Finnlands Führung für Nato-Beitritt

Mehr Angriffe in Ostukraine

Debatte des finnischen Parlaments über den NATO-Beitritt in Helsinki. Foto: epa/Mauri Ratilainen
Debatte des finnischen Parlaments über den NATO-Beitritt in Helsinki. Foto: epa/Mauri Ratilainen

KIEW/MOSKAU/HELSINKI/BERLIN: Russlands Krieg gegen die Ukraine hat tiefgreifende Konsequenzen jenseits der beiden Länder: Das lange neutrale Finnland will nun schnell der Nato beitreten. In der Ostukraine verstärken sich derweil die russischen Angriffe - und ein ehemaliger Brigadegeneral warnt.

Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hat Finnlands politische Führung den schnellstmöglichen Beitritt des Landes zur Nato gefordert. Deutschland wappnet sich derweil gegen die von Russland angekündigten Sanktionen im Energiesektor. Am 78. Kriegstag verstärkten die Russen ihre Angriffe im Osten der Ukraine. In der Region Luhansk konnten ukrainische Truppen aber nach eigenen Angaben zwei Pontonbrücken des russischen Militärs über den Fluss Siwerskyj Donez zerstören. Den Russen sei es dennoch gelungen, den Fluss zu überqueren, hieß es.

Inmitten der gespannten Lage sollte am Donnerstagnachmittag ein Treffen der G7-Außenminister in Wangels an der Ostsee beginnen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba führte zuvor diplomatische Gespräche in Berlin. Unter anderem warb er für einen EU-Kandidatenstatus seines Landes und die Lieferung westlicher Kampfflugzeuge

Finnland strebt in die Nato - Schweden vor Beschluss

Finnlands Präsident Sauli Niinistö und Ministerpräsidentin Sanna Marin machten am Donnerstag deutlich, dass nach ihrer Vorstellung die die für einen Antrag zum Nato-Beitritt noch notwendigen formellen Beschlüsse in den nächsten Tagen fallen sollten. Für das lange Zeit bündnisfreie Finnland wäre der Schritt historisch. Das nördlichste Land der EU hat eine mehr als 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland.

Der große Nachbar reagierte erwartungsgemäß kritisch. «Eine abermalige Ausweitung der Nato macht unseren Kontinent nicht stabiler und sicherer», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Alles hänge nun davon ab, wie sich die Nato-Erweiterung entwickele und welche militärische Infrastruktur an die Grenzen verlegt werden.

Der russische Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar hatte in Finnland zu einem Meinungsumschwung in der Bevölkerung hin zu einem Nato-Beitritt geführt. Auch in Schweden wird seither energisch über einen Nato-Beitritt diskutiert.

Habeck hält Auswirkungen der russischen Sanktionen für «überschaubar»

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hält die Auswirkungen der von Russland verhängten Sanktionen gegen ehemalige Tochtergesellschaften von Gazprom im Ausland für «überschaubar». Täglich würden jetzt zehn Millionen Kubikmeter Gas aus Russland nicht mehr geliefert, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag in Berlin. «Das ist eine Menge, die kompensierbar ist, und die Unternehmen sind dabei, das Gas über andere Quellen zu beschaffen.» Der Großhandelspreis sei um 14 Prozent gestiegen. «Das ist nicht schön, aber es entspricht den normalen Schwankungen seit Kriegsbeginn.»

Am Mittwoch hatte die russische Regierung Geschäfte mit Gazprom Germania und anderen ehemaligen Tochtergesellschaften des russischen Staatskonzerns Gazprom im Ausland untersagt. Die Regelung betrifft 31 Firmen. Gazprom Germania war Anfang April unter staatliche deutsche Kontrolle gestellt worden. Die Sanktionierung der Gazprom-Germania-Töchter bedeute, dass Lieferverträge neu geschlossen werden müssten - «möglicherweise zu höheren Preisen». Dazu werde es finanzielle Garantien geben.

