Ex-Studentenführer fordert Druck auf China

Vizepräsident in Berlin

Archivbild: epa/Ritchie B. Tongo
Archivbild: epa/Ritchie B. Tongo

PEKING/TAIPEH/BERLIN (dpa) - Kurz vor dem 30. Jahrestag des Tian'anmen-Massakers kommt Chinas Vizepräsident Wang Qishan nach Berlin. Eigentlich soll es um die Handelsspannungen mit den USA und das bilaterale Verhältnis gehen - aber damalige Studentenführer lassen nicht locker.

Der ehemalige chinesische Studentenführer Wang Dan hat mehr internationalen Druck auf Chinas Führung gefordert, politische Reformen umzusetzen und Menschenrechte einzuhalten. Es müsse dem Westen eine Lehre sein, dass es auch drei Jahrzehnte nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung am 4. Juni 1989 keine Veränderungen in China gegeben habe, sagte Wang Dan in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in Taipeh vor dem Besuch von Chinas Vizepräsident Wang Qishan an diesem Freitag in Berlin und dem 30. Jahrestag des Pekinger Massakers am Dienstag.

«Wir waren naiv damals», sagte Wang Dan über die Studentenbewegung. «Wir hatten viel Hoffnung in die Regierung gesetzt.» Nach dem Militäreinsatz seien aber auch die westlichen Regierungen «naiv» gewesen. «Nach der blutigen Niederschlagung haben sie Sanktionen erlassen, aber nach zwei Jahren wieder aufgehoben, weil sie hofften, dass die chinesische Regierung Reformen einleiten würde.» Aber nichts sei passiert, sagte Wang Dan. «Das war naiv. Das sollte ihnen eine große Lehre sein.»

Chinas Vizepräsident trifft am Freitag in Berlin mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel zu getrennten Gesprächen zusammen. Im Mittelpunkt dürften außer den deutsch-chinesischen Beziehungen der Handelskrieg zwischen den USA und China stehen. Wang Qishan ist ein Schwergewicht in Chinas Führung und ein enger Vertrauter von Staats- und Parteichef Xi Jinping. Er gilt als Krisen-Manager, Wirtschaftsexperte und USA-Kenner.

Vor dem 30. Jahrestag forderten Bürgerrechtler, damalige Studentenführer, Wissenschaftler und Familien der Opfer eine ehrliche Aufarbeitung des dunklen Kapitels der chinesischen Geschichte. Bei dem Militäreinsatz gegen die friedlichen Studentenproteste wurden einige Hundert Menschen getötet. Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Tausende wurden verletzt und inhaftiert. Vor dem Jahrestag stehen Angehörige der Opfer wieder unter besonders strenger Beobachtung der Staatssicherheit. Öffentliches Gedenken wird sofort im Keim erstickt.

Nach dem Massaker stand Wang Dan auf Platz eins der Liste der meistgesuchten Studentenführer und hat Haftstrafen über insgesamt mehr als fünf Jahre abgesessen. Heute lebt er in den USA und leitet die Denkfabrik «Dialog China». Nach seiner Einschätzung wird es unter dem gegenwärtigen Präsidenten Xi Jinping keine politischen Veränderungen geben. Es sei vielmehr eine Rückwärtsentwicklung zu beobachten. «Ich habe keinerlei Hoffnung - zumindest keine Hinweise, die mir Hoffnung geben.»

Aber wenn der Präsident, der auf Lebenszeit regieren kann, und die alte Führungsgeneration eines Tages nicht mehr da seien, könne eine neue Generation übernehmen, sagte Wang Dan. «Ich denke, dass selbst die jüngere Generation nicht zufrieden ist mit der Situation und mit Xi Jinping, aber sich nicht traut, den Mund aufzumachen», sagte der Ex-Studentenführer. «Sie unterstützen die Regierung nicht, haben aber keine Wahl.» Sollte es vielleicht einmal einen Machtkampf in der Partei geben, «kann es eine Chance für die Zivilgesellschaft sein».

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