Mir ist durchaus bewusst, dass viele Menschen nicht gerne auf Friedhöfe gehen. Für mich haben sie eine magische Anziehungskraft. Das mag damit zu tun haben, dass ich meine frühe Kindheit in einem Haus direkt neben einem alten Friedhof verbrachte. Das war unser idealer Spielplatz. In den verwitterten, gemauerten Grabstätten mit vermoderten Särgen versteckten wir uns. Schrecken und Grauen vor dem Tod kannten wir nicht.
Als ich später in Hamburg lebte, besuchte ich oft den mit 400 Hektar größten Parkfriedhof Europas in Hbg.-Ohlsdorf. Bei schönem Wetter fühlte ich mich hier wie in einem paradiesischen Garten. Bäche schlängeln sich durch die riesige Anlage neben Teichen, auf denen Enten und Schwäne ihre Bahn ziehen.
Es ist ein Ort der Stille und der Meditation. Ich fand dort die prächtigsten Grabbauten und die berühmten Namen vieler Verstorbener: Carl Hagenbeck, der Begründer des Hamburger Tierparks oder Hans Albers, Gustaf Gründgens und Wolfgang Borchert. Bei späteren Besuchen entdeckte ich die letzten Ruhestätten von Helmut Schmidt und seiner Frau Loki, von Heinz Erhardt, Inge Meysel, Ida Ehre und Uwe Seeler.
Der wunderbarste Friedhof ist für mich der Pere Lachaise in Paris. Eine ganz besondere Stimmung begleitet mich jedes Mal beim Spaziergang durch diese Ruhe-Oase inmitten der Großstadt, wo etwa 250 weltbekannte Persönlichkeiten begraben sind. Mausoleen und Statuen aus Bronze oder Marmor zieren die Gräber von Moliere, Honoré de Balzac, Sarah Bernhardt, Frederic Chopin, Marcel Proust, Maria Callas, Oscar Wilde oder Edith Piaf an der Seite ihres letzten Ehemannes. Einen Ansturm der Fans erlebt regelmäßig das Grab von Jim Morrison, dem charismatischen Frontmann der Rockgruppe The Doors. Das führte dazu, dass die Friedhofsverwaltung Sicherheitsmaßnahmen durchführen musste, weil die Lippenstifte von vielen Tausend Anhängern seinen Grabstein immer wieder verschmierten.
Auch der Zentralfriedhof in Wien bildet eine riesige Parklandschaft mit scheinbar unendlichen Grabfeldern. Auf Grund seiner vielen Ehrengräber zählt er zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Nur mir einem Routenplan, den man am Haupteingang erwerben kann, gelingt es, die Gräber der prominenten Verstorbenen zu finden, wie z.B. Ludwig van Beethoven, Johannes Brahms, Franz Schubert, Hans Moser, Falco oder Udo Jürgens. Aber dieser Ort ist nicht nur eine Stätte der Totenruhe, denn magische Trittsteine und Kraftlinien durchziehen den Park, die dazu dienen sollen, Blockaden der Besucher zu lockern, Trauer abzuladen und die Einheit und Vollkommenheit mit der Natur erlebbar werden zu lassen.
Meine zahlreichen Berlin-Besuche führten mich zunächst auf den Jüdischen Friedhof in Weißensee. Er ist der flächenmäßig größte erhaltene jüdische Friedhof Europas mit über 100.000 Grabsteinen. Er steht unter Denkmalschutz.
Eine eindrucksvolle Anlage ist hier errichtet worden zum Gedenken an sechs Millionen Opfer des Holocaust. Hier sind auch viele unbekannte Juden begraben worden, die in der Nazizeit aus Verzweiflung Suizid begingen. Der Spaziergang über diesen Friedhof wurde für mich zum Geschichtsunterricht. Nebenbei entdeckte ich auch die Gräber der Schwiegereltern von Albert Einstein und der Eltern von Kurt Tucholsky.
Bei meinem nächsten Berlin-Besuch ging ich zum Dorotheenstädtischen Friedhof und entdeckte dort die Grabstätten von Friedrich Hegel, Heinrich Mann und Herbert Marcuse. Am Grab von Bertold Brecht und seiner Frau Helene Weigel habe ich lange verweilt und dabei an viele ihrer Aufführungen gedacht, die ich im Theater am Schiffbauerdamm erleben durfte.
Auch Marlene Dietrich habe ich die letzte Ehre erwiesen an ihrer Ruhestätte auf dem Friedhof Friedenau und einen Tag später auf dem Waldfriedhof in Zehlendorf an den Gräbern von Willy Bandt, Hildegard Knef und Günter Pfitzmann.
An den idyllischen Waldfriedhof Dahlem, am Rande des Grunewalds gelegen, erinnere ich mich noch so gut, weil ich hier von einem Unwetter überrascht wurde. Unter dem Vordach der Kapelle fand ich Schutz, und anschließend besichtigte ich die Ehrengräber von Richard von WeizsäÂcker und Harald Juhnke. Hier wurde auch Hitlers williger Vollstrecker, der gnadenlose „Blutrichter“ Roland Freisler anonym beigesetzt, der 1945 durch einen US-Luftangriff getötet wurde.
Auf einem der schönsten Friedhöfe der Stadt, dem Waldfriedhof Heerstraße in Berlin-Charlottenburg ist mein hochverehrter Freund, der berühmte Humorist Bernhard-Viktor (Vicco) von Bülow bestattet, der unter dem Namen Loriot Millionen Menschen Lachen und Freude schenkte. An seiner Trauerfeier konnte ich leider nicht teilnehmen, da ich mich zu der Zeit in Thailand befand, aber kurz darauf besuchte ich seine letzte Ruhestätte und legte einen Strauß mit roten Rosen auf sein Grab. Im Weitergehen entdeckte ich daneben die Gräber von Tilla Durieux, Curd Goetz und Joachim Ringelnatz, über den ich kurz zuvor eine Sendung im ZDF produziert hatte. Und dann stand ich plötzlich vor dem Ehrengrab von Horst Buchholz. Mit „Hotte“ hatte ich viele angenehme Begegnungen in meinem Theater in Mainz und weinselige Abende im Wiener Prater verbracht.
All diese Menschen, denen ich an ihren Gräbern die letzte Ehre erwies, haben mit meinem Leben etwas zu tun gehabt: Ich habe ihr Bücher gelesen, ihre Filme gesehen, ihre Musik gehört, ihre Aufführungen im Theater besucht, ihre Politik verfolgt oder sie sogar persönlich gekannt. Sie haben mein Leben geprägt. Indem ich an sie denke, bleiben sie lebendig – und ich auch.