Rassismus in den USA, Frankreich und Großbritannien

In Belgien wurden zwei Petitionen wurden zur Entfernung der Denkmäler, Statuen des Monarchen aus der Kolonialzeit, inmitten weltweiter antirassistischer Proteste lanciert. Foto: epa/Olivier Hoslet
In Belgien wurden zwei Petitionen wurden zur Entfernung der Denkmäler, Statuen des Monarchen aus der Kolonialzeit, inmitten weltweiter antirassistischer Proteste lanciert. Foto: epa/Olivier Hoslet

WASHINGTON/PARIS/LONDON: Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd hat weltweit für Entsetzen gesorgt. In den USA und auch in anderen Ländern wie Frankreich oder Großbritannien kam es zu Protesten - Tausende gingen auf die Straße. Rassismus und Polizeigewalt sind dort nicht erst seid Floyds Tod ein Problem:

USA: Die USA haben tiefsitzende Probleme mit Rassismus, Diskriminierung und sozialer Ungerechtigkeit. Afroamerikaner sind in den Vereinigten Staaten nach wie vor in vielen Bereichen benachteiligt: etwa wirtschaftlich, gesundheitlich oder sozial - aber auch und gerade mit Blick auf Polizei und Justiz. Junge Schwarze werden häufiger von der Polizei grundlos gestoppt. Afroamerikaner haben auch ein deutlich höheres Risiko, im Gefängnis zu landen - selbst wegen kleinerer Delikte: Rund 38 Prozent aller Gefängnisinsassen in den USA sind Afroamerikaner, während ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nur etwa 13 Prozent ausmacht.

Der Tod von George Floyd bei einem gewaltsamen Polizeieinsatz in Minneapolis ist kein Einzelfall, sondern reiht sich ein in eine jahrzehntelange Serie düsterer Vorfälle. Auch andere Fälle sorgten für große Proteste, doch Floyds Tod hat beispiellosen Aufruhr ausgelöst - in den USA und international. Warum? Die mächtigste Frau der US-Politik, die demokratische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sagte, das Land habe nun eine «Schwelle überschritten». Das liege auch an der Corona-Krise.

Die Pandemie wirft ein Schlaglicht auf die grundlegende Benachteiligung von Afroamerikanern in den USA. Sie betrifft die afroamerikanische Bevölkerung in Amerika überproportional: sowohl bei der Zahl der Infektionen als auch bei den Todesfällen. Gründe dafür sind unter anderem Lebens- und Arbeitsbedingungen, Vorerkrankungen und der Zugang zur Gesundheitsversorgung. Und auch die coronabedingte Wirtschaftskrise trifft sie besonders hart: Gerade unter Schwarzen ist die Arbeitslosigkeit in die Höhe geschnellt.

FRANKREICH: Frankreichs vernachlässigte Vorstädte, die Banlieues, sind ein Symbol für all das, was bei der Migration im Land falsch gelaufen ist. Immer wieder kommt es dort zu Unruhen und Aufständen - Arbeitslosigkeit und Gewalt prägen den Alltag. In den tristen Hochhaustürmen am Rande von Paris oder Marseille wohnen zahlreiche Einwanderer. In den 1950er und 1960er Jahren kamen vor allem Menschen aus den ehemaligen Kolonien in Nordafrika nach Frankreich, im Zuge des Algerienkriegs kamen viele Einwanderer von dort.

2005 kam es in den Banlieues zu den bisher heftigsten Unruhen - es gab Straßenschlachten, der Ausnahmezustand wurde ausgerufen. Auslöser war damals der Unfalltod zweier Jugendlicher mit Migrationshintergrund - sie kamen auf der Flucht vor der Polizei im Pariser Vorort Clichy-sous-Bois ums Leben. Die islamistischen Terroranschläge der vergangenen Jahre haben die Stimmung im Land wieder angeheizt. Die Täter selbst waren oft Kinder von Einwanderern - einige kamen aus den berüchtigten Vorstädten.

Die Menschen in den Banlieues werfen den Ordnungskräften Gewalt und Willkür vor. So auch im Fall Adama Traoré. Der Sohn von Einwanderern aus Mali starb 2016 in Polizeigewahrsam. Ein aktuelles Gutachten entlastet die Polizisten - und führt eine Herz-Vorerkrankung an. Ein Gutachten im Auftrag von Traorés Familie geht davon aus, dass Traoré erstickt ist - aufgrund äußerer Gewalteinwirkung. Die Gutachten im Fall Traoré und die Demonstrationen in den USA heizen nun den Protest und die Debatte über Rassismus und Polizeigewalt in Frankreich wieder an.

GROSSBRITANNIEN: Auch in Großbritannien ist das Misstrauen gegenüber der Polizei unter vielen Menschen mit dunkler Hautfarbe groß. Im Jahr 2011 kam es zunächst in London und später im ganzen Land zu erheblichen Ausschreitungen, nachdem die Polizei während eines Einsatzes einen 29 Jahre alten Mann erschossen hatte. Eine Untersuchung ergab später, dass die Beamten rechtmäßig gehandelt hatten. Doch Statistiken von Scotland Yard aus dem Jahr 2018 zufolge waren Schwarze in London überproportional häufig von gewaltsamen Zugriffen der Polizei betroffen. Seit dem Tod von George Floyd kam es bereits zu mehreren Protesten mit Tausenden Teilnehmern in London und anderen Städten wie Manchester und Cardiff.

An einem Protestmarsch in London am Mittwoch beteiligte sich auch der aus den jüngeren Star-Wars-Filmen bekannte britische Schauspieler John Boyega. Jede schwarze Person erinnere sich an den Moment, als sie zum ersten Mal darauf aufmerksam gemacht wurde, dass sie schwarz ist, rief der 28-jährige Brite mit nigerianischen Wurzeln der Menge in London zu. «Ich will, dass Ihr versteht, wie schmerzhaft es ist, jeden Tag daran erinnert zu werden, dass Deine Rasse nichts wert ist», so Boyega.

