«Ganz nebenbei»: Umstrittene Memoiren von Star-Regisseur Woody Allen

Woody Allen, US-Regisseur und Schauspieler, stellt einen Film auf dem 68. Filmfestival vor. Foto: Tristan Fewings/Getty Images Pool/epa/dpa
Woody Allen, US-Regisseur und Schauspieler, stellt einen Film auf dem 68. Filmfestival vor. Foto: Tristan Fewings/Getty Images Pool/epa/dpa

NEW YORK: Mit mehr als 50 Filmen und mehreren Oscars ist Woody Allen einer der erfolgreichsten Regisseure der vergangenen Jahrzehnte. Überschattet wird seine Karriere aber von Missbrauchsvorwürfen der Adoptivtochter. Jetzt wehrt sich Allen in - von Protesten begleiteten - Memoiren.

Rund 250 Seiten lässt sich Woody Allen Zeit, bis er zu dem «Schlamassel» kommt, der die Stimmung rund um die Veröffentlichung seiner Memoiren überhaupt so aufgeheizt hat. «Auch wenn ich hoffe, Sie haben das Buch nicht bloß wegen dieser Geschichte gekauft.»

Seit Jahrzehnten feiert Allen als Regisseur, Schauspieler, Dramaturg und Jazz-Musiker Erfolge. Zahlreiche Preise, darunter mehrere Oscars, hat der 84-Jährige eingesammelt und sich von Hollywood trotzdem immer gerne ferngehalten. Überschattet wird die Karriere des Regisseurs von Filmen wie «Der Stadtneurotiker» und «Midnight in Paris» aber seit langem von Missbrauchsvorwürfen einer Adoptivtochter, die im Zuge der «MeToo»-Bewegung gegen sexuelle Belästigung erneut hochkochten - und nun beinahe auch die Veröffentlichung seiner Memoiren verhindert hätten.

Der US-Verlag Hachette nahm das Buch mit dem Originaltitel «Apropos of Nothing» nach Protesten von Mitarbeitern und aus der Familie Allens wieder aus dem Programm, kurz darauf schnappte sich der Arcade-Verlag das Werk und veröffentlichte es umgehend. Man habe «einem respektierten Künstler eine Stimme geben wollen», hieß es.

Auch in Deutschland gab es Proteste, trotzdem brachte der Rowohlt-Verlag «Ganz nebenbei» in der vergangenen Woche als E-Book und am Samstag auch als gebundenes Buch heraus. Ursprünglich hatte die Autobiografie erst am 7. April auf Deutsch erscheinen sollen. Wegen der Corona-Krise sind die meisten Buchläden in Deutschland und den USA derzeit geschlossen, viele bieten aber Liefer- und Versandservice oder Abholmöglichkeiten an.

Rund 450 Seiten hat die Autobiografie des Mannes mit der wohl bekanntesten Brille der Filmgeschichte. Es geht um seine Kindheit als Allan Stewart Konigsberg, Sohn jüdischer Eltern in Brooklyn, ein «ängstliches, nervöses, emotionales Wrack» und «Spaßbremse auf jeder Party», die am liebsten die Schule schwänzt und nach Manhattan abhaut, um sich dort stundenlang Kinovorstellungen und Mädchen anzuschauen. Es geht um Allens Aufstieg in der Entertainment-Branche, als Comedian, Witze-Schreiber, Dramaturg, Drehbuch-Autor, Schauspieler und schließlich Regisseur. Es geht um seine Eigenarten als «chronisch unzufriedener Charakter», der noch nie einen Computer benutzt hat. Es geht um seine Kollegen, seine Branche, um Reisen - und es geht um Frauen, viele, viele Frauen.

Zwei Ehen von Allen scheiterten nach nur wenigen Jahren, die dritte hält inzwischen seit fast einem Vierteljahrhundert. Rund ein Viertel des Buches aber widmet der Regisseur seiner Beziehung zu Schauspielerin Mia Farrow, die etwa 12 Jahre hielt, nie zur Ehe wurde, aber Allens Leben für immer verändern sollte. Als die beiden sich kennenlernen hat Farrow bereits drei leibliche Kinder aus einer gescheiterten Ehe mit dem Komponisten André Previn und vier adoptierte. «In eine Beziehung mit einer Frau mit sieben Kindern zu schlittern, fand ich irgendwie amüsant, wie den Plot zu einer Unterhaltungsserie.»

