? Innenministerin Faeser will mit einer «Koalition der Willigen» Schutzsuchende in der EU verteilen und wirbt für ein offenes Europa. Andere EU-Staaten sehen das ganz anders.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) erfährt in ihrem Bemühen um ein für Migration offenes Europa deutlichen Widerstand. «Wir brauchen einen stärkeren, einen robusteren Außengrenzschutz. Das ist die Allianz der Vernünftigen», sagte Österreichs Innenminister Gerhard Karner am Donnerstag am Rande eines Treffens mit seinen EU-Kollegen im nordfranzösischen Lille. Österreich gehört zu einer Gruppe von 16 Ländern, deren zentrale Forderung EU-finanzierte Zäune und Mauern an den Außengrenzen sind. Faeser legte hingegen einen anderen Schwerpunkt: «Es geht nicht nur um Abgrenzung. Deutschland steht nach wie vor für ein offenes, menschliches Europa.»

Die EU-Staaten streiten seit Jahren über ihre Migrationspolitik. Im Kern geht es um die Frage, ob und wie Schutzsuchende in der EU verteilt werden. Weil es kein Vorankommen gibt, haben die Länder sich zuletzt vor allem auf besseren Grenzschutz und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten konzentriert. Frankreich, das derzeit den rotierenden Vorsitz der EU-Staaten hat, unternimmt nun einen neuen Anlauf, Bewegung in die Migrationspolitik zu bringen.

Präsident Emmanuel Macron setzt dabei unter anderem auf einen deutlich besseren Schutz der EU-Außengrenzen und die systematische Kontrolle ankommender Migranten. So sollen auch mögliche Straftäter herausgefischt werden. Zudem will er die Rückführung von Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis in ihre Heimatländer beschleunigen.

Dass der große Wurf wohl nicht direkt gelingt, weiß auch Macron. Die EU-Staaten sollen nach jahrelangem Streit zunächst Vertrauen zueinander finden. Deshalb will Frankreich die Verhandlungen Schritt für Schritt voranbringen und alle Interessen berücksichtigen. Für Macron ist das Thema Migration besonders wichtig, weil erwartet wird, dass er zur französischen Präsidentschaftswahl im April antreten wird und mehrere Hardliner bei dem Thema unter seinen Konkurrenten sind.

Als ein Ergebnis des Treffens konnte Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin nun zumindest verkünden, dass Macrons Idee eines «Schengen-Rats» umgesetzt werden soll. In dem Gremium sollen sich die Innenminister der 26 Schengen-Staaten künftig regelmäßig mit Krisen etwa an den Außengrenzen oder im Inneren des Schengen-Raums befassen.

Grundsätzlich wachsen an den europäischen Grenzen derzeit Zäune, Mauern und Stacheldraht. Gerade erst hat Polen begonnen, eine Barriere von 5,5 Metern Höhe entlang seiner Landgrenze zu Belarus zu bauen. Zuletzt forderten 16 EU-Länder, dass Zäune und Mauern an den Außengrenzen aus dem EU-Haushalt bezahlt werden müssten. Österreichs Minister Karner bezeichnete die Gruppe als «Allianz der Vernünftigen». Die EU-Kommission lehnt ihre Forderung entschieden ab.

Deutliche Worte fand Luxemburgs Minister Jean Asselborn: «Das ist wirklich beschämend», sagte Asselborn. «Der reichste Kontinent der Welt würde um seine Grenzen Stacheldraht bauen, auf dem Meer vielleicht Minen setzen, damit nur kein Mensch mehr nach Europa kommt.» Auch die neue deutsche Ministerin Nancy Faeser äußerte sich ablehnend: «Es geht uns um legale Fluchtwege, um Menschen nicht im Mittelmeer ertrinken zu lassen.» Man wolle dafür eintreten, dass es menschliche und rechtsstaatliche Lösungen gebe.

Faeser feilt zusammen mit Frankreich an einer «Koalition der Willigen», die zur Aufnahme schutzsuchender Migranten bereit ist - und zeigte sich ungeachtet des Widerstands einiger Staaten optimistisch. Macron habe am Vorabend von zwölf Staaten gesprochen, «die an unserer Seite wären». Diese Einschätzung sei vielleicht sehr optimistisch. «Aber ich würde mich diesem Optimismus anschließen, dass wir tatsächlich auch mit einigen Staaten jetzt vorankommen.» Auf die Zahl zwölf wollte Faeser sich auch auf Nachfrage nicht festlegen. Auch ihr Vorgänger Horst Seehofer (CSU) hatte schon versucht, eine ähnliche Koalition zu schmieden - und scheiterte.

Länder, die sich in Zukunft nicht an der Aufnahme von Migranten beteiligen wollen, sollten erheblichen finanziellen Beitrag leisten, sagte Frankreichs Innenminister Darmanin am Donnerstag. Bei dem Treffen hätten sich alle Staaten zu der ein oder anderen Form verpflichtender Solidarität bereit erklärt. Komplizierter werde es aber wohl, wenn es an die Details gehe - also die Frage, wie viele Menschen verteilt oder wie viel Geld gezahlt werden müsse. Gleiches gelte für die Verantwortung der Frontstaaten, etwa beim Screening.

Aus der Union kam heftige Kritik an Faesers Vorgehen. Der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Alexander Throm (CDU) sagte der dpa: «Die neue Bundesregierung vertieft die Spaltung Europas in der Migrationspolitik.» Während sich die meisten Länder Sorgen um den Schengen-Raum und einen funktionierenden Außengrenzschutz machten, sei Deutschland offenbar weitgehend isoliert. «Ein Vorangehen Deutschlands mit wenigen Staaten, bei dem Deutschland die Hauptlast trägt, wäre inakzeptabel.»

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