«Auf tiefster Stufe» - Schuldig des Mordes an Fritz von Weizsäcker

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BERLIN: Der jüngste Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker hatte seinen Vortrag an seiner Klinik beendet, als ein Mann nach vorn stürmte. Er rammte dem Chefarzt ein Messer in den Hals. Nun fiel das Urteil.

Der Fall hatte bis in die Bundespolitik Entsetzen hervorgerufen, Kanzlerin Angela Merkel sprach von einem «entsetzlichen Schlag für die Familie»: Knapp acht Monate nach dem tödlichen Attentat auf den Berliner Chefarzt Fritz von Weizsäcker ist nun das Urteil gefallen. Der Angeklagte hörte es mit unbewegter Miene: schuldig des Mordes an dem jüngsten Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker sowie des versuchten Mordes an einem Polizisten. Eine Gesamtstrafe von zwölf Jahren Haft verhängte das Landgericht Berlin und ordnete die Unterbringung des Täters in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Weil der deutsche Angeklagte aus Andernach in Rheinland-Pfalz wegen einer Zwangsstörung laut einem psychiatrischen Gutachten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war, erging gegen ihn keine lebenslange Freiheitsstrafe. Eine Behandlung sei erforderlich, so der Vorsitzende Richter Matthias Schertz. «Der Angeklagte ist für die Allgemeinheit gefährlich.» Sollte das Urteil rechtskräftig werden, käme er zunächst in den sogenannten Maßregelvollzug - bis die Ärzte überzeugt sind, dass keine Gefahr mehr von ihm ausgeht. Die Zeit in der Psychiatrie wird auf eine zu vollstreckende Haft angerechnet.

Fritz von Weizsäcker, 59-jähriger Chefarzt für Innere Medizin an der Schlosspark-Klinik Berlin, wurde am Abend des 19. November 2019 attackiert, als er nach einem Vortrag noch am Rednerpult stand. Der Attentäter, der zunächst in dem kleinen Publikum in der Klinik gesessen hatte, sei «wie ein Blitz» nach vorn gestürmt, schilderten Zeugen im Prozess. «Fritz von Weizsäcker hatte nicht einmal Zeit, schützend die Arme zu heben. Er wurde kalt erwischt», sagte die Staatsanwältin. Sie hatte eine Gesamtstrafe von 14 Jahren Haft sowie die Unterbringung in der Psychiatrie verlangt.

Ein Polizist, der privat unter den Zuhörern war, hatte ohne zu Zögern eingegriffen - «mit unfassbarem Mut», so einer der Anwälte der Nebenklage. Er wurde schwer verletzt, als er den Angreifer stoppen wollte. «Der Beamte sollte ausgeschaltet werden», stand für das Gericht fest. Der 57-jährige Angeklagte habe sich deshalb auch des versuchten Mordes schuldig gemacht.

Heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen habe der Angeklagte gehandelt - «es steht auf tiefster Stufe», sagte Richter Schertz. «Ein persönliches Motiv ist überhaupt nicht erkennbar.» Der Lagerist, der seit längerem verhaltensauffällig gewesen sei, habe sich in einen Hass gesteigert, der zu Selbstjustiz geführt habe.

Der Angeklagte habe vor rund 30 Jahren einen Artikel gelesen, in dem eine frühere Tätigkeit des ehemaligen Bundespräsidenten in den 1960er Jahren bei einem Pharmaunternehmen erwähnt wurde und ansonsten Vermutungen angestellt worden seien, so der Richter. «Das reichte ihm, er steigerte sich in eine angebliche Mitverantwortung von Richard von Weizsäcker für den Einsatz des Entlaubungsmittels Agent Orange im Vietnamkrieg hinein.» Nach dem Tod des früheren Bundespräsidenten 2015 habe er die Familie Weizsäcker ins Visier genommen - «er bastelte sich eine Kollektivschuld».

An acht Prozesstagen saß der Angeklagte in seiner Panzerglas-Box. Ein schmächtiger Mann mit Brille, der zuletzt in einem Logistikzentrum arbeitete. Er hatte die Attacke gestanden, dabei aber keinerlei Reue gezeigt. Er habe sich im Recht gefühlt. «Wenn ich es nicht gemacht hätte, wäre ich eingegangen», erklärte er. Eine «politische Tat» sei es gewesen, er sei nicht krank und gehöre nicht in eine Psychiatrie. Immer wieder störte er durch Zwischenrufe die Plädoyers. Er selbst hatte sich in seinem Geständnis als Zwangsneurotiker, Ex-Nazi und verkrachte Existenz beschrieben. Von dem psychiatrischen Gutachter fühlte er sich «falsch interpretiert».

Auch die Anwälte der Nebenkläger - darunter die Schwester des Getöteten, Beatrice von Weizsäcker - gingen davon aus, dass der Angeklagte das Unrecht seiner Tat habe einsehen können, doch seine Steuerungsfähigkeit wegen einer Zwangsstörung erheblich vermindert gewesen sei. «Seine hassvolle Haltung und die Gefährlichkeit für die Familie Weizsäcker besteht fort», so die Nebenklage-Anwälte. Fritz von Weizsäcker sei mit Leib und Seele Arzt gewesen. Es sei dem Angeklagten auch nicht um den Vietnam-Krieg gegangen. Er sei ein kranker Mann, «der kein politisches Zeichen setzen wollte».

Die beiden Verteidiger sprachen sich für eine Verurteilung wegen Mordes an dem Mediziner aus und verlangten im Fall des Polizisten einen Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung. Eine konkrete Freiheitsstrafe beantragten sie nicht. Er sehe allerdings nicht, dass weitere Gefahr von seinem Mandanten ausgeht, so einer der Verteidiger. Die Frage der Schuldfähigkeit war ein zentraler Punkt in dem Prozess. Der Angeklagte wolle Revision einlegen.

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