Friedensgarant und Spaltpilz: 20 Jahre Euro

Foto: epa/Facundo Arrizabalaga
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FRANKFURT/BRÜSSEL (dpa) - Der Euro sollte Europa einen - und sorgt doch immer wieder für Spannungen. Ist die Gemeinschaftswährung ein «Teuro» oder eine der wichtigsten Entscheidungen des Jahrhunderts? Auch 20 Jahre nach Gründung der Europäischen Währungsunion gibt es manche Baustelle.

Als es richtig losging mit der Europäischen Währungsunion fehlte ausgerechnet der deutsche Finanzminister: Oskar Lafontaine, damals noch auf SPD-Ticket Ressortchef, ließ sich zur Jahreswende 1998/1999 in Brüssel vom damaligen Wirtschaftsminister Werner Müller vertreten. Der gab zu Protokoll, Lafontaine habe «vor langer Zeit einen sehr entfernten Urlaub» gebucht.

Eine Urlaubssperre galt unterdessen für Tausende Banker. Bei der technischen Umstellung von nationalen Währungen wie deutscher Mark, französischem Franc und italienischer Lira auf die gemeinsame Währung Euro sollte möglichst nichts schiefgehen.

«Der Euro wurde damals mit größter Skepsis begleitet», erinnert sich Otmar Issing, damals Chefvolkswirt der neu gegründeten Europäischen Zentralbank (EZB). «Aber der Übergang von den nationalen Währungen zum Euro ist so reibungslos vor sich gegangen wie sich das niemand vorstellen konnte.»

Allerdings hatte Issing durchaus Zweifel, ob die Europäer schon reif sind für einheitliches Geld. «Schon 1999 zu beginnen mit so vielen Ländern, hielt ich für ein riskantes Unterfangen», erinnert sich der Ökonom im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt.

Für 11 der damals 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) wurde der Euro am 1. Januar 1999 gesetzliches Zahlungsmittel - zunächst elektronisch, ab 2002 dann als Bargeld. Von Beginn an dabei waren Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien.

«Die Verwirklichung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ist ... für uns Deutsche wie auch für die Europäer die wichtigste und bedeutendste Entscheidung seit der Wiedervereinigung Deutschlands», warb der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im April 1998 im Bundestag. «Ich glaube, dass sie - auf lange Sicht - eine der wichtigsten Entscheidungen des ganzen Jahrhunderts ist.»

In der Tat profitiert die Exportnation Deutschland wie kaum eine andere Volkswirtschaft in Europa von dem erweiterten Binnenmarkt. Knapp 40 Prozent der deutschen Ausfuhren gehen in die Euro-Partnerländer. Kosten für Währungsumtausch und Absicherung von Wechselkursschwankungen fallen dabei weg. Denn die Wechselkurse wurden unwiderruflich fixiert: 1 Euro = 1,95583 D-Mark.

Als zum Jahreswechsel 2001/2002 der Euro in Schein und Münze unters Volk gebracht wurde - die größte Geldtauschaktion aller Zeiten - war die Aufregung groß. Schon am 14. Dezember 2001 konnten in Frankreich und den Niederlanden Probetütchen mit den neuen Münzen erworben werden. Mancher Deutsche reiste kurzerhand über die Grenze, um ein «Starter-Kit» zu ergattern. Denn erst am 17. Dezember 2001 wurden die Münzmischungen im Wert von 20 D-Mark (10,23 Euro) in Deutschland unters Volk gebracht.

In der Neujahrsnacht 2002 gab es das neue Bargeld in zwölf Staaten - Griechenland war inzwischen dazugestoßen. Noch als die Böller knallten, bildeten sich Schlangen an den Geldautomaten.

Doch die Ernüchterung kam schnell: Viele hielten den Euro für einen «Teuro». Statistiker konnten noch so sehr argumentieren - beim Einkaufen, in der Kneipe oder beim Friseur wurden Verbraucher das Gefühl nicht los, D-Mark-Preise seien 1:1 in Euro umgerechnet worden. Das Wortspiel wurde so populär, dass «Teuro» gleich im Jahr der Einführung des Euro-Bargeldes Deutschlands «Wort des Jahres» wurde.

Noch heute rechnet gut ein Drittel der Deutschen (rund 38 Prozent) zumindest bei größeren Anschaffungen regelmäßig Euro-Preise in D-Mark um, wie eine jüngere Emnid-Umfrage unter 1026 Erwachsenen ergab.

