Frankreichs Kampf gegen Terror

​Fünf Jahre «Charlie-Hebdo»-Anschlag

Foto: epa/Christophe Petit Tesson
Foto: epa/Christophe Petit Tesson

PARIS (dpa) - Jeder lautere Knall, jede Explosion, jede Geiselnahme - in Frankreich stellt sich immer als erstes die Frage: Ist es schon wieder Terror? Fünf Jahre ist es nun her, dass in der Redaktion von «Charlie Hebdo» das Unfassbare geschieht. Das Land kommt seitdem nicht zur Ruhe.

Es war der Anfang. Auch wenn das nicht ganz korrekt ist, fühlt es sich für viele so an. Am 7. Januar vor fünf Jahren dringen die Brüder Chérif und Said Kouachi in die Redaktion des Satiremagazins «Charlie Hebdo» ein und eröffnen das Feuer. Es beginnt eine drei Tage währende Großfahndung - inklusive Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt. Insgesamt sterben 17 Menschen, auch die insgesamt drei beteiligten islamistischen Täter werden erschossen. Der Anschlag steht symbolisch für den Auftakt einer islamistischen Terrorserie in Frankreich - mit seither mehr als 250 Toten.

Frankreich kennt den islamistischen Terror. Bereits in den 1980er und vor allem 1990er Jahren gab es immer wieder Angriffe - vor allem auf Züge und Metros. Der Angriff auf «Charlie Hebdo» ist auch nicht die erste tödliche Attacke in den 2010ern Jahren im Land: Im März 2012 ermordete Mohamed Merah über mehrere Tage drei Soldaten sowie einen Lehrer und drei Kinder einer jüdischen Schule in Südfrankreich. Doch nach dem mörderischen Angriff auf das Satiremagazin und den Supermarkt folgten die Attacken in hoher Schlagzahl - und das Land verändert sich.

Paris, November 2015: 130 Tote. Nizza, Juli 2016: 86 Tote. Straßburger Weihnachtsmarkt, Dezember 2018: 5 Tote. Pariser Polizeihauptquartier, Oktober 2019: 4 Tote. Und das ist nur eine Auswahl. Mehrere Dutzend Attentate wurden außerdem vereitelt. Bei dem Anschlag auf «Charlie Hebdo» töteten die Kouachi-Brüder damals mehrere bekannte Zeichner des Blattes. Die Redaktion wurde wegen ihrer Mohammed-Karikaturen Ziel der Attentäter. Auf die Redaktionsräume war einige Jahre zuvor bereits ein Brandanschlag verübt worden.

Die Terrorgefahr ist seitdem omnipräsent in Frankreich. Schwerbewaffnete Polizisten und Soldaten patrouillieren an stark frequentierten Orten, Betonbarrieren schützen Großereignisse. Und sogar der weltberühmte Eiffelturm ist nun von einer Glaswand umschlossen. Und jeder herrenlose Koffer bringt das Pariser Leben kurz zum Stillstand. Erst am Freitag sorgte eine Messerattacke im Süden der Hauptstadt wieder für große Aufregung. Ein Mann griff Menschen wahllos an - ein Opfer starb. Der Hintergrund des Vorfalls war noch unklar.

Nach den Anschlägen auf die Konzerthalle Bataclan in Paris, das Stade de France und zahlreiche Bars im November 2015 galt der Ausnahmezustand fast zwei Jahre lang. Zahlreiche zentrale Notstands-Maßnahmen wurden kurz vor dessen Ende ins normale Recht übernommen. Sicherheitsbehörden haben im Anti-Terror-Kampf nun weitgehendere Befugnisse.

Ende vergangenen Jahres nahm die Redaktion von Charlie-Hebdo in Straßburg erstmals seit dem Anschlag wieder an einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung teil. «Wir haben die katholische Religion kritisiert, wir kritisieren den Islam, wir kritisieren Buddhisten dafür, die Rohingya angegriffen zu haben», sagte die Zeichnerin Coco damals dem Sender Franceinfo. Sie war am Tag des Anschlags gerade auf dem Weg in die Redaktion, als die zwei Angreifer sie bedrohten und zwangen, die Tür zu öffnen. Ein Horror-Szenario. Anschließend richteten die Kouachi-Brüder ein Massaker an.

Im Frühjahr 2020 steht nun in Paris der Prozess gegen mutmaßliche Hintermänner des Anschlags an. «Ich hoffe auch, dass dieser Prozess uns wirklich den Krieg bewusst macht, den der islamische Fanatismus uns erklärt hat», sagt Patrick Pelloux dem Magazin «Paris Match». Er ist Notfallarzt und hat immer wieder für «Charlie Hebdo» gearbeitet - nach dem Anschlag war er einer der ersten am Tatort. Die Opfer gehörten zu seinen engsten Freunden. Es sei nun wichtig «ein starkes Signal an unsere Feinde zu senden».

Einer, der den Anschlag auf das Satiremagazin damals begrüßte, war Mickaël Harpon. Fast fünf Jahre später greift er selbst zum Messer. Er trifft Frankreich mitten ins Herz: Im Pariser Polizeihauptquartier, einen Steinwurf von Notre-Dame entfernt im Zentrum der Stadt, tötet er brutal drei Kollegen und eine Kollegin. Er selbst war Polizeimitarbeiter, arbeite in einer sensiblen Abteilung. Harpon war Jahre vorher zum Islam konvertiert und hatte sich offenbar radikalisiert. Kollegen hatten auffälliges Verhalten gemeldet.

Für den Islam-Experten Gilles Kepel ist dieser Angriff ein «wichtiger Wendepunkt». Er habe eine enorme symbolische Bedeutung, sagt er der Zeitung «Le Figaro». «Das Innere der Pariser Polizeipräfektur soll eine Bastion sein. Sie ist das Symbol für Recht und Ordnung in Frankreich und für den Kampf gegen den erschütternden Dschihadismus», so der Experte. Dieser Terrorismus «unter dem Radar», für den Harpon stehe, sei eine besondere Gefahr. Frankreichs Behörden gerieten nach der Attacke massiv in die Kritik - auch weil die Radikalisierung Harpons nur scheibchenweise ans Licht kam.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron versprach den Franzosen bei der Trauerfeier für die Opfer einen «rastlosen Kampf» gegen den islamistischen Terrorismus. Der Islamismus, sagte der Staatschef, sei eine Hydra - also ein Ungeheuer aus der griechischen Mythologie mit mehreren Schlangenköpfen, dem beim Abschlagen eines Kopfes mehrere nachwachsen. Frankreich dürfte der Hydra noch nicht den letzten Kopf abgeschlagen haben.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.