Fünf Jahre nach Ende des Bürgerkriegs: Brüchiger Frieden

Ehemalige FARC-Guerillas veranstalten in Bogota ein Fest für das Leben und den Frieden. Foto: epa/Carlos Ortega
Ehemalige FARC-Guerillas veranstalten in Bogota ein Fest für das Leben und den Frieden. Foto: epa/Carlos Ortega

BOGOTÁ: Nach mehr als 50 Jahren Bürgerkrieg unterzeichnete die kolumbianische Regierung 2016 einen Friedensvertrag mit der Farc-Guerilla. Die Wirtschaft erlebte einen Aufschwung. Der Tourismus boomte. Und nun, fünf Jahre danach? Ist die Gewalt zurück.

Als in Kolumbien Geschichte geschrieben wird, ist Luís Enrique Castillo auf der Finca seiner Eltern. Als Regierung und führende Guerilleros am 24. November 2016 in einem Theater in der Hauptstadt Bogotá nach so vielen Jahrzehnten endlich ein Friedensabkommen unterzeichnen, hat sich der ehemalige Guerillakämpfer nach Viotá zurückgezogen, ein kleines Dorf in der Provinz Cundinamarca. Dort pflanzt er Bananen.

52 Jahre herrschte in Südamerikas zweitbevölkerungsreichsten Land mit seinen heute 50 Millionen Einwohnern ein blutiger Bürgerkrieg. Etwa 220.000 Menschen kamen ums Leben, Millionen wurden vertrieben. Nach dem Friedensschluss sollten Ex-Kämpfer wieder ins zivile Leben eingegliedert werden. So wie Luís Enrique Castillo.

«Das interessierte mich», sagt der inzwischen 43-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. «Neu anzufangen und ein anderes, würdiges Leben zu führen.» Mehr als zehn Jahre kämpfte er bei den «Revolutionären Streitkräften Kolumbiens» (Farc). Mehrere Jahre saß er in Bogotás berüchtigtem Gefängnis «La Modelo» ein.

Castillo hält sich an das Friedensabkommen, mit dessen Unterzeichnung und der Verabschiedung durch das Parlament sechs Tage später einer der längsten bewaffneten Konflikte der Welt endete. Nach Angaben der kolumbianischen Regierung tun es Castillo etwa 5600 von 7500 ehemaligen Farc-Kämpfern gleich. Doch Tausende sind auch wieder in den Untergrund gegangen.

Camilo González Posso, Präsident der Nichtregierungsorganisation Indepaz, sagt der dpa: «Das Abkommen war wichtig, denn es bedeutete die Auflösung der wichtigsten bewaffneten Gruppe und schloss ein Kapitel in unserer Geschichte.» UN-Generalsekretär António Guterres kam zu einem Besuch im Rahmen der Feierlichkeiten des Friedensabkommens, dessen Umsetzung auf 15 Jahre angelegt ist, am Dienstag nach Kolumbien. Aber nach fünf Jahren läuft auch einiges nicht wie erhofft.

2016, in einer Atmosphäre des Friedens und der Versöhnung, war Kolumbien im Um- und Aufbruch. Die Mordquote war niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Wirtschaft erlebte einen Aufschwung, der Tourismus boomte. González sagt: «Obwohl die Gewalt nicht aus unserer Gesellschaft verschwunden ist, haben wir einen Gewinn an Menschenleben und neue Bedingungen für wirtschaftliche und politische Aktivitäten.»

So kamen in einem Jahr erstmals mehr als fünf Millionen Touristen. Auch deutsche Reisende staunten über die Vielfalt des Landes zwischen Karibik, Anden und Pazifik. Der damalige Präsident Juan Manuel Santos bekam 2016 den Friedensnobelpreis. Die Sache mit dem Frieden war von Anfang an kompliziert. Umso mehr, als die Bevölkerung eine erste Version des Abkommens in einem Referendum ablehnte.

Als das Parlament das jetzige Abkommen am 30. November 2016 absegnete, wurde das Volk nicht mehr gefragt. Die Gegner des Abkommens boykottierten die Abstimmung. So spaltet es das Land bis heute. Santos' Nachfolger, dem konservativen Iván Duque, werfen Kritiker vor, den Friedensvertrag bestenfalls halbherzig umzusetzen.

Vor allem in ländlichen Gegenden, wo ein Machtvakuum entstanden ist, tut der Staat sich schwer, die Sicherheit zu gewährleisten. Die Gewalt hat wieder zugenommen. Hunderte Massaker wurden seit 2016 verübt, Hunderte soziale Anführer und Ex-Farc-Kämpfer ermordet, eine Vielzahl von Menschen vertrieben.

Tausende ehemalige Mitglieder der Farc, die sich unter anderem mit Drogenhandel finanziert hat, kämpfen in früheren Farc-Gebieten um Einfluss mit Verbrechersyndikaten, die ebenfalls ins Drogengeschäft verwickelt sind. Kolumbien ist einer der weltgrößten Produzenten von Kokain, das aus der Kokapflanze hergestellt wird. Ein großer Teil des Kokains wird in die USA geschmuggelt.

«Solange der Drogenhandel existiert und weiterhin wächst, wird Kolumbien nicht sein Ziel erreichen, ein friedliches Land zu sein», sagte Außenministerin Marta Lucía Ramírez der dpa. «Deswegen brauchen wir die gemeinsame Verantwortung.» Etwa auch von Deutschland, das die Umsetzung des Friedensabkommens unter anderem mit Kooperations- und Entwicklungsprojekten unterstützt.

Zum Friedensvertrag gehörte eine Strategie, den Bauern mit Subventionen für Alternativen wie Kaffee oder Bananen und Plänen für die Entwicklung ländlicher Gebiete aus der Armut zu helfen. Mit Koka kann man jedoch immer noch um ein Vielfaches mehr verdienen.

Für den ehemaligen Guerillakämpfer Castillo war das keine Option. Das Misstrauen in Regierung oder UN war groß: «Wir hatten das Gefühl, dass wir jederzeit verraten werden könnten, oder sogar getötet.» Die Begegnung mit Opfern der Farc war schmerzvoll. Und doch: «Dass diejenigen, denen wir so viel Leid zugefügt hatten, uns eine zweite Chance gaben, ließ mich glauben, dass der Frieden möglich ist.»

Auf Initiative der Gemeinde Viotá nahm Castillo 2019 an einem Kurs über Ökotourismus teil, mit 18 Ex-Kämpfern und auch Opfern des bewaffneten Konflikts gründete er dieses Jahr die Vereinigung «Fakten des Friedens», die Besuchern das Leben auf dem Land zeigt. «Viele der Wege, auf denen wir früher als Guerillakämpfer unterwegs waren, sind jetzt Touristenpfade», sagt Castillo. «Der Frieden ist der Weg.»

Dazu brauche es politischen und gesellschaftlichen Willen. Wie es mit dem Frieden weitergeht, dürfte auch auf die Präsidentschaftswahl 2022 ankommen. Castillos Anliegen: dass der nächste Präsident die Vereinbarungen aus dem Vertrag respektiert. Er sagt: «In unserer Kindheit bekamen wir zuerst ein Gewehr, keinen Fußball. Wir wollen, dass sich diese Realität für unsere Kinder ändert.»

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.