Lage auch auf dem Balkan angespannt

Fahnder zur Migration

Foto: epa/Erwin Scheriau
Foto: epa/Erwin Scheriau

WIEN (dpa) - In der Migrationskrise wirft einer der führenden Schlepper-Fahnder einen Blick auf die Situation: Kein Grund zum Alarmismus, aber hohe Wachsamkeit sei angesagt - und vor allem jetzt vorbauen.

Trotz der jüngsten Verlagerung der Migrationsrouten in Richtung Spanien bleibt die Situation auf dem Balkan nach Ansicht von Experten angespannt. Rund 60.000 Zuwanderer hielten sich in der Region auf, so der Schlepper-Experte des österreichischen Bundeskriminalamts, Gerald Tatzgern. «Es sind teils Menschen, die sich dort schon seit längerem eingerichtet haben, aber auch erst jüngst via Griechenland eingetroffene Zuwanderer.»

So sind nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes beispielsweise in Bosnien-Herzegowina seit Jahresbeginn 8.000 Menschen eingetroffen, acht Mal so viel wie 2017. Allein in den vergangenen vier Wochen waren es laut Rotem Kreuz 3.000. Die dortigen Behörden sprechen von insgesamt 3.000 bis 4.000 Menschen.

In Griechenland selbst seien bis zum 8. Juli 24.000 Migranten aufgegriffen worden, ein Plus von 122 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, sagte Tatzgern der Deutschen Presse-Agentur. Dabei spiele die illegale Einreise über den türkisch-griechischen Grenzfluss Evros eine stark zunehmende Rolle. Hier habe sich die Zahl der Aufgriffe im ersten Halbjahr vervielfacht, sagte Tatzgern.

Jüngst war in Athener Regierungskreisen darauf verwiesen worden, dass das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen von 2015 die Evros-Grenze nicht einschließe. Nur Migranten, die über das Mittelmeer nach Griechenland kämen und kein Asyl erhielten, würden demnach in die Türkei zurückgebracht. Da diese Bestimmung für die Evros-Region nicht gelte, habe Ankara wenig Motivation, Flüchtlinge von dieser Grenze fernzuhalten.

Aus Sicht von Tatzgern, der schon seit 17 Jahren Schlepperei und Menschenhandel bekämpfen hilft, könnte sich die Situation verschärfen, wenn die Wirtschaftskrise in der Türkei viele Migranten, die dort Billigjobs gefunden haben, arbeitslos werden ließe. «Dann stehen Hunderttausende auf der Straße, die wohl nach Europa drängen würden. Da ist keine Entspannung in Sicht.»

Die Schlepper reagierten sofort auf jede Veränderung. So habe sich seit Juni bei den Ankünften das Blatt gewendet und Spanien sei zum bevorzugten Ziel der Migranten geworden. «Die liberalere Einstellung in Madrid, das sagt, wir schicken kein Schiff zurück, spricht sich sehr schnell herum», so Tatzgern. Italien hatte zeitgleich seine Häfen für Flüchtlingsboote praktisch dicht gemacht. Laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) kamen im Juni nur noch 3100 Migranten in Italien an, die niedrigste Zahl in einem Juni seit 2014.

Aus Sicht der Fahnder gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Start von Schlauchbooten und der Präsenz von Schiffen der zur Hilfe bereiten NGOs. «Je mehr NGO-Schiffe in der Nähe sind, desto mehr Schlauchboote stechen in See», meinte der BKA-Experte.

Der Druck aus Afrika in Richtung Spanien sei hoch. «Viele Menschen aus Guinea, Mali, Gambia, der Elfenbeinküste und auch Marokkaner selbst sind aufgebrochen», sagte Tatzgern. Ohne Grenzkontrollen lasse sich jedoch schwer sagen, wie viele davon auf welchen Routen zum Beispiel in Richtung Österreich und Deutschland weiter gelangen würden.

Dass die Zahl der Migranten insgesamt im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurückgegangen ist, ist aus Sicht des Experten eine Atempause, die für verschiedene Maßnahmen genutzt werden sollte. Dazu gehören laut Tatzgern nicht nur eine wirksame Überwachung der EU-Außengrenze, sondern auch Hilfe vor Ort und vor allem legale Wege zur Einreise in die EU. «Man baut den Hochwasserschutz dann, wenn es trocken ist.»

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