Aber Farrow, so schreibt Allen, will noch mehr Kinder - und da fangen die Probleme an. Gemeinsam adoptiert das Paar ein weiteres Kind und bekommt schließlich ein leibliches. Bis heute ist allerdings nicht klar, ob der 1987 geborene Satchel, später Ronan Farrow - inzwischen Pulitzer-Preis-gekrönter Investigativjournalist, der mit seinen Aufdeckungen über den früheren Hollywood-Mogul Harvey Weinstein die «MeToo»-Bewegung gegen sexuelle Bewegung mit angestoßen hat - wirklich Allens Sohn ist. «Obwohl Mia nun suggeriert, Satchel sei Frank Sinatras Kind, glaube ich, dass er mein Sohn ist, aber das werde ich wohl nie herausfinden», schreibt Allen. Dass Farrow Sinatras Sohn sei, sei durchaus «möglich».

Zum großen Knall kommt es 1992. Erst verliebt sich Allen in Farrows Adoptivtochter Soon-Yi Previn, mit der er heute verheiratet ist, zwei Töchter adoptiert hat, der er das Buch gewidmet hat und von der er ausschließlich in den höchsten Tönen schwärmt. Farrow erfährt von der Beziehung durch Nacktfotos ihrer Adoptivtochter, die sie auf Allens Kaminsims entdeckt. «Natürlich verstehe ich, dass ihr dieser Anblick einen Schock versetzt haben muss, ich kann ihre Bestürzung und Wut nachvollziehen, alles. Es war die angemessene Reaktion», schreibt Allen - aber kommentiert zur Beziehung mit Soon-Yi auch: «Ich würde es wieder tun.» Die anschließende Schlammschlacht beherrschte monatelang die Schlagzeilen der Klatschpresse, Allen nennt sie eine «Metzelei napoleonischen Ausmaßes».

Auf dem Höhepunkt werfen Farrow und die gemeinsame Adoptivtochter Dylan Allen sexuellen Missbrauch des Kindes vor. Allens Version der Geschichte, die in Farrows Sommerhaus in Connecticut spielt, lautet so: «Alle Kinder saßen mitsamt Babysittern im Fernsehraum. Der Raum war also voller Leute. Da auf dem Boden kein Platz mehr war, setzte ich mich auf den Boden. Möglicherweise habe ich den Kopf kurz zurückgelehnt ans Sofa und dabei auf Dylans Schoß. Anstößig war daran nichts.» Und weiter: «Ich glaube, Dylan hat ihrer Mutter gegenüber nie behauptet, sie sei unsittlich berührt worden. Diese Version der Ereignisse stammte vielmehr allein von Mia.»

Der Regisseur hat die Missbrauchsvorwürfe immer bestritten, ein Gericht gab ihm schon vor Jahrzehnten weitgehend recht. Adoptivtochter Dylan hat immer dagegengehalten. Eigentlich sei das doch ein «langweiliges Thema», schreibt Allen - nutzt aber nun noch einmal Dutzende Seiten seiner Autobiografie dafür, alles genau nachzuerzählen und seine Position zu verteidigen.

Nichts daran wirkt wirklich neu, sondern eher wie die Bestandsaufnahme eines völlig verhärteten Konflikts, der sich wohl nie wirklich aufklären lassen wird. Auf Allens Seite: Seine Frau und seit einiger Zeit auch der Adoptivsohn Moses aus der Beziehung mit Farrow. Auf Dylan Farrows Seite: Mutter Mia Farrow und Ronan Farrow, der so gut wie jeden Kontakt zu seinem möglichen Vater Allen abgebrochen hat - und den Allen auch scharf kritisiert. «Er hat kein Problem damit, wenn Frauen die Wahrheit sagen, solange es die Wahrheit seiner Mom ist.»

