Hamiltons Tränen zum siebten WM-Titel

​«Konnte es nicht begreifen»

Lewis Hamilton aus Großbritannien von der Formel 1-Team Mercedes lenkt seinen Rennwagen während eines Trainings auf der Hungaroring-Rennstrecke in Mogyorod. Foto: Joe Klamar/Pool Afp/ap/dpa
Lewis Hamilton aus Großbritannien von der Formel 1-Team Mercedes lenkt seinen Rennwagen während eines Trainings auf der Hungaroring-Rennstrecke in Mogyorod. Foto: Joe Klamar/Pool Afp/ap/dpa

ISTANBUL: Lewis Hamilton ist erneut Formel-1-Weltmeister. In der Türkei fährt der Brite im Mercedes schon wieder zum Sieg. Nun steht er sportlich auf einer Stufe mit Michael Schumacher.

Übermannt von einer riesigen Gefühlsladung heulte der sonst so coole Lewis Hamilton unter seinem Helm einfach los. «Als ich über die Linie gefahren bin, hat es mich erwischt und ich bin in Tränen ausgebrochen. Ich konnte das einfach nicht begreifen», sagte der Brite. Mit seinem siebten WM-Triumph stellte er am Sonntag die für ewig gehaltene Rekordmarke von Michael Schumacher ein.

Die Konkurrenz hatte der 35 Jahre alte Superstar der Formel 1 auch unter schwersten Bedingungen beim Großen Preis der Türkei im Griff, sich selbst aber nicht mehr. «Ich verliere sehr selten die Kontrolle. In den letzten Runden musste ich mir aber sagen, dass ich durchhalte», betonte Hamilton nach seinem zehnten Saisonsieg.

Er versteckte seine verheulten Augen in Istanbul auch noch hinter dem verspiegelten Visier, als sich Sebastian Vettel als Erster neben den schwarz lackierten Silberpfeil kniete, ihm voller Respekt die Hand gab und sagte: «Wir schauen dir heute zu, wie Du Geschichte machst. Es ist bewundernswert.» Er habe nicht gewollt, dass die Leute in aller Welt seine Tränen sehen würden, erklärte Hamilton später.

Er brauchte ein paar Minuten, ehe die Freude aus ihm heraussprudelte, er den Helm abnahm, aus seinem Wagen stieg und in die Arme seiner überglücklichen Mercedes-Crew rannte. Kurz zuvor hatte er den nächsten Meilenstein seiner außergewöhnlichen Karriere perfekt gemacht. Der Ausnahmekönner verdrängte den Mexikaner Sergio Perez im Racing Point und Ex-Champion Vettel im Ferrari auf die Plätze zwei und drei. «Ich hätte es nicht besser machen können», funkte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff an seinen Star-Piloten.

Nach dem viertletzten Saisonrennen ist Hamilton nicht mehr von der Spitze zu verdrängen. Er hat 307 WM-Punkte und liegt uneinholbar vor seinem Stallrivalen Valtteri Bottas. Der Finne hatte als 14. nichts mit dem Kampf um die Spitze zu tun und wurde sogar überrundet. Die Autos von Konstrukteurs-Weltmeister Mercedes kamen auf dem neuen Asphalt lange nicht zurecht. Hamilton war nur von Rang sechs gestartet, zeigte auf der besonders rutschigen und zudem noch regennassen Strecke aber einmal mehr seine ganze Klasse.

Hamilton wurde im Kampf um Platz vier lange von Vettel gebremst, übernahm in der 38. Runde aber die Führung und konnte sie halten. Vettel konnte nach einem starken Start ebenfalls überzeugen und belohnte sich mit dem ersten Podestplatz dieser Saison. Erst zwei Kurven vor Rennende nutzte er einen Fehler von Teamkollege Charles Leclerc und feierte sein mit Abstand bestes Resultat des Jahres.

Sportlich ist Hamilton jetzt ganz oben angekommen und steht statistisch auf einer Stufe mit dem bislang größten Rennfahrer der Geschichte. Es gibt keinen Zweifel daran, dass er Schumacher noch überholen kann, wenn er seine Karriere wie erwartet fortsetzt. Die Verhandlungen werden nach dem Titelgewinn Fahrt aufnehmen. «Wir wollen ihn im Auto und er will den Mercedes», sagte Wolff. Titel Nummer acht und vielleicht noch mehr sind möglich. «Er ist mitten in seinem Schaffen und da kommt noch etwas drauf», sagte Wolff.

«Für alle Kinder da draußen, die vom Unmöglichen träumen - ihr könnt es schaffen!», sagte Hamilton. Er will ein Vorbild sein, denn als erster schwarzer Champion in der Motorsport-Königsklasse hatte er viele Hürden zu überwinden. «Als ich jünger war, gab es niemanden in diesem Sport, der aussah wie ich. Es war einfach zu denken, dass es für mich unmöglich ist, dort dabei zu sein», sagte er und ergänzte: «Ich hoffe, dass meine Leistungen zeigen, dass es egal ist, wo man herkommt und man groß träumen sollte.»

Hamilton geht es aber längst um andere Dinge als nur ein schnelles Auto. Nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Krise geht sein Blick weiter. Er will das Leben der Menschen positiv beeinflussen, bringt sich aktiv im Kampf gegen Rassismus und für mehr Diversität in der Gesellschaft ein, auch der Klima- und Umweltschutz beschäftigt ihn.

«Der Fahrertitel hat nicht unbedingt Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Der Versuch, die Bedingungen für Menschen auf der ganzen Welt zu verbessern - gleiche Menschenrechte zu schaffen - ist für mich das Wichtigste», sagte Hamilton. Bemerkenswerte Worte des überzeugten Veganers, der sich in den vergangenen Jahren drastisch gewandelt hat. «Er hat sich sehr entwickelt. Als Fahrer und auch als Mensch außerhalb des Autos», sagte Wolff.

Vorbei sind die Zeiten der öffentlichen Liebeleien mit Pop-Sternchen Nicole Scherzinger, auch seinen Privatjet hat er abgegeben und nutzt seine Social-Media-Kanäle mit alleine mehr als 20,5 Millionen Followern auf Instagram nun lieber vorrangig, um auf Missstände aufmerksam zu machen, eine von ihm entworfene Mode-Kollektion oder selbst komponierte Musik zu präsentieren. Oder einfach für ein paar Videos mit seinem Hund Roscoe.

Sportlich ist Hamilton seit langem der Maßstab. Er hält die Rekorde für die meisten Pole Positionen (97) und die meisten Grand-Prix-Siege (94). Er gewann 2008 im McLaren seinen ersten WM-Titel, 2014, 2015, 2017, 2018, 2019 und nun 2020 folgten sechs weitere im Mercedes. Die einzige Niederlage im Silberpfeil kassierte er 2016, als Nico Rosberg Champion wurde und danach seine Laufbahn beendete.

Hamiltons Vater hatte früher vier Jobs gleichzeitig, damit der kleine Lewis dem Motorsport nachgehen konnte. Ausgelacht habe man sie dafür, dass sie ihren Traum von der Formel 1 umsetzen wollten. «Mein Vater hat immer gesagt, dass ich Taten auf der Strecke sprechen lassen soll. Ich hoffe, diese Leistung hat für sich gesprochen», sagte Hamilton: «Ich bin sehr stark, aber ich konnte das ohne Leute wie meinen Vater gar nicht schaffen.»

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