Fußball-WM als Propaganda-Show?

​Löw-Team jagt den 5. Stern

Der russische Präsident Wladimir Putin. Foto: epa/Felipe Trueba
Der russische Präsident Wladimir Putin. Foto: epa/Felipe Trueba

MOSKAU (dpa) - Am Donnerstag rollt bei der WM erstmals der Ball. Kremlchef Putin wird das Megaevent zur Selbstinszenierung wie bei Olympia in Sotschi nutzen. Sportlich wird es eine Jagd auf Weltmeister Deutschland. Messi, Neymar, Ronaldo - die Konkurrenz ist riesengroß.

Eine weitere Propaganda-Show à la Sotschi oder doch die von der FIFA voreilig ausgerufene «beste WM aller Zeiten»? Wenn 1.432 Tage nach der deutschen Sternstunde von Rio am Donnerstag der Vorhang für die 21. Fußball-Weltmeisterschaft im Luschniki-Stadion fällt, ist die Bühne im Riesenreich Russland jedenfalls bereitet. Wladimir Putin hat keine Kosten und Mühen gescheut und wird sein Megaprojekt vor allem als Selbstinszenierung nutzen. Ob FIFA-Kongress oder Eröffnungsfeier - in diesen Tag läuft nichts ohne den Kremlchef.

Putin verspricht ein Fest «voller Leidenschaft und Emotionen». Die Strahlkraft von Lionel Messi, Cristiano Ronaldo oder Neymar soll an den 32 Turniertagen all die Kritikpunkte wie Korruption, Doping, Menschenrechte, Rassismus oder Hooligan-Gewalt vergessen lassen. Weltoffen will sich Russland präsentieren, nachdem es die Welt mit seiner Beteiligung am Bürgerkrieg in Syrien, der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim oder mit dem Konflikt in der Ostukraine gegen sich aufgebracht hat. «Sie werden es überall erfahren, dass wir gastfreundliche Menschen sind. Die Fans werden sicher so begeistert sein, dass sie zurückkommen möchten», sagte Putin in seiner Rede vor dem FIFA-Kongress am Mittwoch.

Beim Eröffnungsspiel zwischen der Gastgeber-Elf und Saudi-Arabien am Donnerstag (17.00 Uhr/MESZ/ARD) wird er in der Ehrenloge vielleicht mit seinem Freund Gerhard Schröder, aber kaum mit westlichen Staatschefs anstoßen können. Großbritanniens Außenminister Boris Johnson hatte das Turnier im Zuge der Affäre um den vergifteten Ex-Agenten Sergej Skripal gar mit den Nazi-Spielen 1936 in Berlin verglichen. Der Kreml fühlt sich indes zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Russlands Ruf ist in der westlichen Welt ähnlich angekratzt wie der des Weltverbandes FIFA. Da verwundert es kaum, dass sich FIFA-Chef Gianni Infantino und Putin verbal die Bälle zuspielen. «Russland ist zu 100 Prozent bereit. Die ganze Welt wird erleben, wie gastfreundlich dieses Land ist und wie die Organisation funktionieren wird», schwärmt Infantino in Superlativen.

Rund zehn Milliarden Euro - so viel wie bei keiner WM zuvor - hat sich Russland das Spektakel kosten lassen und generalstabsmäßig durchgeplant. Was die Fans erwarten können, ist Perfektionismus auf vielen Ebenen. Ob es auch herzlich zugeht wie beim Sommermärchen 2006? Eishockey-Fan Putin will sich als generöser Gastgeber zeigen.

Die mehr als eine Million Fans aus dem Ausland können mit einer Fan-ID statt eines Visums ins Land und dürfen kostenfrei die langen Strecken über tausende Kilometer in vier Zeitzonen zurücklegen. In einem Land, wo Bürger- und Menschenrechte eingeschränkt sind, sollen sich die Fans frei bewegen können. Die zwölf Stadien sind rechtzeitig fertig, entsprechen internationalem Topniveau und sind wie in Moskau «auf Hochglanz geputzt» (Bürgermeister Sergej Sobjanin).

Für die Sicherheit hat Russland weit mehr als die 1,4 Milliarden für die Sotschi-Spiele investiert. Hunderttausende Polizisten, Soldaten und Nationalgardisten sind im Einsatz, unterstützt von Beamten aus 33 Ländern. Sogar Kriegsschiffe werden mobilisiert. Hässliche Szenen wie die Hooligan-Ausschreitungen russischer Fans bei der EM 2016 in Marseille will Putin genauso verhindern wie mögliche Terroranschläge.

