Freiheit oder Sicherheit?

 Foto: Orlando Bellini / Fotolia.com
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Freiheit lässt sich nur gestalten, wenn es Sicherheit gibt, denkt ein Teil der Menschen. Andere sind der Auffassung, man kann die Freiheit nicht schützen, wenn man sie vorher abschafft (Stichwort: Überwachungsstaat). Zwei Positionen, die sich scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen. Muss man sich wirklich zwischen einem von beidem entscheiden? Wenn ja, für welche Position sprechen die besseren Argumente?

Technisch ist es für die führenden Geheimdienste inzwischen möglich sogenannte Metadaten (Verbindungsdaten) der gesamten Telekommunikation abzugreifen. Laut der Enthüllungen von Edward Snowden gehen die Briten noch einen Schritt weiter und zwischenspeichern den gesamten Netzverkehr für eine bestimmte Anzahl von Tagen.

Auslöser dieser Entwicklung waren die Anschläge in New York auf das World Trade Center vom 11. September 2001. Unter dem Schock dieses furchtbaren Verbrechens wurde in den Vereinigten Staaten der sogenannte Patriot Act beschlossen, der den Geheimdiensten weitgehende Befugnisse zur Gefahrenabwehr einräumte. Die meisten westlichen Staaten folgten dem Beispiel der Amerikaner und erließen ähnliche Gesetze. Fast 15 Jahre später zeigt sich immer deutlicher, wie sehr die Entwicklung aus dem Ruder gelaufen ist. Die Geheimdienste haben sich verselbstständigt, eine Kontrolle durch die jeweils zuständigen Regierungen scheint nicht mehr stattzufinden.

Das Fundament der Freiheit ist in Gefahr

Aber immerhin ist seit der Affäre um den oben bereits genannten ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden Bewegung in die öffentliche Auseinandersetzung gekommen. Am 4. Juni 2015 hat die New York Times einen interessanten Kommentar von ihm veröffentlicht: Einerseits zeigt er sich erleichtert, dass die Öffentlichkeit nicht mit Gleichgültigkeit auf ihn reagiert hat und aufgrund des öffentlichen Drucks die damals bestehende Abhörpraxis der NSA für rechtswidrig erklärt wurde. Andererseits ist er sich aber auch bewusst, dass das Fundament auf dem die Freiheit eines jeden einzelnen Bürgers ruht, nach wie vor in Gefahr ist. Er nennt insbesondere die Partnerschaften zwischen einigen der weltweit populärsten Online Dienstleister und der NSA. Für ihn scheint sicher, dass die Bürger der entwickelten Demokratien jetzt und in Zukunft das Konzept einer offenen Gesellschaft mehr denn je gegen ihre eigenen Regierungen werden verteidigen müssen.

Wahrscheinlich hat er recht. Unbedarfte Menschen denken zwar Überwachung sei akzeptabel, solange diese nicht in ihren Alltag eingreift. Diese Auffassung ist allerdings problematisch, da sich das Verhalten von Menschen ändert, wenn sie glauben, auf Schritt und Tritt überwacht zu werden. Auf einer Feier neulich erzählte einer der Gäste stolz, nach Dingen zu googlen, die ihn überhaupt nicht interessieren. Dies, um zu verschleiern, was ihn tatsächlich interessiere. Wahrscheinlich ein untauglicher Versuch, der aber sehr schön zeigt, welche Wirkungen das Gefühl überwacht zu werden schon heute zeigt.

Um bei der oben gestellten Hauptfrage weiterzukommen, liegt es nahe, sich anzusehen, welche Erfolge durch die weitgehende Überwachung aller erzielt werden konnten. Kritiker sprechen dem Ansatz der totalen Überwachung jeglichen Erfolg ab. Sie verweisen auf die Anschläge auf den Nahverkehr in London und Madrid, die Anschläge auf Bali und Boston sowie auf die Ermordung von Charlie Hebdo in Paris, die allesamt nicht verhindert werden konnten. Andererseits ist unbestritten, dass zumindest der Anschlag von Madrid durch die Auswertung von Überwachungsdaten aufgeklärt werden konnte. Es scheint im Ergebnis so zu sein, dass sich zwar nur geplante Anschläge von Dilettanten durch die Datensammelwut der Dienste vermeiden lassen (Sauerlandgruppe als Beispiel), bei der Aufklärung von Verbrechen sich die Chancen allerdings deutlich verbessern.

Wenn allerdings stimmt, man kommt selbst mit den besten Sicherheitsmaßnahmen nicht präventiv gegen professionelle Attentäter an, sollten wir uns für unsere Freiheit entscheiden. Dies auch, weil es leider unmöglich ist, den tragischen Verlust von Menschenleben gänzlich zu vermeiden. Seien es schiere Schlamperei wie bei der Katastrophe bei der Love Parade in Duisburg oder kalt geplante Verbrechen. Es ist nicht angebracht, die Freiheit offener Gesellschaften für ein imaginäres Super-Grundrecht Sicherheit aufzugeben oder wesentlich einzuschränken.

Über den Autor

Christian Rasp ist Rechtsanwalt und seit 1992 in Thailand, Hongkong und China tätig. Er leitet ein spezialisiertes Consulting-Haus, lebt und arbeitet in Hua Hin, Bangkok und Hongkong. Die Kolumne Nachgefragt“ beschäftigt sich vorwiegend mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen, die es verdienen, etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden.

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Jürgen Franke 11.07.15 08:50
Freiheit oder Sicherheit
Es hört sich zwar toll an, sich für die Freiheit zu entscheiden. Aber wie auch immer wir uns entscheiden, so lange es technisch möglich ist, wird abgehört. Und kein Parlament wird es verhindern. Es liegt in der Natur des Menschen, neugierig zu sein, zu wissen, was der Nachbar macht, oder wie viel er verdient. Also vergessen wir unsere Scheinheiligkeit.