Mit Dylan Farrow hat Allen seit den Vorwürfen keinerlei Kontakt mehr, wie er schreibt. «Dass ich Dylan nicht aufwachsen sehen durfte, gehört zu den traurigsten Dingen meines Lebens.» Und: «Soon-Yi und ich würden Dylan mit offenen Armen empfangen, wenn sie doch einmal Kontakt zu uns aufnehmen sollte.» Ob das Buch allerdings zu einer Versöhnung beitragen dürfte, scheint fraglich, denn Dylans Mutter Mia Farrow greift Allen gleichzeitig auf das Schärfste an, wirft ihr vor, ihre Kinder grausam behandelt und geschlagen zu haben. Weil er eine Beziehung mit ihrer Adoptivtochter angefangen habe, habe Farrow einen Rachefeldzug angezettelt. «Sie überschritt alle Grenzen und das, was sie mit ihrer nachvollziehbaren Wut schließlich anrichtete, ist unverzeihlich und skrupellos.»

Die Vorwürfe waren eigentlich schon wieder weitgehend in Vergessenheit geraten, bis sie im Zuge der «MeToo»-Bewegung und durch neuere Äußerungen von Dylan Farrow wieder in die Schlagzeilen gerieten - was wiederum dazu führte, dass sich auch viele Hollywood-Stars und Filmvertriebe in den USA inzwischen von Allen abgewandt haben.

Ihm sei «schleierhaft», womit er sich «so viel bösen Willen» zugezogen habe, schreibt Allen. «Warum waren so viele Menschen von der Presse und aus meiner Branche gewillt, ja, so entschlossen, mir zu schaden? Ich kann es mir nur so erklären, dass ich im Laufe der Jahre bei mehr Menschen angeeckt bin, als mir bewusst war, und dass es der Moment war, um aufgestauter Wut oder Verärgerung Luft zu machen.» Einige Schauspieler wie etwa Timothée Chalamet hätten sich nur von ihm abgewandt, um in Hollywood besser dazustehen, mutmaßt Allen. Gleichzeitig verliert er ein paar positive Worte über den gerade als Sexualstraftäter verurteilten früheren Hollywood-Mogul Weinstein und keilt gegen seine Kritiker. «Für einen Kerl, der von #MeToo-Fanatikern ordentlich sein Fett weggekriegt hat, kann sich meine Bilanz für das andere Geschlecht durchaus sehen lassen.»

Das alles lasse ihn aber sowieso kalt. «Was auch immer geschieht, ich lebe in einer Art Blase. Ich lese schon seit Jahren nicht mehr, was so über mich geschrieben wird, am Lob anderer oder an ihrer Analyse meiner Arbeit habe ich keinerlei Interesse.» Das dürfte dem Regisseur auch diesmal helfen, denn die meisten Kritiken in den USA waren bislang vernichtend. Das Werk sei eine «oberflächliche Übung in Selbstmitleid», schrieb die «USA Today» und die «New York Post» bezeichnete es sogar als «ekelhafte, geschmacklose, lächerliche Autobiografie». Lediglich die extrem konservative «National Review» feierte es als «lustiges Buch von einem der sprühendsten Geister der Geschichte».

Allens Karriere schien zuletzt weitgehend vorbei, mit dieser Autobiografie, die über weite Strecken wenig originell und selbstgerecht geschrieben ist, hat er sich nun wieder in die Schlagzeilen gebracht. Das «Martyrium», durch das ihn die «falschen Anschuldigungen» seiner Ansicht nach geschickt haben, sei ihm dafür zu Gute gekommen: «Die ganze Situation war dem Schreiben unterm Strich eher zuträglich, fügt sie doch einem ansonsten ziemlich gewöhnlichen Leben ein faszinierendes dramatisches Element hinzu.» Allen sieht sich als «verleumdete Seele, die natürlich am Ende triumphieren wird» und schlussfolgert: «Stürbe ich in diesem Augenblick, könnte ich mich nicht beklagen.»

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