G20 ringt um Umgang mit Afghanistan

Der Ministerpräsident Mario Draghi bei einer Pressekonferenz nach dem außerordentlichen G20-Treffen der Staats- und Regierungschefs zu Afghanistan. Foto: epa/Filippo Attili
Der Ministerpräsident Mario Draghi bei einer Pressekonferenz nach dem außerordentlichen G20-Treffen der Staats- und Regierungschefs zu Afghanistan. Foto: epa/Filippo Attili

EU stellt eine Milliarde Euro für Afghanen und Nachbarn bereit

BRÜSSEL/ROM: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat zu den G20-Beratungen zur Lage in Afghanistan zusätzliche Hilfsgelder für die Unterstützung von notleidenden Afghanen und Nachbarländern angekündigt. Insgesamt werde rund eine Milliarde Euro zur Verfügung stehen, teilte sie am Dienstag zu einer Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten mit.

Zu den bereits zugesagten 300 Millionen Euro für humanitäre Hilfe soll es demnach noch einmal mindestens 250 Millionen Euro unter anderem für den Gesundheitsschutz geben. Weiteres Geld wird den Planungen zufolge in Nachbarstaaten fließen, die aus Afghanistan geflohene Menschen aufgenommen haben.

Man müsse alles tun, um einen schweren humanitären und sozioökonomischen Zerfall in Afghanistan zu verhindern, kommentierte von der Leyen. Das afghanische Volk dürfe nicht den Preis für das Handeln der Taliban zahlen.

Zugleich betonte die EU-Kommission, dass die klassische Entwicklungshilfe für den Wiederaufbau des Landes vorerst eingefroren bleibe. Diese soll erst dann wieder aufgenommen werden, wenn die Taliban zum Beispiel die Einhaltung von Frauenrechten und Medienfreiheit garantieren und eine Regierung bilden, die die ethnische und religiöse Vielfalt des Landes repräsentiert.

Die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten beraten an diesem Dienstagnachmittag bei einem Sondergipfel über die Krise in Afghanistan. Auf Einladung Italiens sollen bei der Videoschalte vor allem die humanitäre Lage in dem Land am Hindukusch und die Sorge des Auslands vor neuen terroristischen Gefahren besprochen werden. Zudem geht es darum, wie künftig mit den Taliban umgegangen wird, die nach dem Ende eines rund 20 Jahre dauernden Militäreinsatzes des Westens zuletzt die Macht zurückerobert hatten.

Zu der Konferenz sind neben den 20 wichtigsten Industrieländern auch Vertreter der Europäischen Union, der Vereinten Nationen und internationaler Organisationen eingeladen. Das Land braucht dringend finanzielle Hilfe aus dem Ausland, sonst droht angesichts einer Dürrephase und des anstehenden Winters eine humanitäre Katastrophe.


G20 ringt um Umgang mit Afghanistan

ROM: Afghanistan droht eine humanitäre Katastrophe, die Wirtschaft des Landes steht vor dem Kollaps. Die G20-Staaten wollen helfen, die EU stockt ihre Hilfe auf insgesamt eine Milliarde Euro auf. Bei anderen Themen, die beim Sondergipfel zur Sprache kommen, ruckelt es noch.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere Vertreter der G20-Staaten wollen in Afghanistan trotz der Machtübernahme der Taliban einen Staatskollaps verhindern. «Zuzuschauen, wie 40 Millionen Menschen ins Chaos verfallen, weil weder Strom geliefert werden kann, noch ein Finanzsystem existiert, das kann und darf nicht das Ziel der internationalen Staatengemeinschaft sein», sagte die CDU-Politikerin am Dienstag nach einer Videokonferenz der Gruppe einflussreicher Industriestaaten. Wenn in dem Land das gesamte Währungs- oder Finanzsystem zusammenbreche, könne auch keine humanitäre Hilfe mehr geleistet werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte an, dass über die Europäische Union rund eine Milliarde Euro Unterstützung mobilisiert werden soll. Zu bereits zugesagten 300 Millionen Euro für humanitäre Hilfe wird es demnach noch einmal mindestens 250 Millionen Euro unter anderem für den Gesundheitsschutz geben. Weiteres Geld soll an Nachbarstaaten fließen, die aus Afghanistan geflohene Menschen aufgenommen haben.

Nach UN-Angaben sind rund 18 Millionen Afghanen - und damit die Hälfte der Gesamtbevölkerung - auf humanitäre Hilfe angewiesen. 93 Prozent der Haushalte haben nicht genug zu essen. Die Grundversorgung steht nach UN-Einschätzung vor dem Zusammenbruch.

Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten berieten erstmals bei einem Sondergipfel über die Krise am Hindukusch. Auf Einladung Italiens wurde bei der Videoschalte vor allem über die humanitäre Lage in dem Land und die Sorge des Auslands vor neuen Terrorgefahren gesprochen. Zudem ging es darum, wie künftig mit den Taliban umgegangen werden soll, die nach dem Ende eines rund 20 Jahre dauernden Militäreinsatzes des Westens zuletzt die Macht zurückerobert hatten.

Vor allem bei letztem Punkt gibt es allerdings weiterhin deutliche Meinungsunterschiede. So warb Chinas Außenminister Wang Yi dafür, «auf rationale und pragmatische Weise» mit Afghanistan umzugehen und dem Land auch beim Aufbau von Infrastruktur zu helfen.

Die EU-Staaten haben dagegen die Entwicklungshilfe für den Wiederaufbau des Landes vorerst eingefroren. Diese soll erst dann wieder aufgenommen werden, wenn die Taliban zum Beispiel die Einhaltung von Frauenrechten und Medienfreiheit garantieren und eine Regierung bilden, die die ethnische und religiöse Vielfalt des Landes repräsentiert.

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi sprach Konflikte bei der anschließenden Pressekonferenz nicht an. Er betonte lediglich, dass sich alle Staats- und Regierungschefs einig gewesen seien, dass die Taliban die Menschen- und vor allem Frauenrechte anerkennen müssten und Afghanistan kein Rückzugsort für Terroristen werden dürfe. «Wir dürfen nicht an den Punkt kommen wie vor 20 Jahren», unterstrich Draghi als aktuell Vorsitzender der G20-Gruppe.

Draghi hatte als Gastgeber bereits vor dem Gipfel einen diplomatischen Dämpfer hinnehmen müssen. So sagten sowohl Chinas Staatschef Xi Jinping als auch Russlands Präsident Wladimir Putin ihre persönliche Teilnahme ab und schickten Stellvertreter.

Eigentlich hatte Draghi auf alle Staats- und Regierungschefs gehofft, um ein Zeichen des Zusammenhalts in der drängenden Frage setzen zu können. China und Russland aber verfolgen in Afghanistan zum Teil andere Interessen als der Westen und hatten den Taliban schon früh ihre Unterstützung angeboten. Nach zwei Jahrzehnten des Einsatzes der USA und deren Verbündeter wie Deutschland setzen die radikalen Islamisten am Hindukusch künftig vor allem auf Geld aus China.


China fordert Aufhebung aller Sanktionen gegen Afghanistan

ROM/PEKING: China hat die Aufhebung aller Sanktionen gegen Afghanistan und internationale humanitäre Unterstützung für das Land gefordert. Auf dem virtuellen G20-Sondergipfel zu Afghanistan sagte Chinas Außenminister Wang Yi am Dienstag, die Gruppe der führenden Industrienationen (G20) müsse die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität des Landes respektieren.

Die G20 solle «das afghanische Volk über sein Schicksal entscheiden lassen», zitierte ihn das Staatsfernsehen aus den Beratungen der Staats- und Regierungschefs. Ein Land sollte seinen Entwicklungspfad selber wählen. Ihm Ideologie und militärische Intervention aufzuzwingen, um sich in innere Angelegenheiten einzumischen, führe nur zu ständigen Turbulenzen und schwerem humanitären Unglück.

Die internationale Gemeinschaft solle «auf rationale und pragmatische Weise» mit Afghanistan umgehen. Dem Land müsse geholfen werden, eine «inklusive politische Struktur» und eine vernünftige Innen- und Außenpolitik aufzubauen, sagte Wang Yi.

Die Lösung der Afghanistan-Frage sei, das Land zu unterstützen, einen friedlichen Wiederaufbau und eine gute wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu verwirklichen. Internationale Finanzinstitutionen sollten ihre Hilfe für Afghanistan ausweiten, um die Armut zu bekämpfen und Infrastruktur aufzubauen.

Das Land müsse sich aber vom Terrorismus fernhalten, forderte Wang Yi. Er bezog sich damit offensichtlich auf die Sorge Chinas, dass die islamistischen Taliban möglicherweise weiter terroristische Gruppen unterstützen könnten, die in der nordwestchinesischen Grenzregion Xinjiang für eine Unabhängigkeit eintreten.

Der Außenminister hatte auf dem Sondergipfel den chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping vertreten, der wie Russlands Präsident Wladimir Putin den Beratungen unter dem Vorsitz der G20-Präsidentschaft Italiens ferngeblieben war.

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