Issing betont die Stabilität des Euro: In den knapp 20 Jahren betrug die durchschnittliche jährliche Inflationsrate im Währungsraum 1,7 Prozent. In den 50 D-Mark-Jahren waren es in Deutschland 2,8 Prozent. Dass sich manche Menschen dennoch die D-Mark zurückwünschen, kann der 82-Jährige nicht verstehen: «Das ist Nostalgie», meint der Ökonom. «Die entzündet sich dann am Preis für die Maß Bier beim Oktoberfest in München, und die Leute vergessen dann, dass auch zu D-Mark-Zeiten dieser Preis von Jahr zu Jahr immer angestiegen ist.»

Die Anti-Euro-Stimmung jedoch ist populär. Die Alternative für Deutschland (AfD) ist mittlerweile nicht nur die größte Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag, sondern auch in den Parlamenten aller 16 Bundesländer vertreten.

Der jüngsten Umfrage der EU-Kommission zufolge ist die Zustimmung der Deutschen zum Euro insgesamt gesunken: 70 Prozent meinen demnach, der Euro sei gut für Deutschland. Damit ist die Zustimmung zwar immer noch überdurchschnittlich. Bei der Umfrage 2017 war die Gruppe der Euro-Befürworter in Deutschland aber mit 76 Prozent noch größer.

«Der Euro wirkt zurzeit eher als Spaltpilz, denn als gemeinschaftsstiftende Einrichtung», stellt Issing fest. «Am Euro macht sich viel Europafeindlichkeit fest - aus falschen Gründen.»

Jüngstes Beispiel: Italien. Die nun regierende Koalition aus populistischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechter Lega machte schon im Wahlkampf Stimmung gegen die Gemeinschaftswährung. Selbst mit einem Austritt aus dem Euroraum kokettierten die Parteien - auch wenn ein solcher Schritt rechtlich so gut wie unmöglich ist.

Die Populisten in Italien griffen ein weit verbreitetes Gefühl auf: Seit der Euro-Schuldenkrise, die ab 2010 vor allem Griechenland hart traf, fühlen sich viele Südeuropäer von Brüssel gegängelt.

Aus gesamteuropäischer Sicht bleibt das Hauptproblem die fehlende politische Einheit. Während die Geldpolitik bei der EZB gebündelt wurde, blieb die Wirtschafts- und Haushaltspolitik weitgehend in der Hand der einzelnen Staaten. Das sorgt immer wieder für Konflikte.

Erst wenn die Krise in einem Land schon da ist, bekommen die Euro-Partner größeren Einfluss. Über den Euro-Rettungsschirm ESM können sie als Bedingung für Hilfskredite in die Wirtschaftspolitik eines Landes eingreifen, zum Sparen drängen und Reformen einfordern.

Um Europa besser zu wappnen, legte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine Reihe von Vorschlägen vor. Kernelement: ein Milliarden- Budget für die Eurozone. Die EU-Kommission präsentierte weitere Ideen, unter anderem die Einsetzung eines EU-Finanzministers. Fortschritte gibt es jedoch nur in Trippelschritten.

Heute ist der Euro für gut 340 Millionen Menschen in 19 EU-Staaten offizielles Zahlungsmittel. Ginge es nach dem Willen des amtierenden EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, müsste der Euro-Club bald noch größer werden. «Wenn wir wollen, dass der Euro unseren Kontinent mehr eint als spaltet, dann sollte er mehr sein als die Währung einer ausgewählten Ländergruppe», bekräftigte der Luxemburger im Herbst 2017. «Der Euro ist dazu bestimmt, die einheitliche Währung der Europäischen Union als Ganzes zu sein.»

In der Tat haben sich die EU-Staaten verpflichtet, den Euro einzuführen, sobald sie die Voraussetzungen wie Preisstabilität und solide Staatsfinanzen erfüllen. Eine Ausnahme von der Regel erstritten sich im Vertrag von Maastricht nur Dänemark und das Vereinigte Königreich - und die Briten wollen nun ganz aus der EU austreten («Brexit»).

Interesse am Euro-Beitritt haben Bulgarien und Kroatien signalisiert. EU-Währungskommissar Valdis Dombrovskis mahnt: Als Lehre aus der jüngsten Krise müsse sichergestellt werden, dass Euro-Neulinge auch innerhalb der Währungsunion erfolgreich sind. Eines sei jedoch klar: «Wenn man misswirtschaftet, wird man in einer Krise enden, egal ob man sich innerhalb oder außerhalb der Eurozone befindet.»

Der frühere EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hält den Euro für einen großen Erfolg: «Wir haben eine Währung aus der Taufe gehoben, die praktisch über Nacht zur zweitstärksten der Welt wurde.» Die Botschaft aus Brüssel und Frankfurt daher: Es ist höchste Zeit, die Währungsunion zu vollenden.

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Jürgen Franke 22.12.18 20:10
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