Gefechte in Ostukraine - Brücken des russischen Militärs zerstört

Die russischen Streitkräfte haben nach ukrainischen Angaben ihre Angriffe im Osten des Landes verstärkt und dabei teilweise in der Region Donbass Geländegewinne erzielt. «Der Feind führt seine Angriffsbemühungen in der Operationszone Ost weiter fort mit dem Ziel, die volle Kontrolle über die Gebiete Donezk, Luhansk und Cherson herzustellen und den Landkorridor zur zeitweise besetzten Krim aufrecht zu erhalten», teilte der ukrainische Generalstab am Donnerstag in seinem Lagebericht mit.

Die russischen Attacken im Donbass zielen demnach auf die Städte Sjewjerodonezk, Liman, Bachmut, Awdijiwka und Kurachowe sowie das großteils schon von russischen Kräften besetzte Rubischne. Zum Vorstoß auf die Kleinstadt Liman versuchten die russischen Streitkräfte, Schwimmbrücken über den Fluss Siwerskyj Donez zu bauen.

Zwei dieser Pontonbrücken wurden nach eigenen Angaben von ukrainischen Truppen zerstört. «Bilohoriwka hält gerade dem russischen Ansturm stand, unsere Verteidiger haben zweimal Pontonbrücken zerstört», schrieb der Militärgouverneur des Gebiets, Serhij Hajdaj, am Donnerstag im Nachrichtendienst Telegram. Im Morgenbericht konstatierte der ukrainische Generalstab, dass es dem Gegner dennoch gelungen sei, über den Fluss zu gelangen.

Am Frontabschnitt vor Slowjansk, einem der wichtigsten Ziele der russischen Offensivbemühungen im Donbass, verstärke Moskau derweil seine Kräfte. Demnach sollen zur Vorbereitung neuer Angriffe rund 300 neue Militärfahrzeuge in dem Raum verlegt worden sein. Wenig Veränderungen gab es laut dem ukrainischen Lagebericht hingegen in Mariupol. Dort würden die im Stahlwerk verschanzten Verteidiger weiterhin von der Luftwaffe bombardiert.

Ex-Brigadegeneral Vad: Russische Armee nicht unterschätzen

Der ehemalige militärpolitische Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Brigadegeneral a. D. Erich Vad, warnt vor einer Unterschätzung der russischen Streitkräfte in der Ukraine. Vad räumte ein, dass er das russische Militär anfangs überschätzt habe und davon ausgegangen sei, dass die russische Armee nach Kiew durchmarschieren würde. «Ich habe sie überschätzt und den Widerstandswillen der Ukrainer unterschätzt. Heute läuft man allerdings Gefahr, die Russen zu unterschätzen», sagte Vad der konservativen schweizerischen Wochenzeitung «Weltwoche». Es seien die Russen, die derzeit bestimmten, wo mit welchen Kräften zugeschlagen werde.

Ukrainischer Außenminister wirbt für EU-Beitritt

Bei einem Besuch in Berlin hat der ukrainische Außenminister Kuleba für den baldigen Beginn des EU-Beitrittsprozesses mit seinem Land geworben: «Die Europäische Union braucht die Ukraine genauso sehr, wie die Ukraine die Europäische Union braucht», sagte er am Donnerstag nach einem Treffen mit SPD-Chef Lars Klingbeil und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Die EU-Kommission will im Juni eine Empfehlung abgeben, ob die Ukraine zum Beitrittskandidaten werden soll. Danach entscheiden die Mitgliedstaaten - vielleicht schon auf dem EU-Gipfel Ende Juni. Allerdings müssen alle 27 EU-Staaten zustimmen. Die Verhandlungen über ein Beitrittsabkommen dauern normalerweise Jahre. Der SPD verzieh Kuleba ihre von vielen als zu nachsichtig kritisierte Russland-Politik der letzten Jahrzehnte.

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