Wenn am Donnerstag endlich der Ball rollt, soll der Sport in den Mittelpunkt rücken. Für Weltmeister Deutschland geht es nach einer holprigen Vorbereitung mit schwachen Testspielen gegen Österreich (1:2) und Saudi-Arabien (2:1) sowie Erdogan-Diskussionen um Mesut Özil und Ilkay Gündogan am Sonntag gegen Mexiko los.

Bundestrainer Joachim Löw will eine deutsche Mannschaft erstmals zu einer erfolgreichen Titelverteidigung führen, weiß aber um die Schwere der Aufgabe: «Es muss einfach alles passen. Deutschland wird gejagt werden wie nie.» Von den Spaniern, die aber durch das Real-Engagement von Julen Lopetegui plötzlich ein Trainer-Problem haben. Von den Brasilianern, die auf einen genesenen Neymar setzen können. Von den Franzosen mit EM-Torschützenkönig Antoine Griezmann und natürlich auch von Argentinien und Portugal mit ihren Weltstars Messi und Ronaldo, die so sehnsüchtig den WM-Pokal gewinnen wollen.

Die Konkurrenz um den Status als Turnier-Held ist groß. Ägyptens Mohamed Salah rechnet mit einer rechtzeitigen Rückkehr nach seiner Schulterblessur aus dem Champions-League-Finale mit dem FC Liverpool gegen Real Madrid. Harry Kane von Tottenham Hotspur will Englands nun schon 52 Jahre währende WM-Misere beenden.

Der Gastgeber wird wohl eher nicht zu den Herausforderern gehören. Die Mannschaft des früheren Bundesliga-Torhüters Stanislaw Tschertschessow präsentiert sich seit Monaten in einem desolaten Zustand. Die Hoffnung bleibt, dass es wenigstens gegen das in der FIFA-Rangliste am zweitschlechtesten notierte Saudi-Arabien zum Auftakt reicht. «Portugal hofft auf Ronaldo, Frankreich auf Pogba und Brasilien auf Neymar. Nur wir hoffen auf ein Wunder», scherzte bereits die Zeitung «Moskowski Komsomolez».

In Sotschi hat Russland für den sportlichen Glanz mit einem dreisten und ausgeklügelten Dopingsystem nachgeholfen. Ein Riesen-Skandal, der Auswirkungen bis in den Fußball hinein hatte. Ex-Sportminister Witali Mutko wurde vom IOC lebenslang gesperrt und musste im WM-Ok seinen Posten räumen. Auch russische Fußballer sind im Zuge der Untersuchungen unter Verdacht geraten. Der Fall wurde von der FIFA aber «mangels Beweise» ad acta gelegt. Bei der WM kontrolliert der Weltverband selbst, was die Anti-Doping-Experten fassungslos macht.

Probleme hat der Weltverband schließlich schon genug, egal ob es um die diversen Korruptionsfälle oder den Wirbel der WM-Vergabe 2026 geht. Die Schiedsrichter sollen möglichst nicht für negative Schlagzeilen sorgen. Spannend wird bleiben, wie gänzlich unerfahrene Referees aus Tahiti oder Panama mit dem neu eingeführten Videobeweis zurechtkommen. Die Anlaufschwierigkeiten in der Bundesliga dienten der FIFA jedenfalls nicht als warnendes Beispiel.

Logistisch werden die Teams vor kniffligen Aufgaben gestellt. Löw musste sich von seinem Wunschort Sotschi am Schwarzen Meer verabschieden, stattdessen logiert der Weltmeister in Watutinki vor den Toren Moskaus. Edler, postsowjetischer Hotel-Schick statt Palmenoase im Campo Bahia.

Für die Teams ist die WM in jedem Fall ein lukratives Geschäft. Die nach den Skandal-Jahren lange klamme FIFA hat das Preisgeld auf die Rekordmarke von umgerechnet 668 Millionen Euro um rund 40 Prozent im Vergleich zu 2014 angehoben. Der Weltmeister bekommt im besten Fall etwa 32 Millionen Euro.

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Hermann Auer 15.06.18 19:20
Putin ...
... nutzt die WM für Propagandashow, der FARANG für Putin-Bashing.