Flugzeugkatastrophe von Smolensk

​Spurensuche im Nebel

Ein Trauernder hält ein Porträt des ehemaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski während des
Ein Trauernder hält ein Porträt des ehemaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski während des "Marsches des Gedenkens" zum Präsidentenpalast in Warschau. Foto: epa/Bartlomiej Zborowski

WARSCHAU/MOSKAU: Beim Absturz der polnischen Regierungsmaschine vor zehn Jahren in Russland starben 96 Menschen, darunter Präsident Lech Kaczynski. Über die Ursache wird in Polen bis heute gestritten. Das Gedenken wirft auch ein Schlaglicht auf das Verhältnis zwischen Moskau und Warschau.

Es sollte ein Tag des Erinnerns an ein schweres Verbrechen im Zweiten Weltkrieg werden. Aber der 10. April 2010 endete für Polen mit der größten Tragödie der Nachkriegszeit. Piotr Zychowicz stand damals auf dem Friedhof der Gedenkstätte in Katyn nahe der russischen Stadt Smolensk. In dem Wald hatte der sowjetische Geheimdienst NKWD 1940 Tausende polnischer Offiziere ermordet. Zychowicz war Reporter der polnischen Zeitung «Rzeczpospolita» - und wartete mit anderen auf die Ankunft von Polens Präsident Lech Kaczynski, der an die Opfer von Katyn erinnern wollte. Doch auf dem Weg dorthin kam Kaczynski selbst ums Leben.

Die weiß-rote Tupolew-154 der polnischen Regierung stürzte beim Landeanflug auf den Militärflugplatz von Smolensk ab. Alle 96 Insassen starben, darunter Kaczynski - und mit ihm die Elite des Landes. Der 70. Jahrestag des Katyn-Massakers wurde zum Begriff für ein neues schmerzhaftes Kapitel polnischer Geschichte.

Zychowicz erinnert sich, wie Regierungsvertreter zunächst von einer «Panne der Präsidentenmaschine auf dem Flughafen» ausgingen. Der heute 39-Jährige setzte sich mit Kollegen ins Auto und fuhr los. «Erst dachte ich, da sei bei der Landung ein Reifen geplatzt», sagt Zychowicz. Doch unterwegs erfährt er von einem Diplomaten: «Da gibt es keine Hoffnung mehr.»

Das polnische Verteidigungsministerium kam 2011 in einem Bericht zu dem Schluss, dass die Militärpiloten unzureichend für die TU-154 ausgebildet waren und bei extremem Nebel Fehler begingen. Auch soll der russische Fluglotse die Crew zu spät gewarnt haben, dass ihr Landeanflug zu tief sei. Russland wies stets jede Verantwortung für das Unglück zurück, zeigte aber auch seine große Anteilnahme.

«Es herrschte ein unheimlicher Nebel. Eine weiße Masse wie zum Schneiden», erinnert sich Zychowicz. Am Rand des Geländes, hinter einem Birkenwäldchen, bot sich das Bild des Schreckens. «Rauchende Trümmerteile, ein Stück des Flugzeugrumpfes mit weiß-rotem Anstrich. Dazu Servietten und Teile von diesen Boxen, in denen das Essen serviert wird.» Bald riegelten russische Uniformierte das Gelände ab.

Die Katastrophe von Smolensk belastet das Verhältnis zwischen Warschau und Moskau seit Jahren. Polens nationalkonservative PiS-Regierung und Parteichef Jaroslaw Kaczynski, Zwillingsbruder von Lech, haben oft suggeriert: «Der Absturz war ein Mordanschlag». Sie geben nicht nur Russland die Schuld. Sie werfen auch der damaligen Regierung unter Donald Tusk vor, die Katastrophe nie richtig aufgeklärt zu haben.

Kurz vor dem 10. Jahrestag der Katastrophe sagte die PiS-Regierung ihre geplante Visite in Smolensk ab und verschob sie auf einen späteren Termin. Mangelnde Kooperation der Russen, hieß es zur Begründung. Das Außenministerium in Moskau wies das prompt zurück - als Provokation. Trotz der Schwierigkeiten wegen der Corona-Pandemie sei alles wie von Warschau gewünscht vorbereitet worden - für den 10. Jahrestag des Flugzeugabsturzes und den 80. Jahrestag des einst von Moskau geleugneten Katyn-Massakers. Sogar eine russische Delegation sei auf den Empfang in Smolensk vorbereitet worden.

«Statt mit Anerkennung haben wir es mit Undankbarkeit zu tun (...) von Politikern, die weiter spekulieren mit dem Thema ihrer bei der Katastrophe getöteten Bürger. Wir ziehen unsere Schlüsse daraus», hieß es in Moskau. Auch nach zehn Jahren gibt Russland das Wrack trotz Forderungen aus Polen nicht heraus. Polnische Ermittler dürfen es nur unter Aufsicht begutachten.

Eine 2016 von der PiS-Regierung eingesetzte Kommission arbeitet noch immer an einem neuen Bericht zur Absturzursache. Ihr Chef ist Ex-Verteidigungsminister Antoni Macierewicz - die meisten anderen Mitglieder sind geheim. Macierewicz sagte dem national-katholischen Fernsehsender Trwam Ende Februar, der Bericht solle die Ursachen für eine «Explosion» an Bord offenlegen.

Dabei gehe es auch um eine Reparatur der TU-154 wenige Monate vor dem Unglück. «Diese Reparatur wurde unter großem Einfluss der Russen ausgeführt - und zwar besonders der russischen Geheimdienste mit Unterstützung einiger Geheimdienste, die in Polen aktiv sind, und mehrerer Politiker, die diese Operation erleichtert und möglich gemacht haben», behauptete der frühere Minister.

Russland hatte solche Verschwörungstheorien stets als absurd bezeichnet. Der einflussreiche PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski meinte unlängst in einem Radiointerview, mit der Vorlage des Berichts zum Tod seines Zwillingsbruders werde es noch dauern. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, sagte er verheißungsvoll, dürfe niemand die Menschen mit Dingen beunruhigen, bevor diese vollends geklärt seien.

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