England fast ohne Corona-Regeln

​«Freedom Day» mit Hindernissen

Fußgänger gehen auf dem Leicester Square während des
Fußgänger gehen auf dem Leicester Square während des "Freedom Day" in London. Foto: epa/Facundo Arrizabalaga

LONDON: In den Clubs wird wieder getanzt, in Büros darf wieder ohne Abstand gearbeitet werden und viele lassen die Masken fallen: In England gelten seit Montag kaum noch Corona-Maßnahmen. Doch von einer Entspannung der Lage könnte das Land kaum weiter entfernt sein.

Trotz drastisch steigender Corona-Fallzahlen haben die Menschen in England seit Montag wieder deutlich mehr Freiheiten. Tausende Feierwütige begrüßten den sogenannten «Freedom Day» laut Berichten britischer Medien bereits in der Nacht in den Clubs des Landes, die seit mehr als einem Jahr wieder öffnen durften. Die Regierung hat fast alle verpflichtenden Corona-Maßnahmen aufgehoben und appelliert an die Eigenverantwortung der Menschen. Abstand halten und Maske tragen sind in vielen Bereichen fortan Privatsache.

An den Bahnhöfen des Landes zeigte sich BBC-Reportern zufolge am Montagmorgen ein gemischtes Bild: Während viele von ihrer neuen Freiheit Gebrauch machten und maskenlos unterwegs waren, entschieden sich durchaus auch weiter etliche Reisende freiwillig für die Schutzmaßnahme. Wer in London unterwegs ist, muss dies ohnehin auch weiterhin tun: Bürgermeister Sadiq Khan verkündete für die Bahnen und Busse des Netzwerks Transport for London, zu dem auch die berühmte Londoner «Tube» gehört, eine Verlängerung der Maskenpflicht.

Premierminister Boris Johnson, der die Regeln für den größten britischen Landesteil macht, setzt hingegen voll auf die Erfolge der weit fortgeschrittenen Impfkampagne und die Eigenverantwortung der Menschen. Inzwischen haben 88 Prozent der Erwachsenen im Vereinigten Königreich eine erste Impfung erhalten. Knapp 68 Prozent sind bereits zweimal geimpft. Doch Experten warnen, dass die Situation trotz der hohen Impfquote außer Kontrolle geraten könnte. Bereits jetzt werden täglich zum Teil mehr als 50.000 Fälle registriert - beinahe so viele wie zum Höhepunkt der zweiten Welle zum Jahreswechsel.

Doch Experten zweifeln daran, ob der Schutz durch die Impfungen ausreichen wird, um einer großen Infektionswelle standzuhalten. Dem Epidemiologen Neil Ferguson vom Imperial College in London zufolge ist es «beinahe unausweichlich», dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen die Marke von 100.000 bald überschreitet. «Die echte Frage ist, ob es sogar doppelt so viel wird, oder sogar noch mehr», sagte Ferguson der BBC am Sonntag. Im schlimmsten Fall, wenn die Zahl der Krankenhauseinweisungen 2000 oder 3000 täglich erreiche, müssten Maßnahmen ergriffen werden, um die Pandemie wieder in den Griff zu kriegen, warnte er.

Das will Johnson eigentlich unbedingt verhindern. Er hatte den Weg seines Landes aus dem Lockdown stets als «vorsichtig aber unumkehrbar» beschrieben. «Bitte, bitte, seien Sie vorsichtig», flehte er die Briten an. Ob er damit noch überzeugen kann, scheint fraglich. Er selbst verbringt den «Freedom Day» - wie auch Finanzminister Rishi Sunak - in Quarantäne, nachdem beide als enge Kontakte des positiv auf Corona getesteten Gesundheitsminister Sajid Javid identifiziert wurden. Die Politiker sorgten für Empörung, als sie kurzzeitig erwogen, sich um die Selbstisolation zu drücken und stattdessen an einem Pilotprojekt teilzunehmen, das vollständig Geimpften tägliche Tests statt Quarantäne ermöglichen soll.

Die Lockerungen gelten nur für den größten britischen Landesteil England, der keine eigene Regierung hat. Die Regionalregierungen von Wales, Schottland und Nordirland sind für ihre Gesundheitspolitik selbst verantwortlich.

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