BERLIN: von Rachel Boßmeyer (dpa) - Schon in den vergangenen Tagen waren in Deutschland immer wieder Menschen auf die Straße gegangen, wie zum Beispiel auch in London, Paris und Amsterdam. In den sozialen Medien beteiligten sich Tausende an der Aktion #Blackouttuesday, die Aufrufe zu Spenden und zum Teilen von Informationen reißen nicht ab. Das Video, das Floyds grausamen Tod festhält, spielt dabei eine besondere Rolle, sagt Protestforscher Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung der Deutschen Presse-Agentur. Auch wenn die Kundgebungen am vergangenen Wochenende mit maximal 2000 Teilnehmenden nicht besonders groß waren, sei dies für Proteste gegen rassistische Polizeigewalt doch eine beträchtliche Zahl.

Etwas überrascht sei er, dass jetzt so viele Menschen auf die Straße gehen, sagt Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Immerhin thematisierten betroffene Communities systemischen Rassismus in den USA wie auch in Deutschland schon seit Jahrzehnten. «Offensichtlich ist es so, dass uns nicht zugehört worden ist.» Della und Rucht sind sich einig, dass der starke Zulauf bei den Protesten auch mit dem US-amerikanischen Präsidenten zu tun hat. Rucht spricht vom «Trumpfaktor» durch das Staatsoberhaupt, das die Gesellschaft spalte und sich selbst teils rassistisch äußere.

Hinzu kommen laut Della eine rassistische Einwanderungspolitik, die überproportionale Anzahl Schwarzer Menschen in den Gefängnissen, die aktuelle Arbeitslosenproblematik, die vor allem marginalisierte Gruppen betreffe, und nicht zuletzt die Corona-Krise, die unter eben diesen Gruppen eine besonders hohe Todesrate forderte. «Ich kann mir vorstellen, dass viele Menschen in der Gesellschaft insgesamt von der Politik, die aktuell gefahren wird in den USA, natürlich auch mal salopp gesagt, die Schnauze voll haben», mutmaßt Della.

Warum sich etwa nicht so viele Menschen nach dem Tod von Oury Jalloh, einem Asylbewerber aus Sierra Leone, der vor 15 Jahren in seiner Zelle in Dessau verbrannte, solidarisch gezeigt haben? Ja es gebe kein Video, meint Della. Und: «Ich glaube tatsächlich, dass wir es immer noch damit zu tun haben, dass viele Menschen das nicht als wirkliches Problem, als ein systemisches Problem wahrnehmen. Dass die Gesellschaft, die Strukturen, die Institutionen ein massives Problem haben, dass es eben keine Einzelfälle sind, dass es nicht selbstverschuldet ist.»

Das Rassismusverständnis in Deutschland ist außerordentlich eng gefasst, wie er sagt. «Das heißt, es wird davon ausgegangen, dass Rassismus nur dann so zu benennen ist, wenn eine Intention vorliegt, also wenn Leute sozusagen bekennende Rassisten sind.» Der NSU, die Anschläge in Halle und Hanau fallen unter diese Kategorie, doch Rassismus in Deutschland sei sehr viel weiter verbreitet und tiefer verankert.

«Unsere Gesellschaft ist von Rassismen strukturiert», sagt Saraya Gomis, Vize-Chefin des Rassismuspräventionsvereins Each One Teach One (EOTO). «Indirekte institutionelle Diskriminierung kann stattfinden, ohne dass einzelne Personen diskriminieren», sagt sie. Dabei gehe es auch um Maßnahmen, die eigentlich für alle gleich seien, aber bestimmte Menschen besonders treffen würden. Ein Beispiel sind verdachtsunabhängige Kontrollen der Polizei, die auf das intuitive Erkennen von Gefahr und Kriminalität setzen. Hier werfen Verbände den Beamten häufig Racial Profiling vor, also unter anderem Schwarze Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe häufiger zu kontrollieren.

Gomis und Della fordern, im Kampf gegen Diskriminierung zuerst die Strukturen in den Blick zu nehmen. «Wenn wir nicht anfangen, uns auf einer strukturellen Ebene mit Rassismen und Diskriminierung zu beschäftigen, können wir auch noch hundert Jahre die gleichen Diskussionen führen», sagt Gomis. Eine reine Repräsentationspolitik oder Sensibilisierungsmaßnahmen werden die Probleme in den Strukturen oder institutionellen Vorgängen nicht lösen. Dafür fordert EOTO auch ein Antidiskriminierungsgesetz in allen Bundesländern und auf Bundesebene, wie es Berlin vor wenigen Tagen verabschiedet hat.

Ob die derzeitige breite Mobilisierung zu einer Veränderung führen wird, wird sich zeigen. Erst einmal müsse sie anhalten, sagt Della. Vielleicht führten die Proteste ja auch dazu, dass Menschen darüber nachdächten, was Rassismus mit ihnen persönlich zu tun hat. Gomis merkt zudem an, dass der Fokus der Demonstrationen nicht nur auf der aktuellen Gewalt liegen dürfe: Man könne nicht über Anti-Schwarzen Rassismus sprechen und dabei nicht über die «Afrika-Politik, über die Lager in Deutschland, über Asylpolitik, über das Sterben im Mittelmeer.» Der Blick müsse also weiter werden.

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Jürgen Franke 08.06.20 22:52
Rassismus ist ein weltweites Krebsgeschwür
nicht nur in den genannten Ländern. Auch Deutschland ist nach wie vor infizierrt,