Frankreich will in Syrien diplomatisch aktiv werden

Foto: epa/Francois Guillot / Pool
Foto: epa/Francois Guillot / Pool

NEW YORK/PARIS/BERLIN (dpa) - Die Angriffe westlicher Staaten in Syrien scheinen fürs Erste abgeschlossen. Eine Wende in dem seit Jahren tobenden Bürgerkrieg dürften sie nicht bringen. Bekommt die Diplomatie eine Chance?

Nach den Luftangriffen westlicher Staaten in Syrien werden erneut Forderungen lauter, den seit 2011 tobenden Bürgerkrieg mit Hunderttausenden Toten auf dem Verhandlungsweg zu beenden. Frankreich kündigte dazu einen diplomatischen Vorstoß im UN-Sicherheitsrat und auf EU-Ebene an. Außenminister Jean-Yves Le Drian sagte dem Sender TF1: «Wir werden bereits Montag Initiativen ergreifen - im Sicherheitsrat in New York, in Brüssel beim Außenministertreffen - um mit allen, die das wollen, den Fahrplan festzulegen.»

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief die Präsidenten der USA und Russlands, Donald Trump und Wladimir Putin, zu einer gemeinsamen Friedensinitiative auf. «Die großen Mächte tragen größere Verantwortung. Hier muss ein erster Schritt erfolgen. Das sind Putin und Trump der Welt schuldig», sagte er der «Bild am Sonntag».

Die Streitkräfte Amerikas, Großbritanniens und Frankreichs hatten in der Nacht zu Samstag mehr als 100 Geschosse auf mindestens drei Ziele in Syrien abgefeuert. Die syrische Armee war seit Tagen in Alarmbereitschaft und hatte sich von Stützpunkten zurückgezogen. Die drei Staaten reagierten mit dem Angriff auf einen mutmaßlichen Giftgaseinsatz am 7. April in der Stadt Duma in der Region Ost-Ghuta östlich von Damaskus, bei dem nach Angeben von Zivilschützern Dutzende Menschen starben.

Nach dem Abzug der letzten islamistischen Aufständischen aus Ost-Ghuta hat die syrische Armee nach eigenen Angaben die volle Kontrolle über das Gebiet zurückerlangt. Ost-Ghuta, das seit 2013 von der Regierung belagert worden war, sei von «Terroristen» befreit, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Sana unter Berufung auf die Führung der Streitkräfte am Samstag. Zuvor hatte der letzte Konvoi mit Rebellen die Stadt verlassen.

Im Norden Syriens erschütterte am späten Abend eine schwere Explosion ein Gebiet, in dem iranische Truppen stationiert sind. Es blieb zunächst unklar, was die Detonation in der Provinz Aleppo am Samstagabend auslöste, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete. Es könne sich zum Beispiel um eine Explosion in einem Waffendepot oder um einen Luftangriff gehandelt haben. In der Region seien auch afghanische Kräfte stationiert, die in dem Bürgerkrieg wie der Iran auf der Seite des syrischen Machthabers al-Assad kämpfen.

Die Beobachtungsstelle mit Sitz in Großbritannien stützt sich auf ein Netz von Informanten in Syrien. Der TV-Sender Al-Mayadeen, der der syrischen Regierung nahe steht, dementierte Gerüchte, es habe sich um einen israelischen Luftangriff gehandelt.

Auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte sich für einen «neuen, kraftvollen Einstieg» in die festgefahrenen Verhandlungen über eine politische Lösung des Syrien-Konfliktes ausgesprochen. Dazu werde die Bundesregierung auch ihre Kanäle nach Russland nutzen, um dort auf eine konstruktive Haltung zu dringen.

US-Vizepräsident Mike Pence bezeichnete den Angriff am Rande des Amerika-Gipfels in Peru als moralisch richtig. Der Einsatz habe Syriens Fähigkeiten, chemische Waffen einzusetzen, erheblich geschwächt. Die Regierung in Damaskus werde dafür bezahlen, sollte sie erneut chemische Waffen einsetzen. Seine Regierung sei sich «absolut» sicher, dass die Regierung hinter dem Angriff in Duma stehe. Russland spricht von einer Inszenierung der Attacke und weist den Vorwurf einer Mitverantwortung ebenso zurück wie Syrien.

Die USA drohten zudem mit weiteren Attacken, sollte erneut Giftgas in dem Bürgerkriegsland zum Einsatz kommen. Die US-Streitkräfte stünden dafür parat, sagte die amerikanische Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, in einer Sondersitzung des Weltsicherheitsrats.

Russland scheiterte in dem Gremium aber mit einem Resolutionsentwurf, der den Angriff verurteilt hätte. Der Rat lehnte ihn mit acht zu drei Stimmen ab; es gab vier Enthaltungen.

Der russische Generaloberst Sergej Rudskoj schloss nicht aus, dass Russland der syrischen Regierung künftig Abwehrraketensystem des Typs S-300 zur Verfügung stellt. Dies habe man aus Rücksicht auf westliche Staaten bislang abgelehnt. «In Hinblick auf die jüngsten Ereignisse halten wir es aber für möglich, zu dieser Frage zurückzukehren», sagte der Vertreter des Generalstabes der Agentur Tass zufolge.

Sämtliche Nato-Staaten hatten sich in einer Sondersitzung des Nordatlantikrats hinter die Angriffe gestellt, wie Generalsekretär Jens Stoltenberg berichtete. Der Einsatz von Chemiewaffen sei verboten, barbarisch und dürfe nicht ungestraft bleiben, betonte er.

Frankreichs Premierminister Édouard Philippe informiert am Sonntagvormittag Vertreter des Parlaments über den Einsatz. Staatspräsident Emmanuel Macron dürfte sich am Sonntagabend in einem TV-Interview zu dem Thema äußern.

Eine ranghohe US-Regierungsmitarbeiterin sagte, die USA seien zu der Einschätzung gelangt, dass bei dem Angriff am 7. April sowohl Chlorgas als auch Sarin verwendet worden seien. Zwar gebe es deutlich mehr verfügbare Informationen in Bezug auf Chlorgas, die USA hätten aber auch signifikante Informationen, die auf den Einsatz von Sarin hindeuteten. Die Mitarbeiterin verwies auf Berichte von Medien und Nichtregierungsorganisationen über die Symptome der Betroffenen, darunter verengte Pupillen. Das Nervengas Sarin gehört neben Tabun, Soman und VX zu den giftigsten Kampfstoffen.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.